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endeten) Rotundc, der Reichskanzlei rnit ihren seitlichen Flügeln nach der Schauflergasse
und Winterreitschule hin und letzterer selbst bestanden. Das ist nun schon ganz
unrichtig, denn der Riesenplan bezweckte viel mehr, wie seinerzeit zu beweisen sein
wird. Es wäre doch nach allem Brauche nothwendig gewesen, dass dem Leser wenigstens
die nothdürftigsten Daten über Anfang und Vollendung des Baues mitgetheilt worden
waren, wie das bei der Besprechung jeglichen Kunstwetkes ganz unerlässlich ist. Nun
geben wir aus eigener Erfahrung gerne zu, dass es eben bei Fischer's Schöpfungen
zuweilen gar schwer ist, ohne Urkundenforschung derlei historische Daten anzuführen,
aber in dem Falle hatte eben darauf hingewiesen werden müssen, dass die Geschichte
des Baues noch der Erforschung harret, obwohl selbst aus der bestehenden Literatur der
Verfasser wenigstens einige allgemeine Umrisse hatte gewinnen können. Er ignorirt jedoch
diese Fragen gänzlich und zieht es vor, die stilistische Seite des Objectes ausführlich zu
beleuchten. Auch dafür würden wir ihm gewiss dankbar sein, wenn er uns nur etwas
Neues und Treifendes bieten würde, jedoch, es ist ihm blos um eine Entdeckung zu thun,
und dieser müssen wir also ein Bischen unter die Augen schauen. Dernjac hat entdeckt,
dass der altere Fischer seine Palastbaukunst den Franzosen abgelauscht habe und er hat
dafür eine Menge Beweise in Bereitschaft. Das Parterre der Reichskanzlei hat horizontale
Fugenlinien, das Stadthaus in Naricy auch; das Schloss Madrid endet oben in einem
Dachgeschoss, die Reichskanzlei auch; Balcone mit eisernen Gittern bilden den Uebergang
vom Erdgeschosse zum Hauptstockwerke im Schluss Meudon, bei der Reichskanzlei auch
u. s. w. Diese Analogien haben in der That etwas großartig Zwingendes, wenn wir nicht
irren, zeigen jene französischen Gebäude auch Fenster und Thuren, und die Reichs-
kanzlei auch. Jedoch, Scherz bei Seite, Dernjac sagt keinem Menschen etwas Neues damit,
dass es verwandte Elemente des Stilgeprages zwischen gleichzeitigen Werken Mansarfs,
Pcrrault's u.A., sowie Fischer's andererseits im Palastbau gibt, das versteht sich; jedoch,
es ware zu weit gegangen, hiebei an ein Anlehen des Oesterreichers bei Jenen zu denken.
Es sind ganz einfach die übereinstimmenden Resultate, zu welchen bei analogen Ver-
hältnissen das gegebene italienische Substrat der Barocke hier wie dort im Norden gelangen
musste; deswegen hat J. B. Fischer keineswegs in Paris gebettelt. Sein Leben, das ich nun
schon mit zahlreichen Einzelnheiten kenne, bietet auch nicht den allergeringsten Bezug
zu dem Lande Frankreich, zu Franzosen und französischer l(unst- bei seinem Sohne ist
das schon ganz anders. Dernjac sagt: ISO war Fischer nicht der Scbüpfer seines Stiles:
- ein ganz irriges Wort, namentlich, wenn man ihn zum Schüler der Franzosen machen
will, mit denen er gar nichts zu thun hat, welche mit ihm aber das gemein haben, dass
sie gleich ihm den südlichen Stil für die anders gearteten Bedürfnisse und Verhältnisse
ihrer Heimat einer Umwandlung zuleiteten, wobei gewisse außere Aebnlichkeiten
natürlich nicht ausbleiben konnten. Die vorliegende Arbeit des Verfassers erfreute uns
egenüber seiner ersten über den Bildhauer Beyer durch den besseren Stil der Dar-
stellung und der Diction, dagegen muss gesagt werden, dass der alteren fleißige For-
schungen zu Grunde lagen, was von dieser eben durchaus nicht behauptet werden kann.
l.
ü
Histoire du point d'Alencon, depuis son origine jusquä nos jonrs par
Mm G. Despierres. Paris, Renouard, t886. 8". 276 S., 8 Tafeln,
7 Vignetten.
lm Jahre 1882 war im Bulletin de la Societe historique et archeologique de l'Orne
ein Aufsatz des Archivars des Orne-Departements, L. Duval, erschienen, welcher auf
Grund mehrfacher in einem Anhange mitgetheilter archivalischer Nachrichten die seit
Odolant Desnos (1787) gangbare Ansicht von der Einführung der Spitzenfabrication in
Frankreich durch Colbert im Jahre 1675, an deren Richtigkeit schon Seguin 1875 Zweifel
laut werden ließ, dahin corrigirte, dass bereits in der ersten Halfte des 17. Jahrh. eine
ausgedehnte Spitzenindustrie in Alencon blühte und die venezianische Reliefspitze schon
um t66o daselbst imitirt wurde, Colbert dagegen nur das zweifelhafte Verdienst einer
aus liscalischen Gründen durchgeführten Monopolisirung dieser Industrie im Jahre 1665
beigelegt werden kann. Der genannte Autor wird nun von der Verfasserin des vorliegenden
Buches in ganz unzweideutiger Weise des Plagiates beschuldigt, indem dieselbe geltend
macht, bereits volle sechs Monate vor dem Erscheinen des DuvaPschen Aufsatzes eine
dem lnhalte nach mit diesem völlig übereinstimmende Schrift veröEentlicbt zu haben.
Die Entscheidung der Rechtsfrage, wern die Priorität der wichtigen Entdeckung zukommt,
müssen wir anderen überlassen, die den betreffenden Personen und Verhlltnissen naher
steheniMlM lJespierres hat aber in ihrem Buche einen glänzenden Befahigungsnachweis
für die ihr strittig gemachte Lösung einer eminent historischen Aufgabe erbracht. Außer
mehrfachen Zusätzen und Berichtigungen zu Duval's Angaben führt sie die Geschichte
der Alenconspitze, stets auf sorgfältig gesichtetem archivalischen Materiale fußend, bis