Demnach aber hat es auch wenig Sinn, den
Stil zum Nordstern unserer Überlegung
zu machen und etwa über den Barock in
Rom ein abstraktes, allgemeines Muster
einer Stilentwicklung, weder nur konform
mit Bernini noch an Hand von Bernini,
aufzustellen. Bernini war zumindest jetzt
viel zu wenig manieristisch gesonnen, als
daß der Siil und die Gewinnung eines
Stiles für ilm ein Denk- oder Atbeitsziel
oder auch nur ein Traum hätte sein sollen.
Bernini ist am weitesten, am genauesten
und am angemessensten zu verstehen, wenn
man sich immer vor Augen hält, daß ihm
seine Gegenstände heilig gewesen sind und
daß er ihre allgemeine und besondere Heilig-
keit herauszubringen gedient hat. Dabei bin
ich aber keineswegs willens, den brillieren-
den und schillernden Hofmann Bernini zu
übersehen, nicht auch, diesen als Mantel
auszugeben, in den sich der Künstler klug
zu verhüllen gewußt, vielmehr: Bernini,
wenn er erfolgreich und glücklich war, ver-
strömte zu Handen von jedermann Geist
und Einfälle, wenn er in seiner Arbeit
suchend oder unzufrieden, unglücklich
blieb, wie in Paris, schien er der Gesellschaft
„unmöglich" und konnte nur mit tausend
Übetredungen im Rahmen des Minimums
an Konvenienz gehalten werden (vgl.
Abreise von Paris).
In die Zeit der tiefsten Erschütterung seines
langen Lebens, 1642, als man unter Ver-
leumdungen, Vorwürfen und Beschuldi-
gungen den von ihm fast errichteten
Glockenturm von St. Peter abzutragen
begann, fallt seine relig öse Wende, die an
das Problem der Heiligkeit gebunden blieb,
die er als Entrücktheit von der Erde und
ihren Wechselfällen, als Gott in der Emp-
fängnis seines Lichtes hingegebenes Ruhen,
als mystische Gottesliebe sich vorstellte.
Bernini erkannte diese Heiligkeit in der
Gestalt der Therese, fand und erfand neue
Formen, die mystische Einheit mit Gott
sichtbar werden zu lassen, und gestaltete sie
zur Steigerung der Andacht seiner Mit-
menschen aus; denn diese größere Innigkeit
und diese Hinwendung zu einer Enthoben-
heit vcn der Erde war und blieb für ihn
mit einer tiefer empfundenen Verantwor-
tung für das Leben seiner Mitmenschen
verbunden; deswegen tritt zum erstenmal
hier in der Cotnarokapelle, als Umwälzung
auf dem Gebiete der Architektur, auch die
für ihn später immer wichtiger werdende
Einheit auf von Skulpturen, die einsame
Heilige darstellen, und Architekturen, die
für die Versammlungen der Menschen
errichtet sind.
Nähern wir uns dem allmählich.
Wenn es dem Kunstfreund gelingt, zu
gelegener Zeit oder mit List, die Therese in
der Cornarnkapelle ohne das Neonlicht, das
die Mönche zum Pläsier der Touristen in
die Nische über dem Altar eingebaut haben,
zu sehen, wird auch die lüsterne, gleißende
Porzellanmasse als wahrhafres religiöses
Ärgernis verschwinden; und die Über-
treibungen der Form, die im gleißcnden
Licht zwar Verzerrungen des Sinnes sind,
werden in normalen Verhältnissen als
4
' Lnrcnzoßcr
. Lurcxxzo
(es: Y n
Nr. v1)
ANMERKUNG 4
4 Publlzicr! von (hannetm Nlatzulrvnsch, Trc buzzcln 1h
a. L. n. mlFErmirage di Lcnilxgnnlu. Uull. d'Arlc XLVIII.
11463, p. w.