Hans Widrich
SALZBURGS
ALTE SCHATZKAM M ER
In den nördlichen Oratorien des Domes
zu Salzburg veranstaltet das Salzburger
Metropolitankapitel jedes zweite Jahr eine
Ausstellung, die zur Erhellung der Ge-
schichte der Erzdiözese beitragen soll.
1965 wurden die Schönen Madonnen aus-
gestellt, deren Präsentation beim breiten
Publikum auf ein außerordentliches Inter-
esse stieß, darüber hinaus aber auch den
Kunsthistorikern neue Erkenntnisse brachte.
Heuer wird vom 11. Juni bis zum 15. Sep-
tember „Salzburgs alte Schatzkammer"
gezeigt. Der vorliegende Aufsatz wurde
vor Eröffnung der Ausstellung geschrieben
und will deren bedeutendste Aspekte auf-
zeigen. Das Gelingen dieser Schau stellt
den Schlußpunkt einer spannenden Affäre
dar.
Die unzähligen Besucher des Salzburger
Domes ahnen nicht, daß über dem Domplatz
sich einst Salzburgs „Gallerie bey Hof"
befand. In den Jahrzehnten der Ernied-
rigung des Landes im vergangenen Jahr-
hundert ging das Wissen um den seiner-
zeitigen „Staatsschatz" verloren. Schon
1883 wies eine zufällig entdeckte Spur nach
Florenz, doch erst seit den Aufnahmen zur
Österreichischen Kunsttopographie wurde
das Interesse der Forschung auf die Be-
stände der „Argenteria", der Schatzkam-
mer des Palazzo Pitti, gelenkt. Die ent-
scheidenden Ergebnisse brachten erst die
intensiven, mit Sachkenntnis und Gespür
betriebenen Forschungen von Kurt
Rossacher, der darüber in dieser Zeitschrift 1
berichtet hat. In seiner großen Publikation
„Der Schatz des Erzstifres Salzburg 7
Ein Jahrtausend deutscher Goldschmiede-
kunst"? konnte Rossacher nach Ent-
deckung zahlreicher bisher unbekannter
Objekte erstmalig einc wissenschaftlich
fundierte Rekonstruktion des Bestandes
an Goldschmiedekunst zum Zeitpunkt der
Säkularisation des Erzstiftes 1803 vorlegen.
Das umfassende Werk kann im gewissen
Sinne als Vorwegnahme der Ausstellung,
die in Parallele dazu aufgebaut wird, an-
gesehen werden. Der Autor verweist in
ihr auf 239 Gegenstände aus dem erzstift-
liehen Schatz. Ein großer Teil davon,
vor allem liturgisches Gebrauchsgerät, ge-
hört heute dem Salzburgcr Domkapitel. Die
113 wertvollsten Pretiosen stehen dagegen
in Florenz; allein davon hat Rossacher
102 Stücke selbst entdecktl Einzelne Werke
fand er in öffentlichen und privaten Samm-
lungen in Salzburg, Wien, München, Paris,
Rom, New York und London.
Als der Reichsdeputationshauptschluß von
Regensburg 1803 dem geistlichen Fürsten-
tum ein Ende setzte, wurde die religiöse
Gewalt von der staatlichen, der kirchliche
Besitz vom landesfürstlichen getrennt. Als
neuer Landesherr zog der durch Napoleon
aus Florenz vertriebene Großherzog von
Toskana und nunmehrige Kurfürst von
Salzburg, Ferdinand I., ein. Er nahm mit
dem Land auch dessen Kleinodien in
Besitz, ließ sie vorübergehend in Buda
vor den anrückenden Franzosen in Sicher-
heit bringen und später - als er zum Groß-
herzog von Würzburg avancierte - dorthin
nachsenden. 1814 konnte er wieder nach
Florenz zurückkehren. Die Schätze, die er
an den einzelnen ehemals geistlichen Höfen
angesammelt hatte, nahm er mit sich.
Nach der Vertreibung der Habsburger aus
der Toskana gingen sie in den Besitz des
italienischen Staates über. Der Verlust des
Schatzes ist für Salzburg außerordentlich
beklagenswert. Trotzdem rnuß festgehalten
werden, daß Ferdinand ihn rechtmäßig
übernommen hat und von seinem Nach-
folger, dem Österreichischen Kaiser, nie
zur Rückgabe aufgefordert worden ist.
