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Volltext: Alte und Moderne Kunst XI (1966 / Heft 88)

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5 Erwin Keiler. Erzengel, 1965. Kunslslein 
6 Erwin Reiter. Syrlnx. 1963164. Scndslein 
7 Erwm Reiüer. Venus. 1964165. Kcnglomeral 
Dem Wesen Reiters haftet ein zweites gotisches 
Element. ein weltanschauliches an: die Gebogen- 
heit. Gekrümmtheit. Gewundenheit durch Schicksal 
und Leiden. Kein idealer Mensch tritt vor uns. 
sondern der empirische; ein Mensch, der nie das 
war, was er sein könnte, sollte und selbst sein 
wollte. Ein Mensch auf dem Wege zu sich und 
seiner Berufung. Ein Mensch, der vom Gedanken 
gespalten ist, zu wissen. was er sein soll und 
gleichzeitig zu wissen, was er erst. was er noch 
ist. Leiden erfordern Reflektiertheit. ereignen 
sich aufgeistiger Ebene. Reiter baut seine Menschen 
aus plastischen Bändern. Lamellen. gewunden. 
gedreht. geknotet; diese formalen Elemente ge- 
statten Verzerrung. Dehnung, Destruktion bis zum 
Exzel]. Der Mensch dieser Plastiken hält sich mit 
Anstrengung. manchmal mit dem Mut der Ver- 
zweiflung, selbst zusammen: er ringt mit sich 
selbst. er zwingt seine Elemente willentlich zur 
Einheit. Nicht das verlößliche zentrale Volumen 
ist es. das die Selbstsicherheit des Wesens und des 
Standortes in der erfahrenen Welt garantiert. 
Menschsein ist hier ein Prozeß, eine permanent 
gestellte Aufgabe, eine notwendige Leistung, um 
sein zu können. Menschsein ist hier der Existenz- 
kampf primär mit sich selbst. Der Idee Mensch 
werden wir in diesen Plastiken und Zeichnungen 
nie abstrakt, nie als Vorgehen, teilhaft. sondern 
immer nur in der Erfahrung von Existenz. von 
Schicksal, von Auseinandersetzung, von Zustand 
und Erleiden, kurz: in Geschichte. Die Figuren 
haben sie eingesogen, sind getränkt davon. 
Deshalb bewegen sich diese Gestatten so selten, sie 
erscheinen oft angewachsen. ganz im Gegensatz 
zu ihrem dramatischen Charakter; es bedarf 
keiner Bewegungsgeste mehr: der eine Augen- 
blick, der festgehalten ist, hat alles Vorher und 
Nachher in sich aufgenommen. Die Handlung 
ist ins Innere verlegt. das Ereignis liegt in der 
Tiefe des eigenen Schicksals, Mensch zu sein, 
nicht im äußeren Vorkommnis; diese Menschen 
flüchten nicht vor sich selbst. nicht vor dem Schick- 
sal, das sie prägt. das in sie eingegangen ist. 
Selten taucht der Mensch paarweise in diesen 
Arbeiten auf: wenn aber. dann Mann und Frau, 
aneinanderverwiesen, einander verschlungen, von 
einem Schicksal aneinandergedrüngt, dieselbe 
Last tragend; ihre Partnerschaft ist ein Ringkampf 
miteinander. der dennoch um die Achse desselben 
Menschseins kreist. Manchmal haben diese Ge- 
schöpfe des Künstlers etwas Brennendes, nehmen 
sie den Charakter einer züngetnden Flamme an, 
von Fackeln. die in der Nacht der Wett und 
Natur den Brand des wissenden. fragenden. lei- 
denden Geistes leuchten; manchmal scheinen sie 
Flugwesen zu sein. die über sich selbst hinaus zu 
Zonen. Regionen vorzustoßen sich anschicken, in 
denen sich das Rätsel des Daseins entknotet, in 
denen der Mensch, aus dem Kerker seiner selbst 
befreit. in einer Welt des Sinnes frei und leicht 
ZU atmen vermag.
	        
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