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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVI (1981 / Heft 178 und 179)

Gerhart Egger 
Agostino da Musi und das 
Verhältnis zur Antike 
im Ornamentstich 
des Cinquecento 
Friderike Klauner gewidmet. 
Es ist allgemein bekannt, daß Raffaeilo Santi und 
mit ihm alle bedeutenden Künstler der Rinascita 
des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts sich in 
entscheidender Weise um die Aufnahme und 
Kenntnis antiker Bildwerke bemühten und aus die- 
sen Elemente, gleichsam als System für ihre eige- 
nen Werke, bezogen. Um das aber in die Tat um- 
setzen zu können, benötigten die Künstler jener 
Zeit zweifelsohne eine möglichst genaue Kenntnis 
der von ihnen aufgefundenen Altertümer. Daraus 
ergibt sich die problematische Frage, was an den 
neuen Werken der Rinascita Kopie und was Erfin- 
dung sei. Die Auseinandersetzung mit antiken 
Werken war keine Neuerung des 15. und 16. Jahr- 
hunderts, denn zahlreiche, vor allem römische 
Bauwerke wurden seit dem Untergang des Römi- 
schen Reiches weiter benützt, Fragmente in neue 
Gebäude eingemauert, antike Systeme weiterge- 
bildet. So lebte die antike Tradition, wenn auch 
fast im verborgenen, so doch durch Jahrhunderte 
weiter. Dazu kam die literarische Tradition unter 
dem Bestreben, diese mit den Ideen des Christen- 
tums in Einklang zu bringen. 
Alles war dazu angetan, die Antike, den antiken 
Geist einmal mit erneuter Kraft wieder auferste- 
hen zu lassen. Der Zeitpunkt dazu war während 
des 14. Jh.s unter den Namen wregeneratio, re- 
stauratio und restitutioii für Italien gekommen. 
Cola di Ftienzo machte im Jahre 1347 den wie eine 
Absurdität erscheinenden Versuch, als iiVolkstri- 
bunu in Rom die römische Republik zu neuem Le- 
ben zu erwecken. Wenn auch dieses Unternehmen 
scheitern mußte, so war es ein Zeichen dafür, daB 
die Zeit bereit war, sich zu verändern. Schon in der 
Divina Commedia hatte Dante (1265-1321) ein 
phantastisches Weltgebaude errichtet, das in 
christlichem Geist an antike Epen anschließt. 
Giotto (1266-1337) setzte in seinen Bildern spät- 
antike Traditionen und Gedanken weiter fort. Die- 
se gewaltige Veränderung der gesamten europä- 
ischen Kultur bereitete sich ohne Zweifel bereits 
seit der Zeit um 1200 vor, ausgelöst durch die Wie- 
derentdeckung der Werke des Aristoteles. Alber- 
tus Magnus (um 1200-1280) und nach ihm Tho- 
mas von Aquino (1225-1274) schöpften aus den 
Schriften der antiken Philosophen die Grundlage 
für ihr neues geistiges Weltsystem, in dem vor al- 
lem das Verhältnis zur Natur und die Einordnung 
natürlicher Dinge in das Weltbild neu formuliert 
wurden. Der Aristotelismus bildete seitdem die 
Grundlage weiteren Denkens und auch die Grund- 
lage für das Verständnis der Antike. 
