Die Bronzeschuhe haben viel Gemeinsames,
und das große Mittelmotiv auf der Zarge
wiederholt bei Riesener in einfacherer Form
den gleichen kompositionellen Grundgedan-
ken. Doch ist alles auf dem Wiener Eckschrank
viel reicher formuliert und von einem durch-
gehenden Bewegungszug gekennzeichnet, wes-
halb er früher anzusetzen wäre.
ln auffallendem Gegensatz dazu steht die
wesentlich klassizistischere Auffassung der
Glasmalercien. Für diese Diskrepanz gibt es
verschiedene Erklärungen. Man kann darin
entweder das bezeichnende Merkmal für eine
Arbeit aus der Übergangszeit zwischen zwei
Stilrichtungen sehen oder vermuten, daß die
Malereien aus einem heute nicht mehr fest-
stellbaren Grund später hinzugefügt wurden.
Da sich nur neben Criards Stempel das Be-
schauzeichen der Zunft (JME) befindet, dürfte
der Bau des Möbels und die Anbringung der
Beschläge durch ihn erfolgt sein. Auch der
Stil der Bronzen spricht dafür, war Criard
doch aus einer bedeutenden Werkstatt der
Rokoktizeit (der seines Vaters) hervorgegan-
gen. Lieutauds Beteiligung hätte demnach mit
der Anbringung der Glasmalereien in Zu-
sammenhang gestanden. Er könnte aber auch
seinen Namensstempel nach einer von ihm
durchgeführten Reparatur angebracht haben,
wie das in zahlreichen Fällen zu geschehen
pflegte. Obzwar also die Frage nach dem Anteil
der beiden Meister nicht mit Sicherheit be-
antwortet werden kann, ist doch allein die
Tatsache, daß zwei so bedeutende Ebenisten
an der Herstellung mitgewirkt. haben, ganz
zu schweigen von der höchst seltenen Art der
Dekoration, Grund genug, um dieses Möbel
als eine besonders interessante Arbeit der
Pariser Ebenisterie in der Fachliteratur bekannt-
zumachen.
Schreibtisch, Abbildung 6-9
Auf der Unterkante der Zarge gestempelt:
L. BOUDIN JME; in der Lade gestempelt:
L. MOREAU JME. -Datierung: 1765-1772.
- - Das Tischblatt mit reicher Blumenmarkete-
rie intarsiert. Der Grund aus Mahagonifurnier,
die Marketerie aus Buchsbaumholz und ge-
färbten Hölzern; das gilt auch für die lntarsien
der Bordüre, nur ist hier der Grund aus Ahorn-
holz. Die äußere Bordüre aus querfurniertem
Rosenholz und die beiden Einfassungen aus
dunklem Veilchenholz, eine Kombination, die
sich an den Beinen wiederholt. Um die mit
Veilchenholz furnierte Zarge läuft ein in
Achterschlingen gelegtes Band aus vergolde-
ter Bronze. Die eigentliche Schreibplatte ist
unter dem Tischblatt eingeschoben und kann _
mittels eines Bronzeknopfes nach vorne heraus-
gezogen werden. Auch für die Unterbringung
von Briefschaften und Schreibzeug ist gesorgt,
da der Tisch eine seitliche Lade mit schmalem,
unterteiltem Fach für Tintenfaß, Streusand-
büchse und Feder enthält. Öffnet man die Lade,
so wird auf deren Bodeniiäche Moreaus
Signatur sichtbar. Der Bau des Möbels sowie
die Lade durchwegs aus Eichenholz. -
ll. 71,5, B. 80, T. 45 cm.
Leonard Boudin (1735-1804, lNIeister 1761)
scheint sich zunächst recht ärmlich im Fau-
bourg St. Antoine, dem Tischlerviertel von
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Paris, weitergebracht zu haben. Eine Wendung
zum Besseren trat erst ein, als der angesehene
Ebenist und Möbelhändler Pierre Migeon
einige größere Bestellungen bei ihm in Auf-
trag gab. Damit schuf sich Boudin die Vor-
aussetzungen, um den Meistertitel zu erlangen
und eine eigene Werkstatt aufzumachen (1761).
Von da an begann sein Aufstieg, denn cr hatte
aus den bisherigen Erfahrungen gelernt und
setzte sich nun auch mit anderen Möbelhänd-
lern in Verbindung. Bald war seine Werkstatt
so bekannt - seit 1770 wird er im Alrra 12Cl1
Dauphin als ein „artisan fameux" bez;ichnet -
und die Zahl der Aufträge so groß, daß er es
sich leisten konnte, im Jahre 17725 selbst ein
Möbelgeschäft aufzumachen. Zu den Möbel-
handlern, mit denen er in Verbindung stand,
gehörte auch Louis Moreau (Meister seit 1764,
gest. 1791). Mit Hilfe dieser beiden Signaturen
wird der fragliche Zeitraum für die Entstehung
des kleinen Schreibtisches auf die Spanne
zwischen den späteren sechziger Jahren und
1772 eingeengt. Denn es ist kaum anzunehmen,
daß Boudin als erfolgreicher Ebenist und
Möbelhändler seine eigenen Erzeugnisse einem
Konkurrenten weitergegeben hätte, der nun
seinen Stempel an einem prominenten Platz
anbrachte, während er selbst an schwer zu-
gänglicher Stelle unter der Zarge signierte.
