MALEREI DES ZEN-BUDDI-IISMUS IN JAPAN
Von VIKTOR GRIESSMAIER
lm Österreichischen Museum für angewandte Kunst in
Wien findet in den Monaten jänner und Februar eine
Ausstellung statt, die ein bedeutendes kulturelles Ereig-
nis ist. Zum erstenmal haben sich japanische Privatsamm-
ler, in vorderster Reihe Herr Marquis Mnritatsu Hoso-
kawa, entschlossen, ihre sorgsam gehüteten Bilder nach
Europa zu senden und zum erstenmal wird Europa
mit einem Zweig der japanischen Malerei bekannt-
gemaeht, der selbst dem Fachmann bisher verschlossen
war. Die Ausstellung wird anschließend aueh in Köln und
Zürich gezeigt werden.
Zenga, das Wort, welches den Titel der Ausstellung bildet, ist
in Europa ungebräuchlich. Es bedeutet Malerei des Zen, einer
besonders für Japan sehr wichtigen Form des Buddhismus. Der
Begriff Zen-Malerei (Chinesisch ChZm-Malerei) aber ist dem
Abendländer, sofern er sich für ostasiatische Kunst interessiert,
durchaus geläufig. Man bezeichnet mit diesem Ausdruck jene
höchste Blüte ostasiatischer Kunst; die Tuschmalerei, die unter
dem Einfluß der Ch'an-Phil0sophie steht und deren Werke -
Landschaften, Figurenbilder oder Bilder von Tieren und Pflan-
zen - im Abbild des Einzelnen, Individuellen, Symbole des All-
gemeinen, Universellen geben; die hinter den Erscheinungs-
formen der Welt ihr Wesen ahnen lassen. Harmonische Aus-
geglichenheit und andaehtsvolle Stille sind die beglückenden
Merkmale dieser Kunst, die in der Sung-Periode Chinas (960
bis 1279 n. Chr.) ihre vollendetste und in Europa bekannteste
Ausprägung gefunden hat.
Wer mit solchen Erinnerungen und Erwartungen in die Aus-
stellung kommt, wird nur wenige Bilder finden, die seiner Vor-
stellung entsprechen und die solche Wirkungen ausstrahlen. Er
wird sieh vielmehr Bildern gegcnübersehen, voll von hin-
reißender Dynamik; berstcnd von einer bis zur Groteske und
Karikatur treibenden Ausdruckskraft; spontanen Entladungen
eines schöpferischen Impulses, die über die Skizze hinaus in
den Bereich des Stencgrammes, ja der Abstraktion verstoßen.
Er wird dann verstehen, daß der Ausdruck Zenga nicht aus
Freude am fremden Klang des Wortes gewählt wurde, sondern
weil er etwas anderes bedeutet, als die nur sprachlich gleiche
Bezeichnung Zen-Malerei.
Zen-Malerei im westlichen und Zenga im japanischen Sinn sind
zwei Schößlinge aus derselben Wurzel und daher zutiefst mit-
einander verwandt. Ihre äußere Ungleichheit beruht auf der
Verschiedenheit in der Auslegung desselben Gedankengutes, auf
dem zeitlichen Abstand voneinander, auf der Andersartigkeit der
künstlerischen Überlieferungen und Anlagen der Maler und auf
den verschiedenen Absichten, welche diese zum Schaffen an-
trieben; denn Zenga ist keine Kunst um der Ästhetik willen,
sie verfolgt vielmehr sehr bewußte Ziele.
Als der indische Prinz Gautama, der gegen 560 bis 480 v. Chr.
lebte, das ihn zutiefst erschütternde Erlebnis seiner Erleuchtung
hatte, als für ihn der quälende Gegensatz von Ich und Du, von
Individuum und Welt aufgehoben war in der Erkenntnis, daß
beides keine Realität sei, als für ihn alle Grenzen von Raum und
Zeit fielen und er eins war mit dem „vollendeten Nichts", das
keine Worte umfassen können, da blieb seiner mitleidenden
Seele nur noch eine Aufgabe, seinen Mitmenschen den Weg zu
weisen, der auch sie zu dieser Erlösung führen konnte. Das
Erlebnis der Erlösung aber mußte jeder selbst vollziehen; kein
Erlöser, auch nicht der nun Buddha, das heißt „Der Erleuch-
tete" gewordene selbst, konnte es für ihn tun. Niemand hätte
voraussagen können, daß sich in wenigen Jahrhunderten aus
dieser asketischen Lehre eine Weltreligion entwickeln werde,
eine Religion mit einem gigantischen Götterhimmel, mit einer
strengen Liturgie und Hierarchie, gespaltet in viele Richtungen
und Sonderformen, die oft nicht mehr allzuvicl Gemeinsamkeiten
miteinander haben.
Es war unausweichlich und ist leicht zu verstehen, daß eines
Tages ein Denker kam, der sich wieder auf die „reine Lehre"
des Erleuchtelen besann. Das war der indische Pzttrinrch Bodhi-
Abb. l: Suio Eihoku (1716-1789), Reisslampfcr.
Spruch: „Von Anbeginn existiert nichxs".