Florenz war seit dem ausgehenden 14. Jh. so sehr 
Zentrum der neuen Denkart geworden, daß das 
Ostreich knapp hundert Jahre vor seinem Zusam- 
menbruch weiter von der Antike entfernt war als 
das sich dem Traum eines Wiedererstehens einer 
heilen antiken Welt immer mehr hingebende Ita- 
lien. Es waren zwar durch das ganze Mittelalter 
hindurch an den Schulen die iistudia humanioraii, 
die Studien der antiken Quellen, betrieben wor- 
den; im Sinne der Humanitas Giceros aber wurden 
sie erst im 14. Jh. gefördert und an die Spitze der 
neugegründeten Universitäten gestellt. Dante, Pe- 
1 Agostino Musi, 
Blatt aus der 
Frühzeit mit Ranken 
und Vögeln 
Anm. 1 s. S. 12 
trarca (1304-1374) und Boccaccio (1313-1375) 
waren erste Humanisten gewesen. Andere such- 
ten in deren Nachfolge die Verbindung zu jenen 
Gelehrten aus Byzanz, die die griechische Litera- 
tur erhielten und immer mehr nach ltalien abwan- 
derten, wie Manuel Chrysolares (1350-1415), der 
1396 die erste Humanistenschule in Florenz ge- 
gründet hatte, oder Gemisthos Plethon (1355 bis 
1452), der durch seine Vortrage in Florenz Cosimo 
de Medici zur Gründung der Platonischen Akade- 
mie angeregt hatte. 
Die großen Humanisten des Quattrocento, Poggio 
Bracciolini (1380-1459), Enea Silvio Piccolomini 
(1405-1464), der spätere Papst Pius ll., und Gio- 
vanni Giovianc Pontano (1426 - 1503), um nur eini- 
ge zu nennen, wurden von Mächtigen wie Cosimo 
und Lorenzo de Medici oder den Päpsten Nico- 
laus V., Pius II. und Sixtus lV. gefördert. Sie fan- 
den Nachfolge nördlich der Alpen in Deutschland 
in Rudolf Agricola (1444- 1485), Erasmus von Rot- 
terdam (1466-1536), Regiomontanus (1436 bis 
1476) oder Willibald Pirkheimer (1470-1530), in 
England in Thomas Morus (1478-1535). 
Einen Höhepunkt erreichte die Bewegung in der 
"Platonischen Akademien in Florenz. Angeregt 
durch den griechischen Platoniker Gemisthos 
Plethon, hatte sie Cosimo Medici, Nil Vecchioii, 
1459 gegründet. Sein Enkelsohn Lorenzo Magnifi- 
co war neben Marsilio Ficino (1433- 1499) und Pi- 
co della Mirandola (1463-1494) ihr prominente- 
ster Vertreter. Flclno baute das platonische Denk- 
system im Sinne des christlichen Ethos um, es ge- 
lang ihm, den platonischen Begriff der unsterbli- 
chen Seele in das Licht des christlichen Totali- 
tatsanspruches zu rücken. In Pico della Mirando- 
las Rede "Über die Würde des Menschen-i sah Ja- 
kob Burckhardt die höchsten Ahnungen des Re- 
naissance-Denkens angedeutet. Vasari nennt die 
künstlerische Entsprechung zu alledem die iiRi- 
nascitari, die Erneuerung, und laßt diese mit Giot- 
to beginnen. Eine Erkenntnis, die allerdings vor 
ihm schon Boccaccio und Ghiberti gefaßt hatten. 
iiEr hat die Kunst wieder ans Licht geholt, die viele 
Jahrhunderte begraben gewesen wann Zu "pa- 
tresii des neuen Stiles aber wurden erst ein Jahr- 
hundert später Brunnelleschi (1376-1446), Ma- 
saccio (1401 - 1428) und Donatello (1386- 1466) in 
Florenz, die unter mediceischer Förderung die 
neuen künstlerischen Prinzipien zum Durchbruch 
brachten. Antike Schriften und Kunstwerke wur- 
den wohl auch schon vorher im Norden studiert 
und Maßverhaltnisse ebenso wie Proportionsge- 
setze aus ihnen abgeleitet. Das Bestreben aber, 
die Antike zu neuem Leben, zu einem Weiterleben 
zu erwecken, war neu. Man sah im antiken Kunst- 
werk literarisch wie bildnerisch wohl ein Vorbild, 
aber man wollte es nicht nachmachen und kopie- 
ren, sondern weiterleben lassen. Nicht als totes. 
bloß historisch erfaßbares nMaterialu sollte die 
Antike erkannt werden, sondern man versuchte 
vielmehr, sich mit seinem neuen Werk in die Reihe 
der Alten zu stellen, das Abgebrochene fortzufüh- 
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