Josef gegenüberstehenden Frcicrs - geben
sie den Bildern ein würdevolles, vornehmes
Aussehen, das dennoch nicht als Wider-
spruch gegenüber den realistischen Ge-
sichtern erscheint, denn auch sie sind fein-
fühlig gemalt, und wenn sie nicht Vor-
nehmheit und Adel zeigen, spiegeln sie
doch stets ernste Innerlichkeit und gläubige
Anteilnahme.
Es ist das Kolorit, das sich mutatis mutan-
dis auch in späteren niederländischen Tafeln
findet, es ist, wenn wir nicht irren, ins-
besondere das Kolorit der Bilder Robert
Campins. Es sind dessen warmleuchtendc,
kraftvolle Farben, mit dem ihnen eigenen
leisen Schmelz, und wie bei ihm begegnen
sie in lebhaften Kontrasten. Nie durch-
webt des Malers Kolorit der weiche,
dämmerige Schimmer, der die Bilder von
Jan van Eyck poetisiert, mehr arbeitet es
mit dem höchst präzis die Formen model-
lierenden Licht die Plastik der Gestalten
heraus. Wenn auch gerade hier der Abstand
sehr groß ist, immerhin ähnelt es doch,
wie der Maler von den Dingen und Figu-
ren, den Realitäten ausgehend geformt hat.
Sachlich, fern jeglicher Märchenstimmung
ist auch seine Kunst.
Deshalb sollen die Tafeln keineswegs allzu
nahe an des genialen Meisters Werk heran-
gerückt werden. Der Abstand bleibt noch
immer groß, sehr groß. Immerhin ver-
bindet sie eine ikonographische Eigentüm-
lichkeit mit einem Frühwerk von Robert
Campin, die - soweit wir sehen 7 als
eine Ausnahme festzuhalten ist. Es ist die
Darstellung der Vermählung Mariens. Auf
einer alten, bis ins frühe Mittelalter zurück-
reichenden Tradition fußend, hat Giotto in
dem Fresko der Arena-Kapelle in Padua
die Szene so geschildert, daß der Priester
in der Mitte seitlich von Josef und Maria
gerahmt steht. In gleicher Weise zeigen die
Szene in Florenz ein Fresko in Santa Croce
und das Relief Orcagnas in Or San Michele,
so haben sie geschildert Fra Angelico,
Signorelli, Perugino, Raffael, aber auch
ein um 1400 in Konstanz tätiger Maler
(Rosgarten-Museum), der kölnische Meister
des Marienlebens, Michael Pacher, Al-
brecht Dürer, Hans Fries, Meister Arnt am
Sieben-Freuden-Altar in Kalkar, Jörg Rat-
geb oder auch Greco, und weiterhin Endet
sich die Szene dergestalt in den Tres belles
Heures de Notre-Dame (Paris, Bibl. Nar.,
Ms. nouv. acqu. lat. 3093), den Grandes
Heures des Duc de Berry (Paris, Bibl. Nar.
Ms. lat. 919) und in dem utrechtischen
Missale des Johannes von Hoya (Münster,
Universitäts-Bibliothek). Der Maler der
Marientafeln aber stellte den Priester Maria
gegenüber und Josef etwas zurückgenom-
men zwischen sie. Das ist durchaus ex-
zeptionell, und es ist uns nur noch eine
zweite, gleich gruppiette Darstellung be-
kanntgexvorden: Robert Campins Bild im
Prado in Madrid. Panofsky hat die in den
Architekturformen dieses Bildes verborgene
Symbolik herausgearbeitet"), sie ist auch
in der Anordnung der Figuren zu erkennen.
Indem der Priester Maria gegenübersteht,
ist der Gegensatz Alter Bund-Neuer
Bund, den - wie Panofsky fesselnd dar-
Iegt - in Campins Bild auch die Archi-
turformen anschaulich machen, in der
Marientafel wenigstens in der Ordnung der
Figuren angedeutet. Er ist stärker hervor-
gehoben, als wenn josef Maria gegenüber-
gestellt ist. Der Priester erscheint als Ver-
treter des Alten Bundes gegenüber Maria,
der Wegbereiterin des Neuen Bundes. Da-
gegen begegnet die andere Gruppierung
mit dem Priester in der Mitte beinahe
formalistisch.
Es ist schwerlich glaubhaft, daß diese
beiden gleichgestimmten Darstellungen der
Vermählung Mariens ohne irgendeinen
wenigstens mittelbaren Kontakt gemalt
worden sind, und es kann auch nicht so
sein, daß die Darstellung der Sammlung
Kisters und also der gesamte Zyklus der
Marientafeln später, erst nach Robert
Campin, gemalt worden ist. Dann müßten
die Architekturformen anders, reicher sein,
dann müßte auch der Faltenstil anders, be-
wegter sein, es sei denn, man verweist die
Tafeln in eine abseitige Provinz. Aber
Form und Komposition wären, wenn es
sich um rückständige Nachzügler handeln
würde, keinesfalls so einheitlich und aus-
geprägt trecentesk, und ebenso wider-
sprechen solch einer Vermutung das vor-
zügliche Kolorit und die geschliffene Ge-
wandstilisierung, widerspricht ihr die leben-
dige und völlig unkonventionelle Charak-
teristik der Figuten. Deren Physiognomien
machen nie den Eindruck, daß sie abgeleitet
seien, ein sehr ursprüngliches Erlebnis
spricht vielmehr aus ihnen. Ein Vergleich
mit der Kreuzigung aus St. Peter am
Kammersberg (Graz, joanneum), an die
vor allem gedacht wurde, macht das schla-
gcnd deutlichzü, Um 1400 müssen die
Marienbilder in Flandern oder im Artois
entstanden sein. Wie die Architekturen und
die schlanken Proportionen, weisen auch
die Kostüme, etwa die bis zu den Fingern
reichenden Ärmel der Frau rechts am Rande
der Vermählung, noch ins 14. Jahrhun-
dert Z1. Sie sind deshalb - es sei wiederum
betont ä keineswegs als unmittelbare Vor-
stufen für Robert Campin anzusehen. Selbst
wenn bei diesem wie in der Vermählung
der Marientafeln ein neuer theologischer
Symbolgedanke begegnet, wir wissen nicht,
ob Melchior Broederlam oder ein anderer
ihn nicht schon zuvor ausgesprochen hat.
Aber wie dem auch sei, Robert Campin hat
Komposition, Form und Gestalt aus der
trecentesken Tradition herausgenommen
und neu durchdacht. Indem er dem Kir-
chenbau die Illusion materieller Festigkeit,
den Figuren die Illusion substantieller
Statik gegeben und die Komposition
kontrastreich gefügt hat, legte er die
Fundamente für eine neue Kunst, für die
Kunst eines neuen Jahrhunderts. Mit ge-
waltigen Grillen riß er das Tor zu einer
neuen Epoche europäischer Kunst auf.
Davon aber ist in den Marientafeln noch
nichts zu spüren.
Und wiederum ändert daran auch nichts,
wenn man bemerkt, daß die Gesichter
Mariens und einiger anderer Figuren in