braungelb das Haar des gebeugten Kindes, grünes
Wams, braunes Haar. doch auch ein blaues Spielzeug,
des aufgewendeten Kindes; das stehende, fünfte Kind
trägt dunkle, blaueSchürze und gedämpft helle, sand-
graue Jacke. insoweit sind die Dunkelheiten in ge-
dämpfte Helligkeiten eingebettet. sind räumlich stei-
gendin Entwicklung;doch gegenüberderdritten undvor
der fünften Figur tritt, da Blau in Spielzeug und Schürze
mit einemmal zur Dunkelheit gezogen wird, in der vier-
ten Figur intensivste Helligkeitfrei heraus, in ihrvom Ro-
sa des Beinkleides über das Grau (auf Bräunlich) des
Kleides zum strahlenden Weiß des Kittels unter dem
Blond des Haares entwickelt; und, motivisch, damitver-
bunden, daß das Mädchen vor dem aus dem blauen
Kästchen herausspringenden Kasperl erstaunt, erhei-
tert-verlegen zurückfährt. Die Durchführung in Dunkel
dientder Freisetzung von Helligkeit. Zur Materialität der
Farbe: indieserGruppe wird bei den Farben. alsCharak-
terderselbenunablosbanmitinsSpielgebrachtdasSei-
dige im Kittel der ersten Figur, das Samtige in den Wäm-
sern der Wendefigur und das Sandig-Trockene in der
aufgerichteten Figur. Neben diesem schnellen Wech-
sel und auch im Kontrast dazu tritt die Helligkeit in ihrer
intensivsten Stufe im Kittel des Mädchens als strahlen-
de Helligkeit ohne materiale Stimmung frei heraus. In
derdrittenGruppe eine neue Folge und eine neue Bewe-
gung: In derersten Figur sind farblich. überweiß und rot
gestreiften Strümpfen, deren Rot zu den drei farblichen
Fixpunkten des Bildes gehört. jetzt Dunkel und Hell bei-
sammen, das Kleid schwarz. folgend dem zweiten Kind
der vorigen Gruppe. und rot. antwortend dem dritten
Kind der vorigen Gruppe, und der Kittel weiß, doch
rötlich-bläulich, folgend dem hellen Kinde, seinem Kit-
tel, seinem Beinkleid und dem Spielzeug, vor dem es er-
schrickt, doch milde und nur in farblicher Brechung; es
folgt in der zweiten Figur höchster seidiger Glanz. rosa
im Kleid und bläulich im Kittel gestimmt; es folgtdie drit-
te FigurinderTielemit schwarzem Haarundbläulichem
Kleid; und - ausgegangen vom Hell-Dunkel vereint in
der ersten Figur, über höchsten seidigen Glanz in der
zweiten Figur. das blauliche Kleid der dritten Figur, nun
zu farbigen seidigen Graus übergehend - folgen die
letzten der Gruppe, das fernere Kind in Weiß mit gräuli-
chen, rötlichen undbräunlichen Schatten und das nähe-
re Kind in Weiß mit im Rücken fast grauen, sonst eben-
falls gräulichen, rötlichen und bräunlichen Scharten.
Darnach die vierte Einheit des Bildes als Ziel der Farb-
bewegung und Schluß der Komposition in entschiede-
ner materialer Spaltung: rot der Teppich und braun,
doch extrem material mahagonifarben der Tisch, und
jenseits, wie entrückt dem Materialen, leuchtend im
Licht die Frau, grau, blau, rot, braun in der Bluse und mit
hellem Schimmer rechtsseltlich ihres Hauptes. Die
Frau. leuchtend, folgt, abgehoben als Schluß, zugleich
derdritten Gruppe, seidig, wie in derzweiten das zurück-
fahrende Kind,hell,aufdieanderemsamtig;sodiedyna-
misch-metrische Dehnung schwellend. Die Proportion
der Figurenzahl in der Gesamtfoige: 4:14 +1):i5 +1].
