Der Zar hatte seine letzten Absichten umge-
stoßen. Von dem ihm zugefallenen polnil
sehen Reich erhielt Preußen die Provinz Posen,
Österreich Galizien, während Krakau, wie als
Ehrenbaeigung für die frühere Unabhängig-
_ keit, zur freien Stadt erklärt wurde. Es war
also nicht mehr die" Rede davon, den Preußen
ganz Sachsen zu überlassen. Man trennte von
dem Königreich Sachsen einzelne Provinzen
ab, aber man ließ es bestehen, um so mehr,
i als auf diese Weise das Prinzip der Legitimität
gewahrt schien. Talleyrand hatte für dieses
Prinzip im Namen des Königs von Frank-
reich, Sohn einer sächsischen Prinzessin, mit
Geschicklichkeit gekämpft.
Immerhin blieb der König von Preußen, der
überdies noch einen Landzuwachs im Rhein-
land erhielt, der mächtigste der deutschen .
Könige. Die Stunde, die deutsche Nation mit
einem einzigen Staat zu identifizieren, hatte
noch nicht geschlagen. Die angenommene
Lösung - ein Staatenbund und nicht ein
Bundesstaat - war eine Art von Kompromiß
zwischen dem alten Kaiserreich, dem eine
ganze Generation nachtrauerte, und der Exi-
stenz mittlerer Staaten nach den Konzep-
tionen von Napoleon: ein Großherzogtum
Baden, ein Königreich Bayern, ein Königreich
Württemberg, hervorgegangen aus dem alten,
feudalen Stückwerk. Neununddreißig Staaten
wurden auf diese Art wiederhergestellt, davon
vier freie Städte. Frankfurt wurde der Sitz
eines vom österreichischen Kaiser präsidierten
Landtages. Der Artikel dreizehn versprach
allen Staaten des Reiches eine landesständische
"s Verfassung, worunter man ebenso die alten
Institutionen verstehen konnte wie ein libera-
les, den Wünschen des Bürgertums und des
Volkes aufgeschlossenetes Regime.
Diesem zweideutigen, unsicheren Deutsch-
land, dem man im Namen des allgemeinen
Gleichgewichtes, wie man es in Wien verstand,
keine anderen Zugeständnisse machen konnte,
stand ein erneuertes Österreich gegenüber, das _
Metternich wie es war akzeptierte, wenn es
auch seinem Ideal nicht vollkommen entsprach.
Denn dieser Rheinländer hattefwenn es nach
ihm gegangen wäre, den Breisgau nicht gegen
das Erzbistum Salzburg ausgetauscht. Aber
die Militärs hielten es nichtEir klug, Posi-
tionen zu halten, die "im Falle eines Krieges
schwer zu verteidigen gewesen wären. Aus
den nämlichen Gründen opferte man Belgien
und verschmolz es mit dem Königreich der
Niederlande. Das alte Reich der Habsburger,
I erhielt.
erstreckte, fand sich nun zu einem einheit-i
liehen, mächtigen Block zusammengeschweißt.
Zum festen Kern seiner Erbstaaten: dem
Königreich Böhmen und seinen Provinzen,
dem Erzherzogturn Österreich nrit seinen
wiedergewonnenen Ländern von Tirol und
Vorarlberg waren die von Bayern abgetretenen
Regionen, das Hausruckviertel, das Innviertel
und Salzburg gekommen. Nach Osten er-
streckte sich der Block auf das Königreich
Ungarn, bezog ganz Norditalien bis zum
Tessin und- zum Po ein, wo Österreich die
Lombardei und das Festland von Venedig
Und schließlich umschlossen seine
Länder einen Teil des Adriatischen Meeres.
Alpen und Donau stellten die geographische
Achse des österreichischen Kaiserreiches dar.
Diese Masse von Staaten konnte als ein
Schutzdamm erscheinen, fähig, die "euro-
päische Sicherheit zu garantieren. Metternich
meinte, daß sie, politisch gesprochen, einemi
Herrenhaus gleiche als Gegengewicht zu den
wechselnden Launen eines Abgeordneten-
hauses, worunter er die Nationen verstand.
