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Volltext: Alte und Moderne Kunst X (1965 / Heft 78)

Die Bronzeschuhe haben viel Gemeinsames, 
und das große Mittelmotiv auf der Zarge 
wiederholt bei Riesener in einfacherer Form 
den gleichen kompositionellen Grundgedan- 
ken. Doch ist alles auf dem Wiener Eckschrank 
viel reicher formuliert und von einem durch- 
gehenden Bewegungszug gekennzeichnet, wes- 
halb er früher anzusetzen wäre. 
ln auffallendem Gegensatz dazu steht die 
wesentlich klassizistischere Auffassung der 
Glasmalercien. Für diese Diskrepanz gibt es 
verschiedene Erklärungen. Man kann darin 
entweder das bezeichnende Merkmal für eine 
Arbeit aus der Übergangszeit zwischen zwei 
Stilrichtungen sehen oder vermuten, daß die 
Malereien aus einem heute nicht mehr fest- 
stellbaren Grund später hinzugefügt wurden. 
Da sich nur neben Criards Stempel das Be- 
schauzeichen der Zunft (JME) befindet, dürfte 
der Bau des Möbels und die Anbringung der 
Beschläge durch ihn erfolgt sein. Auch der 
Stil der Bronzen spricht dafür, war Criard 
doch aus einer bedeutenden Werkstatt der 
Rokoktizeit (der seines Vaters) hervorgegan- 
gen. Lieutauds Beteiligung hätte demnach mit 
der Anbringung der Glasmalereien in Zu- 
sammenhang gestanden. Er könnte aber auch 
seinen Namensstempel nach einer von ihm 
durchgeführten Reparatur angebracht haben, 
wie das in zahlreichen Fällen zu geschehen 
pflegte. Obzwar also die Frage nach dem Anteil 
der beiden Meister nicht mit Sicherheit be- 
antwortet werden kann, ist doch allein die 
Tatsache, daß zwei so bedeutende Ebenisten 
an der Herstellung mitgewirkt. haben, ganz 
zu schweigen von der höchst seltenen Art der 
Dekoration, Grund genug, um dieses Möbel 
als eine besonders interessante Arbeit der 
Pariser Ebenisterie in der Fachliteratur bekannt- 
zumachen. 
Schreibtisch, Abbildung 6-9 
Auf der Unterkante der Zarge gestempelt: 
L. BOUDIN JME; in der Lade gestempelt: 
L. MOREAU JME. -Datierung: 1765-1772. 
- - Das Tischblatt mit reicher Blumenmarkete- 
rie intarsiert. Der Grund aus Mahagonifurnier, 
die Marketerie aus Buchsbaumholz und ge- 
färbten Hölzern; das gilt auch für die lntarsien 
der Bordüre, nur ist hier der Grund aus Ahorn- 
holz. Die äußere Bordüre aus querfurniertem 
Rosenholz und die beiden Einfassungen aus 
dunklem Veilchenholz, eine Kombination, die 
sich an den Beinen wiederholt. Um die mit 
Veilchenholz furnierte Zarge läuft ein in 
Achterschlingen gelegtes Band aus vergolde- 
ter Bronze. Die eigentliche Schreibplatte ist 
unter dem Tischblatt eingeschoben und kann _ 
mittels eines Bronzeknopfes nach vorne heraus- 
gezogen werden. Auch für die Unterbringung 
von Briefschaften und Schreibzeug ist gesorgt, 
da der Tisch eine seitliche Lade mit schmalem, 
unterteiltem Fach für Tintenfaß, Streusand- 
büchse und Feder enthält. Öffnet man die Lade, 
so wird auf deren Bodeniiäche Moreaus 
Signatur sichtbar. Der Bau des Möbels sowie 
die Lade durchwegs aus Eichenholz. - 
ll. 71,5, B. 80, T. 45 cm. 