Das Charakteristische in farbkompositioneller Hinsicht
ist in dem betonten und abgehobenen Schluß, als dem
Ziel der farblichen Bewegung, in der Entgegensetzung
von Materialem (Mahagoni) und Leuchten evident. Ei-
nen solchen Gegensatz herauszubringen dienen a) die
Durchführungen über wechselnde Lichtphänomene,
über reine Lichtphänomene, wie das Hell gegen ein
Dunkel in der zweiten Gruppe, und materialgebundene
Lichtphanomene, wie der Glanz gegen ein Hell-Dunkel,
derSchimmer folgend auf den Glanz in derdritten Grup-
pe, und dient b) die enge Verbindung oder im Kontrast
plötzliche Trennung von Farbe und Stofflichkeit, wie
samtig, seidig. Diese verschiedenen Farb-Licht-Mate-
rialerscheinungen befinden sich in rapidem Wechsel.
Zwei Zusätze: Ergänzend: Ein Farblichtphänornen fin-
det sich fast nie, vom Bildgrund hervielschichtig, aufge-
baut, somit am Platz beharrend, sondern gleitend diffe-
renziert. Und erklarend: Die gemeinte Stofflichkeit wird
nicht in Farbigkeit übersetzt und solcherartdar-gestellt,
imGegenteilsolldieFarbeCharakterundSiimmungvon
Stofflichkeit bekommen: die Farbe wird samtig, nicht
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Samt als Farbe dargestellt: um das zu ermöglichen,
dient der genannte rapide Wechsel dieser Materialcha-
raktere untereinander und noch verbunden mit mate-
rialgebundenen und reinen Lichtphänomenen: so daß
nicht die Farbigkeit als. noch sonst eine vergleichbare,
Bezugsebene entsteht. Dieser augenbetörende und
fesselnde Farb-Maferial-Licht-Zauber wird auf der Ba-
sis einer Figurenkomposition entfaltet. Und diese Basis
ist einerseits fest. nämlich in Gruppen geordnet; sie ist
andererseits aber ambivalent, indem es eher verwirrt,
daß die zweiteGruppe zwaraufdie ersteGruppe mittels
Variation ihrerje letzten Figur bezogen ist, die dritte auf
die zweite aber(und s0forl)durchdie Zusammenraffung
(des gerade erstauseinandergetriebenen) nun des Hell-
Dunkel; diese Basis ist andererseits, sage ich, ambiva-
lent und infolge der Schwellung höchst variabel. Dieser
Zauber in seinem rapiden Wechsel dient, wenn ich rich-
tig sehe, nun nicht einer Dar-steilung von Kindern und
Erwachsenen; erwird selbständig; und das erstaunt-er-
heiteri-veriegene Zurückfahren des Kindes, wodie Hel-
ligkeit gegenüber dem Dunkel herausspringt, wird eher
motivierend. dienend nachgeschoben. Bei diesem Ver-
hältnis derfarblichen und figürlichen Komposition fühle
ich mich an einen Satz von Rudolf Bockholdt erinnert,
derin seinem Würzburgervortrag überBerliozvon Wag-
ner gesagt hatte: nDas konventionelle, einfache Bauge-
rüst ist mit Stoffen drapiert, die in immer prachtvollere
Bewegung geraten und derart betörendsind, daß siedie
ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen und den Gedan-
ken, sie zu lüften, nicht aufkommen lassemr"
ich kehre mit einigen Salzen zur Freisfunde im Waisen-
haus zurück. Dieses Werk steht künstlerisch sichtlich
auf einem ganz anderen Niveau: der betörende Wech-
sel materialerCharaktere und Stimmungen ist gänzlich
preisgegeben; die Farbigkeit. in der auch hier keine
Farbtotalität angestrebt wird, ist, bei grünlich-purpurn-
gelblichem Ton, auf die klaren, ungebrochenen Farben
Schwarz, Rot und Weiß begrenzt - Schwarz und Weiß
sind hier dem Rot gleichrangige Farben. Und neben der
wFigurierungir sind allein Flaum, Licht und Farbe Mine!
der malerischen Komposition, das sind auch jene drei,
die Liebermann in seiner späteren Schrift iwDie Phanta-
sie in der Malereiir in dem von der Komposition handeln-
den Abschnittals einzige Mittel und markantunterschie-
den, durch je eine Autorität - Velazquez, Rembrandt,
Tizian - paradigmatisch bestätigt, hervorstellen wird?
