Um eine Erfahrungsmöglichkeit geht es offenbar
auch dem 1942 geborenen Kürntner Cornelius
Kolig. Es geht ihm um die Erfahrungsmöglichkeit
des Tastens, des Fühlens. der Einwirkung von
ein- und ausgebuchtet, von kühl und warm.
Freilich finden wir auch in einer ganzen Anzahl
seiner Objekte eine das Auge reizende Kompo-
nente: Protoplasmaartige Gebilde aus Kunst-
stoff, in den verschiedensten Farben schillernd,
erinnern an Innereien, Meeresböden oder an die
Wände von Tropfsteinhöhlen. Diese Formationen
sind in durchsichtige Halbkugeln geschlossen, die
der Betrachter zu umfassen versucht ist. Von diesen
quasi Kombinationsobjekten (Auge + Hand) geht
Kolig zu reinen Plexiglaskuppeln über. die auch
eine haptische Funktion haben. Hier werden ge-
wissermaßen die Luftrdume sichtbar. Glatt oder
gerillt sind diese auf verchromten Stcindern mon-
tierten Kugelgebilde in ihrer hygienisch metallenen
Fertigkeit ein Erfahrungskorrelat der technoiden
Gesellschaft. Die Begrenzungen. die wir im räum-
lichen Denken gewohnt sind. werden hier, trotz
der formal sehr ausgewogenen Fixierung der
durchsichtigen Materialien. aufgehoben. Eine
weitere ernstliche Erfahrungsmöglichkeit will
Kolig mit seinem ..Tastraum" erschließen. Es
handelt sich um ein Objekt aus Plastik und Schaum-
stoffen. das gewissermaßen den Körper aufnimmt.
den Körper. mit dem man nun voll und ganz die
,.Umwelt" erfaßt (also mit Auge + Ohr + Nase +
Hand + Rücken + usw.). Der Raum ist heiz- und
kühlbar. geruchs- und tantemperierbar.
Finden wir bei Kolig eine Menge Anregungen,
einen Reiz der Spannung und selbst noch bei der
nüchternen Plexiglaskugel eine Verlockung zur
Betätigung. zum Darüberstreichen, so scheint uns
die Dingwelt Walter Pichlers. die mehr mechanisch
verankert ist. eher eine kühle maschinelle. auf
sich selbst bezogene zu sein. Ursprünglich kommt
das Werk des1936 in Südtirol geborenen Plastikers
und Designers von einer zweck- und funktions-
freien Maschinenwelt. Er baute aus dünnen Blechen
unglaublich fotogene Metollapparate, kombinierte
ein Objekt mit Plastikschlöuchen. so daß es wie
eine Stalinorgel aussieht. lößt einen nicht benütz-
baren Tisch auf Beinen aus Luft stehen (aufge-
blasene PVC-Saulen!) und führt auf einer schwe-
benden Plexiglasscheibe die Fusion zweier Kugeln
zu einer durch? Den meisten dieser Gebilde ist
noch etwas Ästhetisches eigen. wie es einem Renn-
wagen eigen ist (den Pichler dabei gerne zitiertl).
Wir wissen. schon Marinetti sagte im Futuristischen
Manifest 1909: ..Ein Rennwagen. . . ist schöner als
die Nike von Samotrake." Man kann oder könnte
also eventuell auch aus diesem Grunde versucht
sein, von Kunst zu sprechen: doch das will Pichler
durchaus nicht! Er will keine Kunst machen. Er
will Dinge schaffen, die ihm eben Spaß bereiten,
die ihm gerade einfallen, die. um mit Oswald
Oberhuber zu sprechen, ..als Witz fortdauern".
Ganz so scheint es aber dann doch wieder nicht zu
sein. denn da entstehen ähnliche Raumgebilde. wie
sie Kolig konstruierte oder die ..HausRucker-C0"'.
die Pichler nun "Intensiv-Box" nennt. Auch eine
Kreuzung von Folterinstrument und Expander
hat er geplant und bereits einen Teil. den ..Finger-
strecker" (Benennung des Autors). fertig, Eine
Vorrichtung wird an die Hand geschnallt. bei der
mittels Federn ein Finger gestreckt wird und es
große Mühe kostet, ihn abzubiegen. Ähnliche
Prozeduren will Pichler auch bei verschiedenen
anderen Gliedmaßen anwenden. Ein Helm mit
einem eingebauten Kleinstfernsehgerüt wird dem
Benützer dieser Objekte über den Kopf gestülpt,
so daß er, von der Umwelt isoliert. an einem
Leitseil geführt werden muß. (Daßdas Dr. Gcebbels
81 Co. nicht mehr erleben konnten!) Oberhuber
schreibt: ..Jeder Bereich. der außerhalb seiner
(Pichlers) Möglichkeiten und Absichten liegt. wird
ignoriert" 5.
ANMERKUNGEN 175 Galerie nächst Si. Siephdn 1967.
' O. Oberhuber, Die Zukunfl hul schon begann
' A. Vogel. Der Bildhauer Roland Goeschl. in: "Alle "prolokolle 68". Seile130.
und moderne Kunsi". Nr. 9B. 1968. Seile 42H. ' P. Baum. Wohnen im Jahr 2000. i ..Alie und m
' Aufgehängi im Museum des 20. Jahrhunderls. Wien. Kunsl". Nr. 97, 1968. Seile 45K.
Abgebildet im Kaiolog ..8 Proioiypen von Pichler". ' O. Oberhuber. a. a. 0-. Seiie 130.