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Volltext: Alte und Moderne Kunst VIII (1963 / Heft 71)

VOJTECH TILKOVSKY 
Die Iirforrrblulg der Leuttrlmuer Plauplallar: 
17er Hauptallar der Pfarrkirch: zu 
St. Jakob in Leuuchau (Lcvoca, Üsrslrxwzkei) 
mit geöffneten Flugeln. Lindunholz. 
Die kunstgeschichtliche Erforschung des Hauptaltars der Pfarrkirche 
zu St. Jakob in Leutschau (Levoöa, Ostslowakei), eines der Haupt- 
werke der mitteleuropäischen Spätgotik und zugleich des höchsten 
gotischen Flügelaltars iiberhauptl), begann vor ungefähr 100 Jahren, 
als der tschechische Geschichtslehrer Vaclav Merklas die Beschreibung 
der mittelalterlichen Kunstwerke der Kirche unternahml). Frühere 
Beschreibungen 3) befaßten sich mit dem Hauptaltar noch nicht vom 
kunstgeschichtlichen Standpunkt aus; erst Merklas versuchte das Werk 
zu analysieren, erkannte im Altar stilistische Zusammenhänge mit dem 
Krakauer Marienaltar des Veit Stoß und schrieb das Werk dessen 
Schule zu, wobei er die persönliche Mitarbeit des Meisters nicht für 
ausgeschlossen hielt. VUas das Entstehen des Altars anbelangt, stützte 
sich Merklas auf eine Aufzeichnung in Caspar Hains Zipserischer 
Chronik 4), laut welcher „Anno 1508 hatt tnann dass grosse Altar zu 
Leutsch mit der Tatfel zugedeckt", und betrachtete dieses Jahr als den 
Zeitpunkt, zu dem die AltarHügel eingehängt uncl damit der Altarbau 
beendet Wurde5). Auch die Vergoldung des Altars, die laut einer 
weiteren Aufzeichnung der Chronik während der Kirchenvaterschaft 
eines gewissen Melchior Messingschlager vorgenommen wurde 6), 
konnte nach Merklas, Vermutung im Jahre 1508 durchgeführt worden 
sein. 
Die darauf folgende zeitgenössische Geschichtsschreibung - - sowohl 
die deutsche als auch die ungarische und die polnische - widmete 
dem Altar bereits die ihm gebührende Aufmerksamkeit7), stützte 
sich jedoch ausschließlich auf Merklas' Ansichten und Folgerungen; 
so wurde Veit Stoß allgemein als Schöpfer des Altars betrachtet und 
das Jahr 1508 als das Jahr der Vollendung des Werkes bestimmt. 
Diese Thesen waren jedoch von kurzer Lebensdauer. Gegen Ende der 
siebziger Jahre entdeckte der Leutschauer Pfarrer Paul Still eine Grab- 
schrift an der östlichen Außenseite des südlichen Kirchenvorraums, 
die unter den Ahnen der Familie des Steinmetzen Martin Urbanowitz S) 
einen gewissen Meister Paul als Schnitzer des Hauptaltars erwähnt9). 
Diese Entdeckung veröffentlichte der ungarische Geschichtsforscher 
Imre Henszlrnannlo). Dadurch trat Meister Paul als Schöpfer des 
Leutschauer Hauptaltars in die Kunstgeschichte ein,und somit begann 
eine neue, leidenschaftliche Forschung in dieser Richtung. 
Eine große Anzahl von bedeutenden deutschen, polnischen und un- 
garischen Kunstgeschichtlern widmete sich von nun an der Paul-Frage, 
die zu einer Schlüsselfrage der spätgotischen Altarbaukunst in Mittel- 
europa geworden war. Sie versuchten Pauls Werk und Tätigkeit zu 
bestimmen, diese künstlerisch zu werten und die Persönlichkeit des 
Meisters zu evozieren. Nachdem aber das Stadtarchiv von Leutschau 
bereits im Jahre 1550 durch eine Feuersbrunst völlig vernichtet wurde, 
konnten die übrigen Quellen nur mit geringem historischem Material 
zur Klärung der Frage beitragen. Hiezu kam noch die Tatsache, daß 
der immer schlechter werdende Zustand des Altars, der trotz teilweiser 
Restaurierungen I1) nach dem zweiten Weltkrieg bereits mit Zusammen- 
brechen drohte, kein gründlicheres Studium des Werkes zuließ. Damit 
ist es zu erklären, daß die Forschung sich mehr auf Hypothesen als 
auf konkretes Wissen stützte und in ihren Resultaten von der Richtig- 
keit der angewendeten Methoden, von der Stufe der wissenschaftlichen 
Akribie, lnvention und Phantasie der Forscher abhängig war. 
Die in der Grabschrift angeführten Familienbeziehungen gaben bereits 
Henszlmann den Impuls, die Lebensgrenzen des Meisters Paul zu 
berechnen und daraus Folgerungen auf die Zeit des Altarbaus zu 
ziehen. Ein Fehler, den er in der Deutung des lateinischen Textes 
beging, verursachte jedoch eine Verschiebung der Generationen und 
gab ihm Grund zur Behauptung, daß der Altar nicht vor dem Jahre 1515 
entstehen konnte. Henszlmanns Irrtum in der Zeitrechnung wurde erst 
ein Vierteljahrhundert später von Kornel Divaldll) erkannt; bis 
dahin akzeptierte die europäische Kunstgeschichte Henszlmanns 
Behauptungen, und nur Peter Gereczell) griff noch zu Merklas' An- 
sichten zurück. 
Zu einer späteren Datierung des Altars gelangten in ihren Folgerungen 
auch Berthold Daun14), Andras Peterß) und Antal Kampis 16), und 
zwar sowohl auf Grund stilistischer Erwägungen als auch auf Grund 
der Annahme, daß Meister Paul früher in Nürnberg in der Stoß- 
Werkstatt tätig gewesen wäre. Seine Beziehungen zu Veit Stoß wurden 
dabei auf verschiedenste Weise gedeutet. 
Henszlmann vertritt noch die Ansicht, daß Paul aus der Krakauer 
Stoß-Werkstatt hervorgegangen wäre. Dies behauptete auch Felix 
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