Raumdarstellung mit ihrer unmittelbaren Verbindung von Bild
und Besehauer hat bei ihm keinerlei Niederschlag gefunden; sein
Fortschritt gegenüber der Stilstufe Orleys besteht nur in der
Erweiterung des Freiraumes zur kartographischen Landsehaltrs-
darstellung.
Die Tunisfolgc war der rcpräsentativste Auftrag, den Kaiser
Karl V. in den Brüsseler Wandteppiehen zur Ausführung bringen
ließ. Die aus dem 15. jahrhundert, vor allem von den Burgun-
dischen Herzögen herstammende Tradition, in den gewirkten
Bildteppiehen in monumentaler: und kostbarer Weise den Ruhm
des Herrschers und seiner Familie darzustellen, hat in ihr ihre
beste Manifestation im 16. jahrhundert gefunden. Aber nicht
nur dieses eine, durch ein bestimmtes historisches Faktum be-
stimmte Werk zeugt von der großen Bedeutung, die gerade in
den beiden letzten Jahrzehnten seiner Regierungszeit die kost-
baren niederländischen Bildteppiehe für den Kaiser besessen
haben. Aus der großen Zahl derartiger Arbeiten, die sich in
seinem Besitz befanden, ragen vor allem noch zwei Teppich-
serien hervor, die jede in ihrer Art zu den schönsten Brüsseler
Arbeiten dieser Zeit gehören. Im jahre 1548 wird die Folge mit
der Geschichte von Vertumnus und Pomona nach den Ovidschen
Metamorphosen im Besitz des Kaisers genannt. Diese Folge,
die bis ins erste Viertel des 17. jahrhunderts eine der belieb-
testen der Brüsseler Ateliers überhaupt war, - allein in Madrid
befinden sich noch heute vier, allerdings unvollständige Serien,
während die Wiener Sammlung das einzige vollständige Exem-
plar besaß - gehört sowohl in der Eigenart ihrer künstleri-
schen Erfindung, wie in der außerordentlich schönen und rei-
chen Ausführung der Teppiche zu den köstlichsten Erzeugnis-
sen der Brüsseler Tapisseriekunst der Spätrcnaissance.
Wie die große Historienfolge mit der Darstellung der eigenen
Siege in der Tunisserie beredten Ausdruck fand, so stellen die
Teppiche mit den Wappen des Kaisers die vielleicht überhaupt
schönste Ausgestaltung des alten Themas des Wappenteppichs
mit Blumengrund dar (Wien, Kunsthistorisches Museum). In
der außerordentlichen Sorgfalt und Feinheit ihrer Ausführung
gehören diese reich mit Gold durchwirkten 'l'eppiche ebenfalls
zu den Meisterleistungen aus dem Atelier Wilhelm Panne-
makers. In dem Reichtum der stets wechselnden Blumen.-
arrangements bei stets gleichem, durch das große vom kaiser-
lichen Adler bekrönte Wappen bestimmten Grundschema, ge-
hören sie zu den schönsten Beispielen dekorativer Wandtcppiche
des 16. Jahrhunderts.
Über den künstlerischen und historischen Wert der 'I'apisserien
Karls V, hinaus erscheint gerade die berühmte Tunisfolge in
eigenartiger Weise mit dem Schicksal Spaniens und des Hauses
Österreich verbunden. Entstanden im Auftrag des größten Herr-
schers des 16. Jahrhunderts, als Spanien unter den Habsburgern
zur Weltmacht aufgestiegen war, haben gerade die beiden Ri-
valen, die im spanisehen Erbfolgekrieg sich fast zweihundert
Jahre später als Anwärter auf den spanischen Thron und das
späte Erbe Karls V. gegenüberstanden, beide diese Folge noch
einmal ausführen lassen. Als erster Bourbone in Spanien hat
Philipp V. die Originalteppichc in der Madrider Tapisserie-
manufaktur wiederholen lassen und nach den zehn noch erhal-
tenen Originalkatrtons wurde von 1712 bis 1721 im Atelier des
Jodocus de Vos in Brüssel noch eine Serie gewirkt (Wien, Kunst-
historischcs Museum). Sie entstand im Auftrag Karls VI., der
sich so gerne mit Kaiser Karl V. in Vergleich setzte und in
vieler Hinsicht an dessen Tradition anzuknüpfen suchte, ge-
rade als dessen Erbe endgültig für das Haus Österreich ver-
lorenging.
