Rudolf Hausner: Der Nnrrcnhut, 1956.
O1 und Tempera auf Holz (65 cm i"! 55 cm)
Historisches Museum der im!!! Wien
Zentrum des Bildes gewissermaßen kreisförmig angeordnet:
die gleichsam geduckte Pyramidenform, der mühsam sich auf-
richtende Oberkörper des Aktes, die Eiform (Symbol der Ent-
wicklung, des Wachsens), die „Diabolo"- und die Zwirnspulen-
form -, sie alle kämpfen gegen die Waagrechte in den Linien
von Boden, Himmel und Horizont. Die Dreieck- oder Pyramiden-
form kehrt im Aufbau der Vordergrundszene (Scheitelpunkt
ist der Kopf der Figur) und in den Sandhügeln wieder. Wie
jeder echte Surrealist beginnt der Künstler mit spontanen Ein-
fällen, geht er von Dingmagie, von einer Konzeption der Welt
als etwas Rätselhafte-m, aus. Nur hat er den Willen, zu klären.
Hausner denkt viel, er wählt, verurteilt und preist.
Ist das noch Surrealismus, den Salvador Dali einst als „farbige
Momentphotographie der konkreten Irrationalität" definierte?
Geschieht hier nicht das Gegenteil von dem, was Max Ernst
„zu den ersten revolutionären Akten des Surrealismus" zählte,
jene Haltung, die „auf der rein passiven Rolle des ,Autors'
im Mechanismus der poetischen Inspiration mit allem Nach-
druck bestand und jede ,aktive' Kontrolle durch Vernunft, M0-
ral oder ästhetische Erwägungen als inspirationswidrig" dar-
stellte?
Das Zusammentreffen zweier „scheinbar wesensfremder Ele-
mente auf einem ihnen wesensfremden Plan" (das Nebenein-
ander von Spielzeug und liiform inmitten der Wüste zum Bei-
spiel) gibt es auch bei Hausner. Nur steht es hier nicht um
seiner selhst willen da (weil es so schön fremdarlig ist) -
nicht allein der „poetischen Zündung" wegen -, sondern als
Teil eines Berichts. Bei näherem Zusehen erweist es sich als
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Parabel und Hausners phantastische Welt als ein wirklicher
Schauplatz, auf dem menschliches Ringen um Befreiung ab-
läuft. Der Surrealismus tut sich viel darauf zugute, von Freud-
scher Psychoanalyse abzustammen. 7.u den Paradoxien des Ver-
hältnisscs zwischen Hausner und den Surrealisten gehört, daß
er, gerade weil er die Malerei des Surrealismus „umkehrt",
gewissermaßen der erste „psychoanalytische" Maler ist. Freud
wollte sich ja nicht damit begnügen, die Menschen der Faszina-
tion durch das irrationale auszusetzen. Es kam ihm vielmehr
darauf an, den „Primat der Vernunft" herzustellen, die un-
bewußtcn Seelenvorgänge ins Licht des Bewußtseins zu heben.
Die Schriften von Freud, jung, Dostojewski fesseln Hausner.
Biologisch-soziologische Problematik zieht ihn an, und in einem
weiten, umfassenden Sinne ist er an der Durchdringung des
Verhältnisses von Natur und Kultur, von Vernunft und Lebens-
kraft interessiert. Er denkt dialcktisch, geht an der Wider-
sprüchlichkeit der Dinge nicht vorbei. Die kreißendc, schrei-
ende „Anima" (1947) findet sich in eine Welt von aufgeschnit-
tenem Wabenzeug und Zahlensiitilcn, worauf 'l'rztpev.künstler
turnen - _)ongleure der Zivilisation -, versetzt. Vernunft kann
Unsinn, Wohltat Plage werden.
Vernunft tritt als Gefaßtheil auf in dem großen Gemälde „Die
Arche des Odysseus" (1949l56), Hausners umfassendster und
größter Tafel. Sie ist ein Wunderwerk der Malerei und die
Quintessenz von Erlebnissen eines modernen Irrfahrers, der
ruhig und mutig vor dem Gehäuse steht, das von innen und
außen gezeigt wird, und worin er sein Schicksal weiß. Mit
diesem Schiff fährt er durch das Meer zeitgenössischer Ereig-