Herbert Beck
Bemerkungen zur
Salzburger Skulptur
der Spätgotik
l Wasserspeier. Nürnberger Marmor, Höhe 22 cm.
Privalbesifz, Wien
Vom 18. Juni bis zum 31. Oktober 1976 zeigte
das Salzburger Museum Carolino Augusteum
Skulpturen und Kunstgewerbe der Spätgotik in
Salzburg. Die ausgewählten Werke, dazu der
handbuchartige Katalog, der auch solche Skulp-
turen aufgenommen hatte, die in der Ausstellung
selbst nicht vertreten waren, vermittelten reprä-
sentative Beispiele der Salzburger Bildschnitzerei
von der ersten Hälfte des 14. bis zum Ende des
ersten Drittels des 16. Jahrhunderts. Hauptsäch-
lich in der Vielfalt der Aspekte des erstmals in
dieser Fülle ausgebreiteten Materials, das zur Er-
arbeitung einer Geschichte der Salzburger spät-
gotischen Skulptur anregen dürfte, lag der be-
sondere Wert dieses Unternehmens. Von seinen
wissenschaftlichen Anregungen ausgehend, sol-
len hier einige ergänzende Überlegungen nach-
getragen werden.
Die Heterogenität der Salzburger Plastik bis zum
Beginn des letzten Drittels des '14. Jahrhunderts
wurde anläßlich der Ausstellung und durch die
Katalagbeiträge deutlich. Übergreifende Stil-
merkmale konnten für diesen Zeitraum kaum
oder doch nur wenig überzeugend herausgear-
beitet werden, wiewahl die zum Vergleich ver-
fügbaren Werke durchaus, wenn auch beschei-
dene, Hinweise auf eigenständige, charakteristi-
sche und wohl auch in Salzburg selbst realisierte
Formvarstellungen gaben. Anerkennt man die
stilistische Zugehörigkeit eines Wasserspeiers in
Wiener Privatbesitz (KaL-Nr. 36, Abb. i) - ein
zweiter soll an einem Wohnhaus in Salzburg
entdeckt worden sein - zu der Gruppe der drei
HI. Bischöfe des Salzburger Museums (Kat.-Nr.
28-30, Abb. 2), so wäre damit ein Indiz für die
bildhouerische Produktion am Ort gegeben. Die-
ses kann freilich ebensowenig wie die von
außen nach Salzburg getragenen Formen, soweit
die überlieferten Werke einen gültigen Eindruck
vermitteln, als eine oder gar die maßgebliche
Voraussetzung für den Stilwandel im letzten Drit-
tel des 14. Jahrhunderts oder gar für die Schöne
Madonna der Kunst um 1400 Geltung beanspru-
chen. Vielmehr muß die Darstellung einer Kanti-
nuität der am Ort entstandenen oder in Salzburg
heimisch gewordenen Skulptur in der Zeit des
Übergangs von den Formen der Jahrhundert-
mitte zum Internationalen oder Schönen Stil an
radikalen Neuerungen relativiert werden.
Die Frage nach dem Ort der Entstehung der
Schönen Madonna und des den gleichen forma-
len Gesetzmäßigkeiten zugehörigen Schönen
Vesperbildes wird die Wissenschaft auch weiter-
hin beschäftigen. Die Salzburger Ausstellung hat
weitere Gründe für den Ursprung der Schönen
Madonna in Böhmen geltend gemacht, von wo
als „Schöpfungswerk" die Altenmarkter (KaL-Nr.
39) wohl als erste, vor 1393, in die Salzburger
Kunstlandschaft gelangte. Nach Jahrzehnten der
strengen Bindung an einen älteren Madonnen-
typus fand im letzten Viertel des 14. Jahrhun-
derts die Schöne Madonna hier Verbreitung. Es
nimmt wunder, wie ihre Gestalt von dem in der
Vergangenheit erlangten Grad von Naturwahr-
heit Abstand nahm, anatomische Verhältnisse,
Bewegungsabläufe und Körperschwere umkehrte
und sie überraschend neuen ästhetischen For-
meln einband. Diese formgenetische Radikalität
des dreidimensionalen Bildes der Schönen Ma-
donna, ihre auffallende Traditionslosigkeit, sind
für sie bedeutsame Merkmale. Farmgeschichtliche
Bezüge, die zugunsten geradliniger Stilabläufe
diesen Anfang, und sollte er auch Voraussetzun-
gen beispielsweise im gemalten Gnadenbild ge-
habt haben, gering schätzen, könnten einen ge-
wichtigen Wirkungsfaktor dieses Marienbildes,
den Formenumbruch, außer acht lassen. Denn
daß die Schöne Madonna in recht fest gefügte
und völlig andersartige Salzburger Formgewohn-
heiten einbrach, machte die Ausstellung der Salz-
burger Spätgotik deutlich. Im Anschluß an böh-
mische Bilder, wie der Madonna aus Kanopischt
(vgl. Kot-Nr. 14), hatten sich, etwa um 1380, lo-
kale Formelemente herausgebildet, die in dem
Typus der Löwenmadanna (Abb. 3] zur größten
Verbreitung gekommen zu sein scheinen. Begreift
man ihre extreme Körperbewegung und die
strähnige Gewandführung als für sie charakteri-
stisch, so dürfen diese Elemente verallgemei-
nernd als zu iener Zeit spezifisch salzburgisch
angesprochen werden, da sie, nur wenig modifi-
ziert, auch für andere Werke der Salzburger
Kunstlandschaft konstitutiv wurden. Dies bezeugt
die lrrsdorfer Madonna (Kai-Nr. 38, Abb. 4), an
sie anschließend die Madonna aus der St.-Mar-
kus-Kirche (Kot-Nr. ll, Abb. 5), wobei Unter-
schiede zu den Löwenmadonnen weitgehend den
veränderten und vermutlich ungewohnten stati-
schen Anforderungen der monumentalen lrrsdor-
fer Steinskulptur zugeschrieben werden dürfen;
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