SIGISMUND FREIHERR VON HERBERSTEIN
EIN ÖSTERREICHISCHER FORSCHER UND DIPLOMAT DER EPOCHE KARLS V.
Von WALTER
LEITSCH
Als sich in der Zeit Maximilians I. und Karls V. der geogra-
phische Horizont des gebildeten Europäers mit einer Geschwin-
digkeit ausdehnte, die nie zuvor oder nachher erreicht wurde,
leistete auch ein aus Krain gebürtiger Adeliger, der einem steiri-
sehen Geschlecht entstammte, einen bedeutenden Beitrag zur
Erweiterung der Kenntnisse von der Welt. Fuhren die anderen
über Meere und entdeckten neue Kontinente, so gewann er ein
am Rande der europäischen christlichen Welt gelegenes Land
für das Bewußtsein Europas: die nördlichen und östlichen Ge-
biete Rußlands, den Moskauer Staat.
Sigismund v. Herberstein (Abb. 1) hat außer dem berühmten Werk
über Moseovia auch noch eine Reihe kleinerer, meist autobio-
graphischer Werke und eine umfangreiche Autobiographie
hinterlassen, so daß wir uns von seinem Leben und Wirken ein
klares Bild machen können. Um seine Verdienste besser ein-
schätzen zu können, wollen wir uns kurz die Epoche vergegen-
wärtigen, in die er gestellt war. Zu Beginn der Neuzeit stießen
die an den Atlantik grenzenden Länder Westeuropas über den
Ozean vor und bereiteten die europäische Schwergewichtsverla-
gcrung nach dem Westen vor. Das Zentrum der mittelalterlichen
europäischen Welt wurde zu einem östlichen Vorposten, zumal
der alte Osten den Türken anheimfiel, also aus dem christlichen
Europa für längere Zeit ausschied. Es war eine Epoche der
äußersten Kraftanstrengung für Europa, die geistigen Werte
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wurden auf neue Grundlagen gestellt, die politische Welt wurde
umgebaut, zu gleicher Zeit wurde der Ansturm eines mächtigen
asiatischen Reiches zum Stehen gebracht und die Welt gegen den
Westen hin in einem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß und
Tempo ausgedehnt. Als nach dem Tode Kaiser Maximilians I.
seinem Enkel, dem spanischen König Karl, die österreichischen
Lande und die Kaiserwürde zufielen, schien es - zumindest
für eine kurze Zeit -, als könnte die Abwehr im Osten und
das Vordringen gegen Westen durch diesen mächtigen Fürsten
in dem Gesamtplan einer Universalmacht verbunden werden.
Die inneren Widerstände gegen die Vereinigung einer solchen
Machtfülle in einer Person waren jedoch zu groß und es über-
stieg wohl auch die Krait eines Mannes, die beiden großen euro-
päisehen Aufgaben allein zu bewältigen. Ferdinand, der jüngere,
in Spanien erzogene Bruder des Kaisers, übernahm die weitaus
weniger dankbare Aufgabe der Türkenabwehr, während sich
Karl mehr den atlantischen und mediterranen Problemen wid-
mete.
Sowohl Karl als auch Ferdinand, in den österreichischen und
osteuropäischen Geschäften unerfahren, wußtcn die Adeligen
zu schätzen, die sowohl verläßlich als auch sachkundig waren
und bereit, ihre Kräfte in den Dienst des Landesfürsten zu
stellen. Unter den Abgesandten der österreichischen Länder,
die nach dem Tode Kaiser Maximilians (jänner 1519) von den