Angesichts der folgenden Wirren kann
sogar angenommen werden, daß die Kunst-
werke nur durch diese Verschleppung vor
dem Untergang bewahrt worden sind. Sie
beFinden sich heute zwar an einem fremden
Standort, aber in ihrer relativen Geschlos-
senheit lassen gerade die Schätze in Florenz
den Glanz der einstigen Sammlung ahnen.
Vor der Säkularisation sind die Schatz-
kamrnerstücke an drei Örtlichkeiten auf-
bewahrt worden: die liturgischen Geräte
als „Domschatz" in den beiden Sakrisreien,
die Geschirre und Geräte der höFischen
Repräsentation in der „Hocherzstiftlichen
Silberkammer" der Residenz, die Samm-
lungen der „Kunst- und Wunderkammcr"
in der „Großen Gallerie bey Hof" im
zweiten Obergeschoß des heute zur Erz-
abtei St. Peter gehörenden Traktes am
Dornplatz.
Rossacher geht in seinem Buch und im
Einleitungstext des Ausstellungskataloges
auf die Geschichte des Schatzes ein. Obwohl
aus dem Mittelalter weder Scharzverzeich-
nisse noch Heiltumsbücher erhalten sind,
legen Vergleiche mit Stücken in St. Peter
und einige spärliche Nachrichten die An-
nahme nahe, daß in Salzburg ein Zem
mittelalterlicher Goldschmiedekunst
standen hat. Die Qualität der Werke
1400 dokumentieren die wenigen, biz:
Gefäße in Florenz, die für die Hofhal
auf der Hohensalzburg angeschafft xvo
sind, und das Legatenkreuz Leonhards
Keutsehaeh (l495wl5l9). Die folge-
Bauern- und Bürgerunruhen und die (
benskämpfe nach der Reformation brac
die Salzburger Goldschmiedekunst
Erliegen. Erst nach dem Konzil von T1
als Erzbischof Johann Jakob von K
Belasy (156071586) den Hof in die l
verlegte, kamen neue Impulse. Am
kalsten förderte Wolf Dietrich von
tenau (158771612) das Werk der ur
senden Erneuerung. Er ließ die Resi
neugestalten und erteilte den Au
zum Neubau des Domes. Daß er r
der Goldschmiedekunst eine zentrale 1
zuwies, erkennt man an der Beru
der hervorragendsten Künstler an
Salzburger Hof: Paulus van Viancn
Utrecht, Hans Karl aus Nürnberg, l
Mentz aus Fulda und Paul Hühner
Augsburg. Trotz seines tragischen E
konnte der Fürst Wenigstens in den C
schmiedewerken sein gigantisches Kor
zur Durchführung bringen.
Im 17. Jahrhundert erreichte die K:
und Raritätenkammer durch Ankäufe r
scher und holländischer Meister und
schiedenartiger Kleinplastiken ihre hö4
Blüte. Um 1700 zeigen noch Fischer
Erlachs Bauten den ungebrochenen W
zur Erneuerung. In den Jahrzehnten
Rokoko hingegen richtete man sich
der jeweiligen Mode und begnügte
mit der Herstellung von Meßkelchen
Tafelgeräten. Häufig wurde mehr als
Tonne alten Silbers für ein neues Se:
geopfert. Geblieben ist davon nur
prächtige vergoldete Reisegarnitur des
bischofs Hieronymus Graf Colloredo. I
rend im 16. Jahrhundert 90 Prozent
alten Schätze eingeschmolzen worden 1
um zum großartigen Neuen umgestaltx
werden, gab dieser aufgeklärte Fürst
reiche wertvolle Werke dem „Gok
prägen" preis. Er hatte sogar den l
die Prachtgeschirre Wolf Dietrichs
liquidieren. Salzburg zeigte demnach st
vor der Säkularisation kaum noch
Kraft, für die Kostbarkeiten der Trad
Opfer zu bringen.
ANMERKUNGEN l. 2
1 An: und moderne Kunst. Jahrgan 1962. Mai-Juni,
September-Oktober und Novcmher- ezember.
1 Rcsidcnz Verlag, Salzburg 1966.