Karl Bednurik
ANNELISE KARGER UND IHR
GRAPHISCHES WERK
Annelise Karger, Jahrgang 1924, hat im Oktober
1966 das erstemal allein ausgestellt. Die Galerie
auf der Stubenbastei bot ihr Platz für rund 30 Blei-
stiftzeichnungen. Mir fiel als ältestem Studien-
kollegen die Ehre zu. ein Vorwort für den Katalog
zu schreiben. Ich sehe keinen Grund. die von mir
gemachte Aussage zu verändern, und setze sie
deshalb als Ganzes hierher:
„Wenn Professor Andersen. Meister streng gebauter
Stilleben (bei dem so verschiedenartige Künstler
wie Ernst Fuchs, Kurt Absolon, Erich Brauer.
Joannis Avramidis angefangen haben). seiner
Schülerin Annelise Karger beim Zeichnen über
die Schulter schaute. würde er mit freundlichem
Erstaunen den Kopf schüttelnzwas ist aus seinen
tektonischen Hiltslinien geworden? Sie haben sich
verselbständigt. Statt einen festen konstruktiven
Aufriß zu geben. zittern. huschen. flattern sie
eigenmächtig und ausdrucksbetont Über die Flüche
hin. deuten nur an, was sie begründen sollten.
Umspielen die Körper, statt sie statisch zu ver-
festigen. Setzen die Leiber, auch wenn sie ruhen.
in eine Bewegung. die. da sie einmal begonnen
hat, nicht mehr aufhören zu können scheint.
Diese so umspielten Körper wachsen und werden
und beginnen vor unseren Augen wieder zu ver-
gehen. Sie sind nicht auf der flachen Realität der
Bildebene zu einem dauernd erstarrten Dasein
verbannt, sondern haben etwas Doppeldeutiges.
Sie zeigen flüchtige Augenblickszustünde aus dem
fortwährenden Wandel des menschlichen Lebens.
So sind diese Zeichnungen auch nicht künstlerischer
Selbstzweck, Sie verweisen zurück auf die leben-
digen Menschen, die sie zu beschwören suchen.
auf die Kinder in ihrem fortwährenden Sich-
wandeln. auf die Menschen in ihrem Kommen und
Vorbeigehen. Annelise Karger macht keine Bil-
der. sie stellt mit zeichnerischen Mitteln Fragen
nach der menschlichen Natur. Sie fragt nach dem
flüchtigen Sein der Kinder, die Leute werden,
und sie fragt nach dem vergehenden Sein der
Leute, die einmal Kinder waren. Und es sind ge-
zeichnete Fragen. die mit einer echt weiblichen
Handschrift gestellt sind. Man spürt dahinter die
Frau. die das Erlebte nicht aggressiv bekämpfen
oder aktiv verwandeln will, sondern die es leidend
erfährt. Auf dieser Sensibilität beruht der Reiz
ihrer Arbeiten. Sie zeichnet ihr beunruhigt-
herzliches Verhältnis zum Menschen. ihr eigenes
Bewegtwerden durch die sich dauernd wandelnde
menschliche Wirklichkeit."
Die Ausstellung wurde von den Kritikern. die ja
für jeden Künstler zu den wichtigsten Prüfungs-
instanzen gehören. sehr gut beurteilt. Mit Ver_
gnügen kann ich feststellen, daß keiner meiner
Aussage grundsätzlich widersprochen hat. sondern
daß diese von allen Seiten bestätigt und ergänzt
worden ist.
Im „Neuen Österreich" schrieb Johann Muschik:
„Was sie darbietet, beweist einmal mehr. da!)
wesenhafte figurative Kunst in unseren Tagen
noch oderwieder möglich ist. Der Linienzug dieser
Blätter ist weich. empfindsam (nie sentimental)