Reihe steht. Der erstere drückt aus, dass der Kampf gegen featbasirte Dogmen das
eine Grundelement des Werkes ausmacht, der zweite lehrt uns, dass an Stelle dessen,
was niedergerissen wurde, ein Neues gesetzt wird. Wer Riegls frühere Arbeiten kennt,
wird leicht sehen, woher diese beiden Elemente - das destructive und das positive --
kommen. worin sie bestehen und wieso sie sich zu einem einheitlichen Ganzen durch-
dringen konnten. Vieljihrige Beschlftigung mit der Geschichte der Textilltunst hat in
dem Verfasser die Ueberzeugung lieranreifen lassen, dass die durch Semper inaugurirte
und von dessen Nachfolgern ausgebildete Theorie von der technisch-materiellen Ent-
stehung der ältesten Ornamente, ftir welche gerade die Textilkunst als festeste Stütze
galt, nicht mehr haltbar sei. Die Analyse der Zierformen auf den orientalischen Teppichen
wiederum brachte das Resultat, dass ein weites Gebiet der Ornamcntik, das bisher außer-
halb der allgemeinen Entwicklung zu liegen schien, mit dieser überraschend nahe ver-
bunden ist. Je mehr für Riegl die Bedeutung der Techniken in der Werdegeschichte
der Ornamente einschrumplte. desto dankbarer erwies sich ihm die consequente Verfolgung
der rein historischen Betrachtung, für deren Richtigkeit die bei der sariicenischen Kunst
gemachten Erfahrungen eine so aufmunternde Stichprobe geliefert tiatten. Was er nun
als Frucht seiner Methode bietet, sind die wesentlichen Grundzüge einer Geschichte der
Ornamentik. in der alles in sich festgeschlossen erscheint, das eine sich naturgemlß und
selbständig aus dem andern ergibt, ohne dass man an den entscheidenden Wendepunkten
das Eingreifen von Technik unil Material missen wurde. llie Perspective, welche das neue
Werk erdGnet, ist groß: eine zusammenhängende Entwicklung von den prähistorischen
Zeiten mit ihrer scheinbar geschichtslosen linearen Verzierungaweise bis in unsere Tage.
Der Verfasser führt uns freilich nur bis zu einem bestimmten Punkte, aber dort, wo er
abbricht - bei dem Ptlenzenrankenornament in der byzantinischen Kunst und der früh-
Slracenischen Rankenornamentik - kann der durchgehende Faden, den er gefunden hat,
nicht mehr abgerissen vrt-rden. Die Aufdeckung dieses durchgehenden Fadens ist eines
der schonsten Ergebnisse des Buches. Je einfacher und selbstverständlicher, desto über-
zeugender ist es. lm Mittelpunkt der Ornamenigeschichte steht die Pdanzenranke. Sie
ist das Lebenseletnent der griechischen Kunst und deren ureigeae Erfindung. Was vor ihr
liegt, sind vorbereitende Stufen. Sie verdankt ihre Entstehung schon dem Volke, das
Trlger des mykenischen Stiles war und schon wegen dieser Erfindung eine awesentliche
Componente des späteren Hellenenthumesc gewesen sein muss. An der Ausbildung der
Ranke arbeitet die archaische Zeit nicht minder wie die klassische, die hellenistische und
die römische. Die saracenische Arabeske ist nicht weniger ein legitimer Abkömmling
der Ranke, wie das gothisrhe Kriechwerk und das Laubwerk der Kleinmeister.
Wir haben die rStiltragenr kurz zu charakterisiren gesucht. Ihren reichen lnhalt
nach allen Seiten zu erschöpfen, ist im engen Rahmen einer Anzeige nicht moglich. So
wollen wir uns im Folgenden in der Hauptsache mit der trockenen Aufzlhlung der
Capitelüberschriftcn begnügen. Eine Einleitung, deren Ton leider nicht immer glücklich
ist - der Anfang frappirt geradezu - orientirt über die Anschauungen des Verfassers.
Der t. Abschnitt ader geometrische Stil: und der z. wder Wappenstilr halten Abrech-
nung mit der Theorie von der technisch-materiellen Entstehung der Kunstformen. Mancher,
dem Riegl aus der Seele spricht, wird die Empfindung haben, dass er Jemandem den
Todesstoß versetzt, der in Bilde an innerer Entkraftung verschieden wäre. Ob aber diese
Hoffnung nicht eine verfrtilite ist, mag die Zukunft lehren. Der 3. Hauptabschnitt, der
den großten Theil des Werkes umfasst, ist betitelt: rDie Anfange des Pfianzenornaineiiis
und die Entwicklung der ornamcntalen Ranke. Er gliedert sich in die Unterabtheilung
A) Altorientalisches, in welcher die Pfianzenrnotive in der ägyptischen, mesopotamischen,
phonikischen und persischen Kunst analysirt und in ihrerZusammensetzung betrachtetwerden,
und die Unterabtheilung B) adas Piianzenornament in der griechischen Kunst u, an deren Spitze
das Capitel iMykenitches- steht. Hier wird der Archaeologe nicht den Wunsch unter-
drücken können, dass der Verfasser der frischen Erfindungsgabe und dem naturalistischen
Zuge der mykenischen Kunst noch mehr hatte gerecht werden mdgen. Die Entwicklung
der Ranke, welche der Dipylonstil unterbricht, wird verfolgt in den Capiteln rMelisches-,
iRhodischesl, rAltbootischesa, uFrühattischesa, i-Das Rankengeschlingu, aDie Ausbildung
der Ranken-Bordüre-i, i-Die Ausbildung der Rankcniüllungw. Daran schließt sich- unstreitig
eines der glanzendsten des ganzen Buches - das Capitel über nDas Aufkommen des Akan-
thus-Ornumentsr. Riegl verwirft hier das seit Vitruv's Zeiten unbestrittene Dogma, dass
ienes Ornament einer unmittelbaren Nachbildung der Akanthuspllanze seine Entstehung
verdankt und sucht nachzuweisen, dass dasselbe nichts anderes sei, als eine plastische
oder plastisch gedachte Umbildung der Palmette. Die ganze Frage ist für die Geschichte
der Ornamentik von großer Bedeutung. die p. Zll in folgenden Worten zusammengefasst
wird: nWcnn man gemäß der allgemein herrschenden Meinung die Entstehung des Akan-
thusornamentes auf bewusste Nachahmung eines natürlichen Pdanzenvorbildes zurück-
führt, wird man sich gezwungen sehen, den Moment, in welchem der Akanthus zum
crstenmale aufgetreten ist, seiner Bedeutung nach unmittelbar neben denjenigen zu stellen,