Daraus geht aber auch hervor, daß dieser
Tisch eine eigenhändige Arbeit Boudins ist,
was später, als andere Ebenisten für ihn tätig
waren, viel seltener der Fall war. Diese An-
nahme wird durch die qualitätvolle Ausfüh-
rung der Marketerie bestätigt, da er sich auf
dieses Genre spezialisiert hatte, seit er die
seinerzeitigen Lieferungen für Migeon über
dessen ausdrücklichen Wunsch und mit so
viel Erfolg mit Blumenmarketerie ausgestattet
hatte.
Eckschrank, Abbildung 10-12
Unter der Marmorplatte gestempelt: IDUBOIS
JME. - Datierung: um 1765. - Ebenholz-
furnier; auf der Türe ein japanisches Lack-
panneau mit Goldmalerei auf schwarzem
Grund in Bronzerahmen; vergoldete Bronze-
beschläge; der Bau des Möbels aus Eichen-
holz; weiße Marmorplatte. H. 89, B. 78,
T. 57 cm.
Obwohl das Möbel die Signatur von Jacques
Dubois (1693-1763, Meister 1742) trägt, ist
es gewiß nicht von ihm, sondern von seinem
Sohn, Rene Dubois (1737-1799, Meister
1755), ausgeführt worden. Letzterer führte
nach dem Tode seines Vaters die Werkstatt
gemeinsam mit seiner Mutter fort, welche
nominell die Leitung des Unternehmens inne-
hatte. Die bisherige Signatur wurde beibehal-
ten, um sich von einem anderen, Rene Dubois
genannten Tischler zu unterscheiden. Wlas
Jacques Dubois für die Epoche des Louis-
Quinze war, das wurde sein Sohn für den Stil
Louis-Seize: „un des premiers ebenistes de la
capitale", wie er seit 1772 in den „Tablettes
de Renommee" genannt wird. Die gediegene
Ausbildung, die ihm von seinem Vater mit-
gegeben wurde, hat er zu vollendeter Meister-
schaft entwickelt. Der Eckschrank, ein Haupt-
stück der Wiener Sammlung, ist ein hervor-
ragendes Beispiel dafür. Bezeichnend für ein
Möbel von Dubois' Hand ist die exakte Aus-
führung der Tischlerarheit und das schöne
Zusammenspiel der Lackmalerei mit den viel-
fältigen Formen und Motiven der (loldbron-
zen, die sich von dem strengen Schwarz des
Ebenholzes effektvoll abheben. (iewiß könnte
dieses kostbare Möbel jedem Museum von
internationalem Rang zur Zierde gereichen.
Und tatsächlich befinden sich im Cleveland
Museum of Art (USA) zwei Eckschränke, die
mit Ausnahme eines geringfügigen Details bis
in alle Einzelheiten haargenau mit dem Wiener
Stück übereinstimmen 6. Die erwähnte Aus-
nahme bilden die Akanthusblätter in den Ecken
des Rahmens der Lackmalerei.
Kommodentisch, Abbildung 13-15
Auf der Unterkante der Zarge gestempelt:
P. PIONIEZJME. - Datierung: 1770-1780.
- Für die Furniere wurden verwendet:
Mahagoni-, Veilchen-, Rosen- und Ahornholz.
Die Marketerie aus Buchsbaumholz und ge-
färbten Hölzern; der Bau und die Lade aus
Eichenholz. - H. 69,5, B. 47, T. 33 cm.
Man nannte einen derartigen Ablagetisch all-
gemein Table en chi-ffonnicre oder Table en
cornrnode, wenn er, wie in unserem Falle, mit
mehreren Laden ausgestattet war. Da diese
Möbel nicht an der Wand, sondern neben
einem Fauteuil oder einer Chaise-longue frei
im Zimmer standen, wurden sie auch an der
Rückseite mit Marketerie verziert. Die hier
verwendete Art stillebenhafter lntarsienbilder
tritt bereits auf Möbeln der Übergangszeit
vom Louis-Quinze zum Louis-Seize (Style
transition) auf und war dann besonders in den
siebziger Jahren, also im ersten Jahrzehnt des
vollentwickelten Louis-Seize, sehr beliebt. Die
Form der Vasen mit den Blütenzweigen und
die ganze Auffassung der Darstellung zeigt
deutliche Anklänge an ostasiatische Vorbilder
und ist ein Zugeständnis an die Chinamode
jener Zeit. Abgesehen davon, daß Gefäße und
behälterähnliche Formen aus China impor-
tiert wurden, finden sich diese Gegenstände
in nahezu gleichlautender Wiedergabe auch
auf Lackarbeiten, z. B. auf Setzschirmen aus
Koromandellack, wobei sie oft zur Verzierung
der Randbordüren verwendet wurden7. Da
sich von Pioniez hauptsächlich kleine Möbel
erhalten haben, scheint er für diese Sparte
spezialisiert und wohl in erster Linie für
Händler tätig gewesen zu sein. Abgesehen
vom Format, ist das Wiener Stück aber auch
wegen der Marketerie ein „charakteristischer
Pionez". Sowohl der intarsierte Fries, ein
Band nach Art der „laufenden llunde", alter-
nierend mit reziproken Glockenblumen, wie
auch die lntarsienbilder finden sich so oft auf
Möbeln von ihm, daß allein schon diese
Dekoration als ein Kennzeichen für eine
Arbeit aus seiner Werkstatt gelten kann 9.
Kommode, Abbildung 16-19
Unter der Marmorplatte gestempelt: M. CAR-
LIN JME. - Datierung: um 1775. - Die
Signatur ist absichtlich schwer lesbar gemacht.
Ebenholzfurnier; an der Front und den beiden
Seitenwänden (Häuptern) japanische Lack-
panneaux mit Goldmalerei auf schwarzem
Grund in Bronzerahmen; vergoldete, zum