2 Hans Makart, Bildnis seiner ersten Frau Amalie,
um 1871. U1 auf Mahagoni, 76 x 58,5 cm. Resi-
denzgalerie Salzburg.
Erlaubt man sich, seine Mitbürger mit der Frage
„Was halten Sie eigentlich von Makart?" zu be-
lästigen, so erhält man eigenartige Antworten.
Ich meine dabei nicht iene aus einer sich gebildet
wöhnenden Gesellschaftsschicht der Marke „gut-
bürgerlich", ich meine aber auch nicht das, was
etwa „Der Spiegel" vom 10. Juli 1972 unter
Kulturberichterstattung verstanden hatteÄ Ich
denke aber an die Unzahl iener ernsthaften und
für gewöhnlich vernünftigen Zeitgenossen, die
bei einer lobenden Erwähnung der Gemälde von
Hans Makart (Salzburg 1840-1884 Wien) bewußt
oder unbewußt ihr eigenes Seh- und Denkver-
mögen außer acht lassen und allzu leichtfertig
falsche, seit Generationen gebräuchliche Vor-Ur-
teileverwenden. Der Leser könnte nach solch einer
Einleitung vielleicht erwarten, daß ich nun den
Versuch unternehmen möchte, das Werk Makarts
„neu zu werten", es „zeitbezogen zu aktualisie-
ren". Mitnichten. Hier soll an einigen Beispielen
aus iüngster Zeit festgestellt werden, mit wel-
chen Mitteln manche Leute heutzutage eine aus
bestimmten Absichten betriebene Aktualisie-
rung" führen und geführt haben und welche
diese bestimmten Absichten sind.
So hätte man nicht erwartet, in einem HeftQ der
angesehenen Schweizer Monatsschrift „du". wel-
ches der „Genre-Malerei der Belle Epoque" ge-
widmet war, die üblichen Vor-Urteile wiederholt
zu finden: „Das Schicksal, das diese Schule traf,
war nicht unverdient. Was sie hervorbrachte,
war, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen,
eine Talmi-Kunst, die ganz nur dem Effekt, dem
Tageserfolg lebte." Abgesehen davon, daß die
ganz wenigen Ausnahmen nicht richtig genannt
wurden, wurden durch eine sonderbare, wohl
mit „marktkonformen" Rücksichten begründete
Auswahl die Maler wie ihre Werke so darge-
stellt, wie sie die Mitglieder der internationa-
len Kunst-Snobiety sowieso präsentiert sehen
wollen, nämlich „out". Man hätte auch nicht er-
wartet, daß sich der ebenso angesehene
DuMont-Schauberg-Verlog, Köln, zu dem „Bild-
band" „Was sie liebten . . ., Salonmalerei im 19.
Jahrhundert" von Paul Vogt, hergeben würde.
Schon die Verlagsankündigung ist deutlich: „Ein
unterhaltsamer Beitrag zur Kulturgeschichte des
19. Jahrhunderts, ein Spaß, der aber auch
nachdenklich stimmt." Paul Vogt ist selbst so
nachdenklich gestimmt, daß er in der Einleitungf
frivol-bescheiden meint: „Es bereitet ungetrübte
Freude, heute die Werke aller dieser Maler vor
uns Revue passieren zu lassen, da wir die wah-
ren Größen ihrer Zeit längst kennen und nach
Verdienst schätzen; wir lächeln nur noch, wo
sie sich tragisch gebärden, ihre Schönheitsideale
erheitern uns; und wo sie höchste Ansprüche
stellten, nehmen wir sie nicht mehr ernst." Nun,
der ganze weitere, vor widerlicher Scheinhei-
Iigkeit und blühendem Unsinn strotzende Text
von Paul Vogt wäre selbst nicht ernst zu neh-
men, würde Vogt nicht bereits auf Tafel 7 des
Abbildungsteiles auf seine Maskerade verzich-
ten. Denn hier, in einem Buch über die Salon-
malerei im 19. Jahrhundert, wird die 1933
gemalte „Göttin der Kunst" von Adolf Ziegler
abgebildet, ienes Professors der Münchener Aka-
demie, der 1936 als Hitlers liebstes Musenkind
Präsident der Reichskammer der Bildenden Kün-
ste geworden war und dem wegen der „photo-
realistischen" Penetranz seiner Akte taxfrei der
Spitzname „Maler des deutschen Schamhaares"
verliehen worden war. Wenn dann noch Vogt es
für nötig hält, zwischen den Houptwerken von
Makart, Piloty, Cabanel oder Bouguereau nicht
nur Gemälde schlechtester Qualität, sondern
auch noch die „Leda" des Paul Padua oder
„Siegfried im Kampf mit dem König der Dänen"
des Ferdinand Staeger von 1943 abzubilden -
beiden war Huld und Gnade zuteil geworden,
an den Großen Kunstausstellungen im Haus der
Deutschen Kunst teilzunehmen -, dann ist die
Richtung klar, woher der Wind weht: Unter Sa-
lon hat also hier das verstanden zu werden, was
unter den Scheuklappen von links außen heute
so bezeichnet wird. Oder hält Vogt seine Leser
wirklich für so naiv, zu glauben, der volksnahe
Kitsch und die artreine Sterilität einer „tausend-
iährigen" Innendekoration seien vergleichbar
oder gar identisch mit den Salons des Historis-
mus? Paul Vogt hat aber auch in seinem „Pracht-
werk" eine Methode gepflegt - die manipulie-
rende Zitierung „passender" zeitgenössischer
Texte -, die für ienen Mann zum Vorbild wurde,
der sich um die „lmoge-Pflege" von Hans Makart
besonders „verdient" gemacht hat: für Klaus
Gallwitz.
