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Volltext: Alte und Moderne Kunst XII (1967 / Heft 94)

Karl Bednurik 
ANNELISE KARGER UND IHR 
GRAPHISCHES WERK 
Annelise Karger, Jahrgang 1924, hat im Oktober 
1966 das erstemal allein ausgestellt. Die Galerie 
auf der Stubenbastei bot ihr Platz für rund 30 Blei- 
stiftzeichnungen. Mir fiel als ältestem Studien- 
kollegen die Ehre zu. ein Vorwort für den Katalog 
zu schreiben. Ich sehe keinen Grund. die von mir 
gemachte Aussage zu verändern, und setze sie 
deshalb als Ganzes hierher: 
„Wenn Professor Andersen. Meister streng gebauter 
Stilleben (bei dem so verschiedenartige Künstler 
wie Ernst Fuchs, Kurt Absolon, Erich Brauer. 
Joannis Avramidis angefangen haben). seiner 
Schülerin Annelise Karger beim Zeichnen über 
die Schulter schaute. würde er mit freundlichem 
Erstaunen den Kopf schüttelnzwas ist aus seinen 
tektonischen Hiltslinien geworden? Sie haben sich 
verselbständigt. Statt einen festen konstruktiven 
Aufriß zu geben. zittern. huschen. flattern sie 
eigenmächtig und ausdrucksbetont Über die Flüche 
hin. deuten nur an, was sie begründen sollten. 
Umspielen die Körper, statt sie statisch zu ver- 
festigen. Setzen die Leiber, auch wenn sie ruhen. 
in eine Bewegung. die. da sie einmal begonnen 
hat, nicht mehr aufhören zu können scheint. 
Diese so umspielten Körper wachsen und werden 
und beginnen vor unseren Augen wieder zu ver- 
gehen. Sie sind nicht auf der flachen Realität der 
Bildebene zu einem dauernd erstarrten Dasein 
verbannt, sondern haben etwas Doppeldeutiges. 
Sie zeigen flüchtige Augenblickszustünde aus dem 
fortwährenden Wandel des menschlichen Lebens. 
So sind diese Zeichnungen auch nicht künstlerischer 
Selbstzweck, Sie verweisen zurück auf die leben- 
digen Menschen, die sie zu beschwören suchen. 
auf die Kinder in ihrem fortwährenden Sich- 
wandeln. auf die Menschen in ihrem Kommen und 
Vorbeigehen. Annelise Karger macht keine Bil- 
der. sie stellt mit zeichnerischen Mitteln Fragen 
nach der menschlichen Natur. Sie fragt nach dem 
flüchtigen Sein der Kinder, die Leute werden, 
und sie fragt nach dem vergehenden Sein der 
Leute, die einmal Kinder waren. Und es sind ge- 
zeichnete Fragen. die mit einer echt weiblichen 
Handschrift gestellt sind. Man spürt dahinter die 
Frau. die das Erlebte nicht aggressiv bekämpfen 
oder aktiv verwandeln will, sondern die es leidend 
erfährt. Auf dieser Sensibilität beruht der Reiz 
ihrer Arbeiten. Sie zeichnet ihr beunruhigt- 
herzliches Verhältnis zum Menschen. ihr eigenes 
Bewegtwerden durch die sich dauernd wandelnde 
menschliche Wirklichkeit." 
Die Ausstellung wurde von den Kritikern. die ja 
für jeden Künstler zu den wichtigsten Prüfungs- 
instanzen gehören. sehr gut beurteilt. Mit Ver_ 
gnügen kann ich feststellen, daß keiner meiner 
Aussage grundsätzlich widersprochen hat. sondern 
daß diese von allen Seiten bestätigt und ergänzt 
worden ist. 
Im „Neuen Österreich" schrieb Johann Muschik: 
„Was sie darbietet, beweist einmal mehr. da!) 
wesenhafte figurative Kunst in unseren Tagen 
noch oderwieder möglich ist. Der Linienzug dieser 
Blätter ist weich. empfindsam (nie sentimental)
	        
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