Leonard Boudin (1735-1804, lNIeister 1761) 
scheint sich zunächst recht ärmlich im Fau- 
bourg St. Antoine, dem Tischlerviertel von 
30 
Paris, weitergebracht zu haben. Eine Wendung 
zum Besseren trat erst ein, als der angesehene 
Ebenist und Möbelhändler Pierre Migeon 
einige größere Bestellungen bei ihm in Auf- 
trag gab. Damit schuf sich Boudin die Vor- 
aussetzungen, um den Meistertitel zu erlangen 
und eine eigene Werkstatt aufzumachen (1761). 
Von da an begann sein Aufstieg, denn cr hatte 
aus den bisherigen Erfahrungen gelernt und 
setzte sich nun auch mit anderen Möbelhänd- 
lern in Verbindung. Bald war seine Werkstatt 
so bekannt - seit 1770 wird er im Alrra 12Cl1 
Dauphin als ein „artisan fameux" bez;ichnet - 
und die Zahl der Aufträge so groß, daß er es 
sich leisten konnte, im Jahre 17725 selbst ein 
Möbelgeschäft aufzumachen. Zu den Möbel- 
handlern, mit denen er in Verbindung stand, 
gehörte auch Louis Moreau (Meister seit 1764, 
gest. 1791). Mit Hilfe dieser beiden Signaturen 
wird der fragliche Zeitraum für die Entstehung 
des kleinen Schreibtisches auf die Spanne 
zwischen den späteren sechziger Jahren und 
1772 eingeengt. Denn es ist kaum anzunehmen, 
daß Boudin als erfolgreicher Ebenist und 
Möbelhändler seine eigenen Erzeugnisse einem 
Konkurrenten weitergegeben hätte, der nun 
seinen Stempel an einem prominenten Platz 
anbrachte, während er selbst an schwer zu- 
gänglicher Stelle unter der Zarge signierte. 
Daraus geht aber auch hervor, daß dieser 
Tisch eine eigenhändige Arbeit Boudins ist, 
was später, als andere Ebenisten für ihn tätig 
waren, viel seltener der Fall war. Diese An- 
nahme wird durch die qualitätvolle Ausfüh- 
rung der Marketerie bestätigt, da er sich auf 
dieses Genre spezialisiert hatte, seit er die 
seinerzeitigen Lieferungen für Migeon über 
dessen ausdrücklichen Wunsch und mit so 
viel Erfolg mit Blumenmarketerie ausgestattet 
hatte. 
Eckschrank, Abbildung 10-12 
Unter der Marmorplatte gestempelt: IDUBOIS 
JME. - Datierung: um 1765. - Ebenholz- 
furnier; auf der Türe ein japanisches Lack- 
panneau mit Goldmalerei auf schwarzem 
Grund in Bronzerahmen; vergoldete Bronze- 
beschläge; der Bau des Möbels aus Eichen- 
holz; weiße Marmorplatte. H. 89, B. 78, 
T. 57 cm. 
Obwohl das Möbel die Signatur von Jacques 
Dubois (1693-1763, Meister 1742) trägt, ist 
es gewiß nicht von ihm, sondern von seinem 
Sohn, Rene Dubois (1737-1799, Meister 
1755), ausgeführt worden. Letzterer führte 
nach dem Tode seines Vaters die Werkstatt 
gemeinsam mit seiner Mutter fort, welche 
nominell die Leitung des Unternehmens inne- 
hatte. Die bisherige Signatur wurde beibehal- 
ten, um sich von einem anderen, Rene Dubois 
genannten Tischler zu unterscheiden. Wlas 
Jacques Dubois für die Epoche des Louis- 
Quinze war, das wurde sein Sohn für den Stil 
Louis-Seize: „un des premiers ebenistes de la 
capitale", wie er seit 1772 in den „Tablettes 
de Renommee" genannt wird. Die gediegene 
Ausbildung, die ihm von seinem Vater mit- 
gegeben wurde, hat er zu vollendeter Meister- 
schaft entwickelt. Der Eckschrank, ein Haupt- 
stück der Wiener Sammlung, ist ein hervor- 
ragendes Beispiel dafür. Bezeichnend für ein 
Möbel von Dubois' Hand ist die exakte Aus- 
führung der Tischlerarheit und das schöne 
Zusammenspiel der Lackmalerei mit den viel- 
fältigen Formen und Motiven der (loldbron- 
zen, die sich von dem strengen Schwarz des 
Ebenholzes effektvoll abheben. (iewiß könnte 
dieses kostbare Möbel jedem Museum von 
internationalem Rang zur Zierde gereichen. 
Und tatsächlich befinden sich im Cleveland 
Museum of Art (USA) zwei Eckschränke, die 
mit Ausnahme eines geringfügigen Details bis 
in alle Einzelheiten haargenau mit dem Wiener 
Stück übereinstimmen 6. Die erwähnte Aus- 
nahme bilden die Akanthusblätter in den Ecken 
des Rahmens der Lackmalerei. 
Kommodentisch, Abbildung 13-15 
Auf der Unterkante der Zarge gestempelt: 
P. PIONIEZJME. - Datierung: 1770-1780. 
- Für die Furniere wurden verwendet: 
Mahagoni-, Veilchen-, Rosen- und Ahornholz. 
Die Marketerie aus Buchsbaumholz und ge- 
färbten Hölzern; der Bau und die Lade aus 
Eichenholz. - H. 69,5, B. 47, T. 33 cm. 
Man nannte einen derartigen Ablagetisch all- 
gemein Table en chi-ffonnicre oder Table en 
cornrnode, wenn er, wie in unserem Falle, mit 
mehreren Laden ausgestattet war. Da diese 
Möbel nicht an der Wand, sondern neben 
einem Fauteuil oder einer Chaise-longue frei 
im Zimmer standen, wurden sie auch an der 
Rückseite mit Marketerie verziert. Die hier 
verwendete Art stillebenhafter lntarsienbilder 
tritt bereits auf Möbeln der Übergangszeit 
vom Louis-Quinze zum Louis-Seize (Style 
transition) auf und war dann besonders in den 
siebziger Jahren, also im ersten Jahrzehnt des 
vollentwickelten Louis-Seize, sehr beliebt. Die 
Form der Vasen mit den Blütenzweigen und 
die ganze Auffassung der Darstellung zeigt 
deutliche Anklänge an ostasiatische Vorbilder 
und ist ein Zugeständnis an die Chinamode 
jener Zeit. Abgesehen davon, daß Gefäße und 
behälterähnliche Formen aus China impor- 
tiert wurden, finden sich diese Gegenstände 
in nahezu gleichlautender Wiedergabe auch 
auf Lackarbeiten, z. B. auf Setzschirmen aus 
Koromandellack, wobei sie oft zur Verzierung 
der Randbordüren verwendet wurden7. Da 
sich von Pioniez hauptsächlich kleine Möbel 
erhalten haben, scheint er für diese Sparte 
spezialisiert und wohl in erster Linie für 
Händler tätig gewesen zu sein. Abgesehen 
vom Format, ist das Wiener Stück aber auch 
wegen der Marketerie ein „charakteristischer 
Pionez". Sowohl der intarsierte Fries, ein 
Band nach Art der „laufenden llunde", alter- 
nierend mit reziproken Glockenblumen, wie 
auch die lntarsienbilder finden sich so oft auf 
Möbeln von ihm, daß allein schon diese 
Dekoration als ein Kennzeichen für eine 
Arbeit aus seiner Werkstatt gelten kann 9. 
Kommode, Abbildung 16-19 
Unter der Marmorplatte gestempelt: M. CAR- 
LIN JME. - Datierung: um 1775. - Die 
Signatur ist absichtlich schwer lesbar gemacht. 
Ebenholzfurnier; an der Front und den beiden 
Seitenwänden (Häuptern) japanische Lack- 
panneaux mit Goldmalerei auf schwarzem 
Grund in Bronzerahmen; vergoldete, zum
	        
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