Gallwitz hatte das Werk Makarts, dieser „Zen-
tralfigur der Belle Epoque franzisko-iosephini-
schen Zuschnitts, aus dem Dunkel der Museums-
depots vor das wohlwollende Tribunal einer
zur Rehabilitierung nur allzugern bereiten Ge-
neration gebracht";5 er hätte mit dieser Aus-
stellung in der damals von ihm geleiteten Kunst-
halle Baden-Badenö das „wohlwollende Tribu-
nal" zu selbständigem Denken anregen können.
Jedoch: Gallwitz wollte mit seiner Arbeit an
dem umfangreichen Kotalog' zu dieser Aus-
stellung keine „gerechtere Würdigung", er
wollte nur „bestimmte ästhetische Schablonen
und Vorlieben unserer Tage klären".' Wie
Gallwitzens eigene Schablonen und Vorlieben
aussehen, weiß man seit spätestens Seite 11
seines Katalogtextes: „Die kapitalistischen Na-
tionen geben sich ein Stelldichein auf den Welt-
ausstellungen, und dort behauptet auch die Kunst
ihr gesellschaftliches Alibi in Essig und Öl (siclt,
in Bronze und Marmor." Mir ist jede Ideologie-
kritik recht, so oder so, wenn sie mit entspre-
chendem Niveau und mit fairen Mitteln geführt
wird. Aber ich wende mich ausdrücklich und in
aller Schärfe gegen eine „Methode", die sich
mit einer falschen Gloriole aus Kunstwissenschaft
und Museumstechnik umgibt, in Wirklichkeit aber
nur darauf aus ist, das Werk eines großen Ma-
lers - wieder einmal - in den Schmutz zu ziehen.
Denn das, was Gallwitz gemacht hatte, war
keine von ihm geforderte „sachbezogene" Dis-
kussion, sondern war willkürliche Manipulation
der öffentlichen Meinung in Reinkultur.
Gallwitz hatte sich für den umfangreichen Ka-
talog der Mitarbeit mehrerer ernsthafter Kunst-
historiker versichert, unter ihnen Gerbert Frodl,
Renata Mikula oder Wolfgang Hartmann, die zu
den 117 Katalognummern exakte und tatsächlich
„sachbezogene" Beschreibungen gegeben haben.
Was aber machte Klaus Gallwitz? Er setzte,
druckgraphisch geschickt und für seine umfunk-
tionierende Mentalität kennzeichnend, diesen in-
formativen Angaben Zitate aus zeitgenössischen
Pamphleten gegen Makart und „liebliche" An-
preisungen gegenüber, deren Aufspürung ihm
wohl nur durch das ausführliche Literaturver-
zeichnis in Emil Pirchans (sicher nicht unproble-
matischer) Monographiei ermöglicht worden
war. Wenn sich die genannten Wissenschaftler
so etwas gefallen lassen, so ist das ihre Sache;
hier sei es dem Leser freigestellt, darüber zu ur-
teilen. Zum Beispiel gab Renata Mikula treffend
prägnante Kennzeichnungen der von Makart
geschaffenen Frauenporträts, aber Gallwitz zi-
tiertew: „Zwischen Guglhupf, Schlagobers und
gutem Kaffee, während die lautenkundige
Schwiegermutter zu immer neuen Guglhupf-
stücken nötigt..." Zu den Texten zum „Einzug
Karls V." wurde ein Traktälchen des durch
seine Polemiken unrühmlich bekannt geworde-
nen Robert Stiassny gestellt, zu den „Fünf Sin-
2 Hans Mukari, Bildnis seiner ersfen Frau Amalie,
um 1871. Ul auf Mahagoni, 76 x 53,5 cm. Resi-
denzgulerie Salzburg.