isehe, der Freund, der Verborgene, der Reichtum verleiht, der
Schöpfer, der Züchtigcnde, der Vereinigcr."
Wollte man die Darstellungen des Teppichs mit der muslimi-
schen Gebetsordnung in Einklang bringen, dann ergäbe eine
mögliche Variante folgendes Bild: Zu Beginn des Gebetes rich-
tet der Gläubige sein Gesicht beiläufig nach der Kaaba, d. h. er
nimmt die „Qibla" ein, und legt den Teppich, dessen Mittelteil
das Abbild eines Mihrab, einer Gebetsnisehe, enthält, in eben die-
ser Richtung auf. Danach betritt er den Teppich und spricht das
Takbir: „Allah ist groß", wic es in den Spitzen der Medaillons zu
lesen ist. Die folgenden Abschnitte und Gebetshandlungcn rich-
ten sich je nach der Art des Gebetes. „Pflicht" ist die Rezitation
der „Fatiha"_. der 1. Sure, die auf unserem Teppich nicht ausge-
führt ist, sowie das „Aulsagcn" aus dem Koran. Hier ist offen-
bar der zitierte Thronvers einzusetzen. Das zu rezitiercnde Glau-
bensbekenntnis ist neben dem „Lobpreis" in den Sternen der Bor-
düre mit dem Quadratkufi enthalten. Anrufungen zum Lobpreis
Allah's, die während des Gebetes immer wieder eingestreut wer-
den, finden sich in reicher Zahl in den wabenförmig angeordne-
ten Zellen des lnnenfeldes. Mit der Ivlahnung zum Salam (an der
oberen Schmalseite der Bordüre) schließt das Gebet.
Die Gebete der Muhammcdaner bestehen nicht nur aus Worten,
sondern schließen auch eine Reihe wechselnder Handlungen ein.
Sie im Einzelnen zu beschreiben, würde den Rahmen des Auf-
satzes sprengen. Wer Näheres erfahren will, lese die oben er-
wähnte, von Mohammed ibn Brugsch in der Sammlung „Der is-
lamische Orient" II E. Band 113 herausgegebene „Abbasidische
Perle" durch, die bequemerwcise neben dem arabischen Text
auch die deutsche Übersetzung enthält.
Die Flickstcllen an unserem Teppich sind bereits vor seiner Er-
werbung durch das Museum entstanden. Sie zeigen, wie schwie-
rig die Arbeit an einem Inschriftenteppich ist. Das geht nicht nur
aus den kleinen, nicht immer geglückten Ausbesserungen der
quadratkufisehen lnschriften hervor, sondern vor allem legen
die abrupt absetzenden größeren und kleineren Flecken der Bor-
düre wie des Innenfeldes Zeugnis davon ab, dnß die Schäden
der Vergangenheit nicht in musealem Sinne, mit Rücksicht auf
die Treue des Originals, behoben wurden. Umso mehr sticht da-
von die Arbeii der ursprünglichen Fertiger ab, welche zu ihrem
Berufe nicht nur bewunderswertes handwerkliches Können,
sondern auch volles Verständnis der literarischen Stellen mit-
bringen mußten.
Die schwierige Technik der Inschriftenteppiche bedingt auch ihr
relativ seltenes Vorkommen. Tatsächlich sind vom Typ unseres
Teppichs nur zwei Exemplare bekannt, und zwar aus dem Arde-
bil-Schatz Das führte unter anderem A. U. Pope zur Vermutung,
daß diese Teppiche im 16. jahrhundert in der Provinz nördlich
von Ardebil entstanden seien.
DER MALER PEPPINO WIETERNIK
Von A. PARIS GÜTERSLOH
Fast überall befinden sich die bildenden Künstler im Streitge-
spräch über gegenständliche und ungegenständlichc Kunst. Auch
dort, wo die eine oder die andere bereits obgcsiegt hat. Dort
nämlich streiten sie im Siege weiter. Dcnn so schnell wird der
Mensch mit dem Menschen, der das Wirklichste innerhalb des
Wirklichen ist, nicht fertig, und ebensowcnig schnell befreundet
sich dic Welt der Abstraktion mit dem in sie zu Forschungs-
Zwecken eingedrungenen Körper. Kurz, die künstlerisch: Person
fühlt heilsam sich gespalten. Wie die bald ticfcr, bald flacher
Philosophicrenden in den Tagen der notwendig gewordenen Ent-
scheidung für oder gegen den neuen Gott sich gefühlt haben
mögen, jetzt guten, jetzt schlechten Gewissens; je nach dem,
von wem weg und zu wem hin sie sich geneigt haben. Und so
lerncn diese Zögerer vor dem Sichentscheiden den ganzen Um-
fang des Gewissens kennen, oder erweitern ihn sogar bis zu dcr
ihm gesetzten Grenze. Wie immer nun sic früher gehandelt
haben, sind sie um viele, wenn nicht um alle möglichen Schritte
über das Gestern hinausgekommcn, und mit der Schaffung einer
problematischen Gegenwart, durch die vorläufige Gleichsetzung
von Thesis und Antithesis, die dialektischen Hervorbringer des
Dritten geworden: einer ihrem Begriffe wieder voll entsprechen-
den Zukunft.
Wenn nun Paulus das Gegenteil von dem sagt und tut, was
Saulus gesagt und getan hat, so greift sich der Laie an den Kopf,
schwenkt er das in keiner Gcdankcnschlncht zerfetzte, sondern
nur von Motten zerfrcsscnc Panier des Logischen, klagt er die
bekehrtc Person des Unterbruchs ihres continuums an, und weist,
alle Mitlaicn überzeugend, auf den offenbaren Widerspruch hin,
der zwischen seinen gestrigen und seinen heutigen Schöpfungen
herrscht.
Wir wagen die Behauptung, dnß dieser Vorgang - unbestreitbar
der ordnungsmäßige für den gläubigen Bibclleser - auch (bei
Einhaltung der Respektsdistanz) der einzig ordnungsmäßige in
den Künsten ist. Das schnelle Zirkulieren, nämlich der Anregun-
gen am Entstchungsort des lirregenden, deutet ja auf bereits
vorhandene Knmmunikationsröhren hin, geschieht also wie die
Verbreitung von Gerüchten - Einer glaubt dem Andern noch
mehr, als der Andere schon dem Einen geglaubt hat -, oder
wie das organische Sichbildcn einer Schule, in die man dann
eben gehen muß. Die Entscheidung -- wenn im vollen Sinne des
Wortes dann noch von einer solchen die Rede sein kann -
ist sohin präformiert.
Österreich hat nun die Eigcntümlichkeit, zicmlirh weitab von
jener Welt zu liegen, in der die leidenschaftlich Fortschreiten-
den einander auf die Fersen treten, und dank diesem allerdings
sehr schmerzlichen Kontakt mit dem Nebcnmenschen die so-
genannte Entwicklung bei ihrem Begriff zu halten und die Ge-
sellschaft hei ihrer wesentlichen Tätigkeit zu zeigen: die von
den souverän sich vermeinenden Individuen gezogene Grenze
zwischen dem Ich und dem Du dauernd zu überschreiten, um
das Bild von der einen und einigen Menschheit immer anschau-
licher zu gestalten. Die Österreicher aber wollen, in der Regel,
und natürlich unbewußt - weswegen ihnen weder mit der Wahr-
heit noch mit der Lüge leicht beizukommen ist -, alles aus
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