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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

STÄDTEBAU 
DIE KIRCHE UND IHRE UMGEBUNG 
VON CORNELIUS GURLITT 
U W * bet die Wahl des Bauplanes befteben bei den Katholiken 
kirdhenrechtlicbe Beftimmungen: Niemand foll eine Kirche 
bauen, folange nicht der Bifcbof öffentlich den Baupla^ 
beftimmt habe (antequam episcopus publice atrium designet) 
und folange nicht die Mittel zur Erhaltung vorhanden find. Die 
Konfilskongregation von 1806 ordnet an, daß fie nicht in der 
Nähe von Ställen, Läden (caupones), Fleifcbbänken, Schmieden, 
geräufcbvollen, feuchten, fumpfigen oder fcbmu^igen Orten erbaut 
werden dürfen. Carlo Borromeo wünfchte, daß fie drei bis 
fünf Stufen über der umliegenden Gleiche ficb erbeben. Die 
ungerade Zahl der Stufen wird mehrfach gefordert. Ferner 
fordert das Pontifikale, daß die Kirchen womöglich frei liegen, 
fo daß man fie umgeben könne, wie das bei der Weibe erwünfcbt 
ift. Husdtücklicb aber wird zugeftanden, daß es nicht unver= 
ftändig (ratione alienum non est) fei, die Wobnbäufer der Kleriker, 
fei es nun der Bifchöfe, Kanoniker oder der Pfarrgeiftlichkeit, 
an die Kirche anzubauen. Die Kirche foll nach dem Prager 
Konzil von 1860 ihrer Lage nach eine Infel darftellen und von 
fcbmutjigen und lärmigen Bauten abgerückt fein. Dies dürfte 
im wefentlichen der Inhalt der zur Zeit in Betracht zu ziehenden 
kirchlichen Beftimmungen fein. G 
Sie decken ficb keineswegs allerorten mit den Tatfachen. Sie 
lauten auch keineswegs dabin, daß etwa eingebaute Kirchen 
verboten feien. Camillo Sitte wies darauf bin, daß in Rom die 
Kirchen keineswegs frei liegen. Das gleiche ift von den Kirchen 
des Mittelalters und der fpäteren Stile faft überall zu tagen: 
Kreuzgänge, Sepulturen, Bifcboffitje, Klöfter, Pfarrbäufer ftanden 
faft überall in engem Zufammenbang mit den Bauten. Viele 
ftoßen an einer, zwei oder drei Seiten an Wobnbäufer an. Die 
von manchen katbolifchen Scbriftftellern geforderte Freiftellung 
der Kirchen gebt alfo weniger auf kirchliche als auf äftbetifche 
Erwägungen zurück. Aufgabe der Architekten wird es fein, in 
diefen Dingen die Geiftlichen zu belehren und fie nach ihrem 
facbmännifcben Erwägen zu leiten. G 
Auf das Verhältnis eines Monumentalbaues und befonders 
einer Kirche zum Platje und auf die hierbei maßgebenden 
Grundfätye bingewiefen zu haben, ift Sittes Hauptverdienft. Seit» 
her ift man den Fragen künftlerifcber Art bei Anlage von 
Kirchen weiter nachgegangen. n 
Eine überüdbtlicbe Darftellung der Lage einer Anzahl von 
Kirchen im Stadtplan gibt Frit) Wolff. □ 
San Clemente in Rom (Abb. 1) hat nach der Straße zu auch 
an der Langfeite kein Fenfter, während der Zugang nur durch 
den vorgelegten Hof erfolgt. Abb. 2 ift Sant’ Alessio, Abb. 3 
San Martine di monti, Abb. 5 San Pietro in Vincoli, Abb. 6 San 
Bartolomea all’ isola, Abb. 7 Santa Maria sopra Minerva, fämt» 
lieh in Rom, alle von verwandter Anlage, die man in Santa 
Croce und San Spirito in Florenz, San Domenico und San 
Francesco in Bologna, fowie an zahlreichen anderen hervor» 
ragenden Kirchen Italiens wiederfindet. Abb. 8 ift Santa An» 
nunciata, Abb. 9 Santa Maria novella in Florenz. Wolff zeigt 
in Abb. 10, wie unkünftlerifeh man beute wabrfcbeinlieh die let)t= 
genannte Kirche »mitten in den Verkehr bineinftellen« würde. 
Abb. 11 gibt den Domplat) zu Piftoja mit feiner meifterbaften 
Verteilung der Hauptbauten (a Taufkirche, b u. c Rathaus und 
Scbematifche Lagepläne vetfebiedener Kirchen 
Gericht); Abb. 12 zeigt das Münfter zu Bafel mit dem interef» 
fanten Doppelplat}, Abb. 13 den Dom zu Regensburg, Abb. 14 
den Dom zu Trier mit der Liebfrauenkirche c: »Die ganze 
Anlage macht einen um fo vornehmeren, friedlicheren Eindruck, 
als in der Richtung a, b kein nennenswerter Verkehr ftattfindet«. 
Abb. 15 und 16 geben die Jefuitenkirchen zu Trier und Koblenz, 
wobei Wolff befonders darauf binweift, daß die Gaffen a und b 
(Abb. 16) nur für Fußgänger geöffnet find. □ 
Diefe Beifpiele beweifen zur Genüge, daß eine freie Lage für 
eine katholifche Kirche zum mindeften nicht Erfordernis ift, und 
daß die älteren Meifter und Kirchenbauberren ein Hauptgewicht 
auf die Ruhe legten, wenn fie Kirchen und Kircbenpläfje an» 
ordneten, diefe alfo von den Verkehrslinien fortzurücken be= 
ftrebt waren. G 
Der Gedanke des dörflichen Kirchhofes übertrug ficb im oft» 
deutfehen Kolonifationsgebiet des Mittelalters auf die deut» 
feben Städte. G 
Die Kirche ftebt dort, wo es ficb um planmäßige Stadtbildungen 
handelt, nicht auf dem Markt, fondern neben dem Markt, in» 
mitten eines urfprünglich zu Begräbniszwecken dienenden Kirch» 
bofes. Erft im XVI. Jahrhundert begannen ficb die Begräbnis» 
ftätten auf gefonderten, außerhalb der Stadtmauern liegenden 
Gottesäckern zu vermehren. Doch blieb ihnen der Name 
»Kirchhof«. G 
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