Man hat Metternich vorgeworfen, ein künst- V
liches Gebilde geschaEen zu habenfdessen
unnatürliche Züge zu radeln im nachhinein
freilich billig ist. je nach ihren Tempera-
rnenten und Tendenzen haben die Geschichts-
schreiber ihn getadelt, den unvermeidlichen
Konllikt zwischen Österreich und Preußen
bei der Errichtung eines nationalen deutschen
Staates verschuldet zu haben, dann wieder,
sich unnützerweise in Italien eingedrängt zu
haben, dessen verletztes Nationalgefühl be-
reits das Risorgimento voraussehen ließ, oder
auch, sich nicht entschlossen für die Donau-
lösung entschieden zu haben, den wirtschaft-
lichen, friedlichen Fortschritt in Ungarn vor-
bereitend. -
All das sind Erwägungen im nachhinein,
die keinerlei Schlüsse über seine wirklichen
Absichten zulassen. Er hoEte offenbar, aus
diesem weiten Österreich, dessen lokale Tradi-
tionen er sicher nicht in einem würgenden
Zentralismus ersticken wollte, eine durch das
gemeinsame Prinzip der Monarchie zusammen-
gehaltene Staatenmasse machen zu können,
deren innere Beständigkeit zu der Europas
beitragen sollte.
Bis zu dem Erdstoß von 1848 hielt die auf
dem Kongreß festgelegte Ordnung dreiund-
dreißig Jahre fort. Dreiunddreißig Jahre, in
mehr erlebte. Dieser Friede ist unbestreitbar
schritt aller zugute gekommen, hat t
stehen von Industrien ermöglicht, den
austausch gefördert, die Verbessert
Landwirtschaft begünstigt. - Unsere
'tion weiß aus eigener, bitterer Eri
Äwieviel Unheil die großen Kriege ü
Völker bringen, die in sie verwicke
Sie weiß, was ein zerrissenes, ver
Europa bedeutet, weiß, was der blir
der Völker gegeneinander zeitigt: c
Störung der gemeinsamen Kidtür! W
da das einfache Wort: dreiunddreißi
Frieden, sie nicht nachdenklich st
Unser Verlangen nach einem vez
Europa ist zu groß, als daß uns diese l
Europa im Frieden, gleichgültig lassen
Und dennoch - unter diesen ode
Vorzeichen - sind wir alle dazu
worden, die Ordnung, die der Wiener l-
hervorgebracht hatte, zu mißachten. l
wissen genau warum, denn es war ei
nung der Regierungen, nicht der N
Das Ideal aber, das sich in dem Bev
aller kultivierten Europäer entwickd
rein Ideal des für alle gemeinsamen l
der Gedankenfreiheit, der nationaler
nomie, der Demokratie und sozial
rechtigkeit. Die Staatsmänner des
Kongresses haben derartige Ideen Ohfh
laß bekämpft, weil sie in ihnen das Wir
leben der Revolution und die Geh
Anarchie befürchteten.
Und so begann sich bereits damals de;
Konflikt zwischen den Prinzipien der
revolution und denen der Revolutioi
zeichnen. Die Männer, die das Werk d
ner Kongresses vollbrachten, hatte:
unrecht gehabt, sich an den Lehren d
gangenheit zu inspirieren und ein stab;
ausgeglichenes Europa schaffen zu wo]
hatten mit den von ihnen festgelegten (
im großen lIlfld ganzen vernünftige ter
Gesamtheiten geschaffen. Und mit dem
des Negerhandels hatten sie versuc
moderne Welt von der Schandeder SI
zu befreien.
Doch das Schicksal des Friedens hii
der innerlichen Zustimmung der Vö
dieser Ordnung ab. Diese aber war 1
von den Staaten damals praktizierten
nicht zu erreichen. Denn niemals
Unbeweglichkeit, Starrheit und Gevs
x _ .Mittel sein, um zu einem dauernden,
welcher Zeit Europa keinen großen Krieg,
baren Frieden zu gelangen. Der
dazu ist das gegenseitige Verstand: