Die Transfiguration, welche im Zentrum
der Glorie als letzte Arbeit einzusetzen war,
ist jedoch 1665 noch immer nicht ausge-
führt. Der einzige vermutliche Hinweis auf
eine Atbeitsaufnahme ist die Ausgabe der
Leinwand für die Stuckierung des Ovals
im Jahre 166473.
Die Reise nach Paris stellt daher den wich-
tigsten Grund zur Anbringung des provi-
sorischen Fensters dar. Nach der Rückkehr
Ende Oktober waren nur noch allerletzte
kleine Arbeiten möglich. Die Enthüllung
war kurz darauf im Januar 1666 zum Feste
„Petri Stuhlfeier" angesetzt. Dieser fest-
stehende Feiertag war nicht verschiebbar.
Eine Fertigstellung der Transfiguration
hätte wohl noch ein ganzes Jahr in Anspruch
genommen. Wir können uns das Drängen
der Sacra Congregazione auf endliche Be-
endigung der Arbeiten und die Bedenken
des Oeconomus wegen der angewachsenen
Kosten vorstellen".
Der Beschluß zur Improvisation wird daher
vor der Abreise im Mai gefallen sein. Die
Anfertigung des Glasfensters mit der ge-
malten Taube konnte Luigi Bernini, der
seinen Bruder als leitender Architekt zu
vertreten hatte, leicht beaufsichtigen. Von
diesem sind auch alle auf das Provisorium
bezüglichen Dokumente unterzeichnet.
Wir können nach all diesen Überlegungen
überzeugt sein, daß Bcrnini diese Lösung
nur als unbefriedigendes und vorüber-
gehendes Provisorium angesehen hat. Er
hat die Ausführung der Glorie in allen
Einzelheiten der Komposition präzise zur
Aufnahme der Transfiguration angelegt, die
nach Entfernung des Fensters nur einzu-
setzen war.
GRÜNDE, DIE EINE SPÄTERE AUS-
FÜHRUNG VERHINDERT HABEN
Die Frage, warum ein so bedeutendes
und in unseren Augen unerläßliches
Vorhaben wie die Vollendung des
Hochaltares des Petersdomes nicht mehr
ausgeführt worden sci, ist nicht schwer
zu beantworten. Es genügt uns, eine
kurze Betrachtung der Regierungsjahte der
nachfolgenden Päpste bis zum Tode Ber-
ninis. Wie bekanntlich die meisten Provi-
sorien war auch das Glasfenster mit der
Taube langlebig. Die Gründe lagen vor
allem in der Persönlichkeit und den anders-
gerichteten Interessen der nachfolgenden
Päpste.
Im Jahre 1666 hatte das Leben des nunmehr
68jährigen Künstlers längst seinen Höhe-
punkt überschritten. Die Zeiten unbeküm-
merter Kraft waren vorüber. Das verzeh-
rcnde Feuer eines ehrgeizigen Kampfes um
die Gunst der Päpste, das jahrzehntelange
Ringen um die Verwirklichung seiner
phantastischen Projekte hatten ihre Spuren
hinterlassen. Berninis letzte jahre sind über-
schattet von tragischen Ereignissen, Ent-
täuschungen und Verzicht.
Schon 1670 war Papst Alexander VII.,
sein großer Bauherr, gestorben. Die meisten
der begonnenen Projekte waren noch nicht
fertiggestellt. Die Kolonnaden waren un-
fertig, die Reiterstatue des Konstantin noch
nicht enthüllt. Kein Wunder, daß in den
letzten eineinhalb Regierungsjahren Alex-
anders VII. das Provisorium blieb und die
Einsetzung des endgültigen Zielbildes nicht
stattfand. Borromini, Berninis großer
Rivale, beendet den jahrzehntelangen
Kampf und gibt sich 1667 selbst den
Tod. Wir können heute wohl kaum er-
messen, wie sehr Kampf und Arbeit das
Leben dieser Künstler des Seicento verzehrt
haben.
Während der kurzen Regierung Papst
Clemens IX. (1667-1669) kann noch die
Engelsbrücke begonnen werden, aber unter
Papst Clemens X. (1670-1676) kommt
es zum Nachlassen der päpstlichen Bau-
tätigkeit. Noch immer sind Projekte Alex-
anders VII. fertigzustellen, die Zahlungs-
verpflichtungen seiner gewaltigen Bau-
unternehmungen lasten schwer auf den
Nachfolgern. Clemens X. verbietet die Aus-
führung des dritten Kolonnadentraktes,
der das Rund des Petersplatzes nach Berninis
Plan hätte schließen sollen. Er besucht in
den sechs Jahren seiner Regierung niemals
die Fabrica. Bernini nennt er einen „An-
stifter, der die Päpste versucht, in schlech-
ten Zeiten nutzlose Ausgaben zu ma-
chen75". Der Meister widmet sich mit
Hingabe dem Requiem seines toten Gönners,
dem Grabmal Alexanders VIL, das schon
zu dessen Lebzeiten geplant worden war.
Tragisches Erleben bricht über ihn herein.
Seine Reiterstatue König Ludwigs XIV.
wird in Paris verworfen, sein Bruder Luigi,
der Sodomie bezichtigt, muß fliehen. Für
Gianlorenzo Berninj beginnen lange Jahre
des Kampfes um die Niederschlagung des
Prozesses. Um Fürsprecher zu gewinnen,
schafft er unentgeltliche Werke wie das
Grabmal der Beata Lodovica Albertoni. Es
bestand keine Chance, unter Papst Clemens
X. den Hochaltar der Cathedra zu voll-
enden.
Unter Papst Innozenz XI. (1676-1689)
werden die Aussichten noch schlechter. Es
muß gespart werden, um Mittel zur Be-
kämpfung der Türken zu finden, die Wien
bedrohen. Der achtzigjährige Meister wird
unter Anklage gestellt. Eine Kommission
überprüft den Schaden, den er angeblich
durch Einbau der Nischen in den Kuppel-
pfeilern Michelangelos angerichtet haben
sollte. Das Maß der Bitterkeit, die den Greis
erfüllte, beweist die ätzende Schärfe einer
Karikatur Papst Innozenz' XI. von seiner
Hand76 (Abb. 32). Es gab keine Hoffnung
mehr, das Provisorium zu beseitigen und
seine größte Schöpfung jemals zu beenden.
S0 bleibt uns das kleine Kunstwerk aus Ton
mit der Darstellung der Transtiguration als
einziger Beweis des Willens des Meisters,
als sein großes Vermächtnis. Ungerecht war
jegliche negative Kritik. Berninis Projekt
ist grandios. Kleinliche Umstände haben
seine Ausführung verhindert. Umfassend
erfüllte der Plan alle Aufgaben als Reliquiar
und als Hochaltar, umfassend und in der
schönsten Weise gestaltete er alle Bezüge,
die der hohe Ort erfordert. Die Komposi-
tion der Wolkenglorie mit der Verklärung
ist tief gestaffelt und ohne starre Linien
durch eine Fülle von unsymmetrischen
freien Kompositionselementen ausgewogen.
Das Bild des verklärten Erlösers wird zum
höchsten und letzten Akkord einer Abfolge
von Gestaltungen, deren Ouvertüre in den
Kolonnaden und im Obelisken des Vor-
platzes erklungen ist.
Die Erwägung, ob das 20. Jahrhundert es
wagen dürfte, diese unvollendete Schöpfung
des 17. Jahrhunderts nach dem wiederge-
fundenen Modell zu vollenden, liegt nahe
(Abb. 33). Der Gedanke ist erregend, gälte
es doch, in Berninis Werk den Schlußstein
zu setzen, in der Basilika Petri das fehlende
Zielbilcl zu errichten. Möge die Sacra Con-
gregazione wie zu den Zeiten Gianlorenzo
Berninis darüber entscheiden.
32
n. 1.. Bcrnini. Karikatur Papst lnnozcnf XL. Leipzig,
Mus. d. bild. Kunst
Bcrninis lctztcs Hochaltzrprojckr mit Fmornonlage der
Transüguradon
132
33 y
ANMER KUNGEN 7176
'11 Siehe Anm. sz.
11 r-Li ist zu rinnen. aus zu einem spitcmn Zeitpunkt noch
Qllßlkn aus vatikanischen Archiven bekznntwc-rden. da:
Lichx in dies: Vorgänge bringen konnrcn. Ebenso könnten
jclzt Zcichnuugcn der Trlnsfigurzlion noch idenliüzicrt
werde . die bisher Znßnyrn waren.
szigatore de Ponleüci 2 farv: spcsc inulili nei Kcmpi
. Maurizio c Marcello Fagiolo delV
75 n.
cnsi clamorosi". z
Arno, 2. I. 0., s. an
76 Braurr-Wiltkower, a a. 0., Nr. 14a, ini M115. a. um.
Künste, Leipzig. 26-57.