Der kleine Gustinus begann nun zu modellieren. ()hne eine Schule zu besuchen,
lernte er an den Aufgaben seiner älteren Brüder, die er machte, lesen und schreiben.
Mit 13 Jahren las er die Bibel, Platon, Dante, Aischylos, Horaz, Nietzsche, die
Evangelien und die Bekenntnisse des Marcus Aurelius und galt als Wunderkind.
Zur selben Zeit wurde er Lehrling bei einem Dekorationsbildhauer in Prag,
wo er in Gips, Zement, Tun, Marmor arbeiten und früh die Miihsale des Hand-
werks kennen lernte. Mit 15 Jahren verlor er seinen Vater, der in geistiger Um-
nachtung starb. Die Familie, seit 1798 nach Graz zuständig, zog dorthin. Der
junge Ambrosi arbeitete bei drei Dekorationsbilclhauern weiter und besuchte
die Staatsgewerbeschule. Nachts bei Kerzenschein entstanden seine eigentlichen
XVerke.
Das Erlebnis des Todes löste in Arnbrosi sein erstes gültiges Werk aus. Als er
im dritten Stockwerk eines Neubaues am Zierat der Fassade arbeitete, glitt ober
ihm am Dachstuhl ein junger Dachdecker aus und stürzte am entsetzten Ambrosi
vorbei iäh in die Tiefe, wo er auf dem Pilaster mit gebrochenem Genick liegen
blieb. „Der Anblick des Entseelten, der mit geöffnetem Munde dalag, als wollte
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er noch etwas 7 das Letzte 7 7 7 sagen", ergrilT den jungen Ambrosi so
mächtig, daß er den „Mann mit dem gebrochenen Genick" schuf (1909), sein
erstes gültiges Frühwerk. Ambrosi sandte es in die Ausstellung der Genossen-
schaft Bildender Künstler Steiermarks (1910) und wurde 7 noch als Lehrling - 7
ordentliches Mitglied. 1912 fand Ambrosis erste Kollektivausstellung mit 42 Wer-
ken im Grazer Landesmuseum statt, er erhielt den Staatspreis für Plastik der
ÖÖsterreichischllngarischen Monarchie, und der Kaiser verlieh ihm aufLebenszeit
ein Staatsatelier im Wiener Prater.
Obwohl Ambrosi dann in ganz Europa Kullektivausstellungen veranstaltete,
blieb Wien der Mittelpunkt seines schöpferischen Tuns. Hierher kehrte er immer
wieder zurück, wenn er auch oft Monate und Jahre an anderen Stätten arbeitete:
in Paris, Rum, Florenz, in Basel, Zürich und St. (jallen, in Antwerpen, Brüssel
und Amsterdam, in Köln und Budapest, in Graz und Innsbruck. Alles, was
im Ausland geschaffen wurde, ward in seinen drei Wiener Ateliers ausgeführt.
lm ersten Weltkrieg und zwischen den beiden Weltkriegen entstanden in Wien
viele Kolossalwerke: Der upfernde Abel (1917), ErschaEung Adams (1919),
Promethidenlos (1917-1918), Kain (1922), Die Erkenntnis (1923), Jupiter und
Jo (1920), verschiedene Versionen von Orpheus und Eurydice wie vom heiligen
Sebastian (1916 1927), Orpheus (1929), Mutter Erde (1930) usw. Alle diese
Werke sind aber aus den Namen allein nicht zu begreifen, es sind, wie Ambrosi
sagt, „menschliche Bestimmungen, die seit Jahrmillionen im menschlichen Wesen
immer wiederkehren".
Wlien ist seit 1912, also schon ein halbes Jahrhundert, Ambrosis Heimat, er
unterschreibt sich seit je: „Ambrosi, Bildhauer in Wien."
Neben den großen Werken, denen seine künstlerische Sehnsucht gehört, schuf
Ambrosi seit 1906 weit über 600 Porträtbüsten, die ihn zum plastischen Por-