DIE
ANFÄNGE
DER
WIENER
SECESSION
HANS
ANKWICZ VON KLEEHOVEN
Als die „Vereinigung bildender
Künstler Österreichs Secession" am
22. November 1939 vom Dritten Rei-
che aufgelöst wurde, da schien ein
wichtiges und ruhmvolles Kapitel
der jüngsten österreichischen Kunst-
geschichte zu vorzeitigem Abschluß
gebracht. Allein der erzwungene
Stillstand sollte nicht allzu lange
dauern. Schon 1945 begann unter
Josef H o ffm a n n s Leitung der
Wiederaufbau des bombenzcrstör-
ten Olbrieh-Hauses und im April
1946 konnten die Secessionisten be-
reits, wenn auch noch nicht unter
eigenem Dache, ihre erste Ausstel-
lung eröffnen. Damit war ein neues
Blatt in der Geschichte der Vereini-
gung aufgeschlagen und ein Anlaß
geboten, einmal auch ihren noch
sehr im Dunkeln liegenden Anfän-
gen nachzugehen. Da die gedruckte
Literatur hierüber nur sehr geringe
Aufschlüsse gewährte, blieb nichts
übrig, als sich an jene damals noch
lebenden Künstler zu wenden, wel-
che die Gründungszeit der Sccession
mitgemacht hatten. Es waren durch-
wegs alte Herren zwischen 75 und
85 Jahren, die mir aber bereitwil-
ligst Auskunft gaben, und ich
möchte es nicht versäumen, meine
Gcwiihrsmänner - es waren dies
die Maler Sigmund Walter H am-
pel, Josef Edgar Kleinert, ju-
hann Viktor Kriim e r,1 Carl Moll?
und Oberbaurat Prof. Dr. Josef
Hoffmann - an dieser Stelle zu
erwähnen, da ich ihren Mitteilungen
wertvolle Hinweise verdanke.
In der zweiten Hälfte des tlljahr-
hunderts gab es in Europa zwei
Zentren. von denen die Erneuerung
des Kunstlebens ihren Ausgang
nahm: Paris und London. In Paris
war dem Naturalismus in den sieb-
ziger jahren der Impressionismus
und Pleinairismus gefolgt, der die
Technik der Malerei und Graphik,
ja sogar die Formgebung der Pla-
stik auf eine völlig neue Grundlage
stellte.
Das andere Zentrum war London,
wo die Bestrebungen der Präraffae-
liten zu einem durchgreifenden Ge-
sinnungswandel auf dem Gebiete
der angewandten Kunst führten. Um
dem verderblichen Einfluß der ma-
schinellen Herstellung unseres Haus-
geräts entgegenzuwirken, hatte sich
eine ganze Reihe von Künstlern, wie
William M 0 r r i s, Walter C r a n e
und Burne jo n e s mit verschiede-
nen Handwerksteehniken, insbeson-
dere der Teppichweberei, der Töp-
ferei, dem Buchdruck und der Buch-
binderei vertraut gemacht und da-
mit begonnen, nach eigenen Ent-
würfen Wirktcppiche, Keramiken
und mit Holzschnitten verzierte Bü-
cher herzustellen. Aus dem Zusam-
menschluß dieser gleichgesinnten
Kräfte entstand die Guild of Handi-
craft im Essex-House, ein von Char-
les R. A s h b e e geleiteter Kunst-
handwerkerverband. 1891 gründete
Morris seine berühmte Kelmseott
Press, in welcher er eigenhändig den
Druck und das Einbinden der Bü-
cher besorgte, während Burne jo-
nes die Holzschnitte dazu lieferte.
Über den gotischen Stil, den Rus-
kin anfangs befürwortet hatte, war
man längst zu einem eigenen, mo-
dernen Stil übcrgegangen, der sich
rasch auf die Malerei und Graphik
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übertrug. Dazu kam noch die von
"Aubrey Beardsley in die Buch-
illustration eingebürgerte Schwarz-
Weiß-Technik. So konnte man um
1890 mit Fug und Recht von einem
neuen „englischen Stil" sprechen,
dessen Herold die 1893 gegründete
Londoner Kunstzeitschrift ,.The
Studio" wurde, deren grüne llefte
in die ganze Welt gingen und über-
all mit der größten Begeisterung
aufgenommen wurden. Im selben
Jahre 1893 machte auch die Welt-
ausstellung in Chicago zum ersten-
mal mit den Prinzipien eines zeitge-
mäßen, praktischen und hygieni-
schen Wohnstiles bekannt, der den
Kontinent stark beeindruckte. Von
hier nahmen Adolf Loos' puritani-
sehe Grundsätze, z. B. daß „Orna-
ment Verbrechen sei", ihren Aus-
gangspunkt.
Ein dritter Faktor, der für die Ent-
stehung eines neuen Stils von Be-
deutung wurde, war die von Frank-
reich ausgehende Vorliebe für den
japanischen Farbenholzschnitt mit
seinem vereinfachten Lineamcnt,
seiner betonten Flächenhitftigkeit
und seiner Schattenlosigkeit, die
dem Pleinairismus so sehr ent-
sprach. Auch das Stilisieren von
Pflanzenformen lernte man von den
japanern. Das führte im sogenann-
ten nlugcndstil" - so hieß er nach
der ihn eifrig fördernden Münche-
ner Zeitschrift Jugend" - zu einer
eigenen „floralen" Richtung, die der
in Weimar wirkende Henry van de
Velde vertrat, während der llam-
burger Otto Eckmann einem
mehr abstrakten, linearen Dekor zu-
neigte, das in der mit Ausdruck ge-
ladenen „Gefühlslinie" gipfelte.
Während man in Mitteleuropa von
den englischen Errungenschaften
meist nur durch Bücher und Zeit-
sehriften Kenntnis erhielt, machte
sich der Pariser Einfluß auf direk-
tem Wege geltend, da sich in der
zweiten Jahrhunderthiilfte zahlrei-