Das kompositionelle Verfahren aber: der schnelle
Wechsel der dominanten Mittel. die Schwellung, und
zwar die Schwellung zu einem herausgehobenen
Schluß hin, sind geblieben.
Dafür, daß das kompositionelle Thema: eine räumliche
Figurenanordnung rechts im Bild als Schluß im Verhält-
nis zu oder herausgeführt aus Einzelfiguren links, Lie-
bermann noch lange beschäftigt hat, erinnere ich an
drei Beispiele;
a) Die Badenden Knaben des Fünfzigjährigen (1896198;
122 x 151 cm; Neue Pinakothek München), aus zehn
Figurenl" komponiert. Ausgehend von dem schon auf
den Strand getretenen Knaben halb links, eine räumli-
che Anordnung nach rechts, Einzelfiguren links und tie-
fer.
b) Die Badenden Knaben des Dreiundfünfzigjährigen
(1900; 113 x 152 cm; Privatbesitz), wiederum aus zehn
Figuren komponiert. Ausgehend von dem kleinen Kna-
ben vornean, der den ersten Fuß zaghaft in das Wasser
setzt. In beiden Kompositionen tritt aber das Phänomen
der Schwellung nicht mehr auf; in diesem Bilde beson-
ders deutlich auch, wenn man die lang hinziehenden
Wellen mit der Wegeinfassung und der Fensterrah-
mung der nFreistunde im Waisenhausir vergleicht. Viel-
leicht beachtet man noch, wie die Komposition unter
dem Horizonte, das ist zugleich dem Blick des Badeauf-
sehers links, schwer und leicht zugleich entwickelt ist
und aufgeht.
c) Am ehesten einer Schwellung nahe kommt die späte-
ste dieser Kompositionen. das Bild Nach dem Bade des
Sechsundfünfzigjährigen (1903; 62 x 90 crn; Privatbe-
sitz), eine Komposition ausnunzwdlf Figuren, insbeson-
dere wenn man den gemuldeten Boden und die steigen-
de Düne beachtet und, im Vergleich mit einer vorherge-
henden zugehörigen Bleistiftskizzel ' füreine noch zehn-
figurige Komposition, bemerkt, wie durch die Einfügung
des mittleren hockenden und des rechts ihm nächstste-
henden Knaben aus zwei nun drei stets weiträumigere
Einheiten in atmender Folge geworden sind; doch las-
sen die markanten blauen Schatten aufdem Sande und,
so fern immer diese Figuren- und Gruppenlolge von der
linken Figuren- und Gruppenfolge in Raffaeis Disputa
ist, die gebeugten und sitzenden Gestalten, auch die
knickende Fügung der mittleren stehenden Gestalten
sich keine Schwellung ungehindert überhin entfallen.
So ist A das späte Werk Liebermanns gar nicht berüh-
rend, selbst mit den Figurenkompositiorlen des mittle-
ren Werkes verglichen - die Komposition der "Frei-
stunde im Waisenhaus-r im Werke des jüngeren Lieber-
mann nach Niveau und Charakter eine eigentümliche
Stufe: mit einer Figurenlolge. die. wie ich sagte, in un-
meßbaren Distanzen von derzweiten, räumlichen Zone
in die dritte, iichrdominierte geht und dann von der drit-
ten, lichfdominierten ausdem Lichtflimmernden, immer
mehr anschwellend, durch die räumlich dominierte,
dämmrige, in die erste. rarbdominierle zu so farbigem,
klarem, vollrundem, nicht hochüberwölbtem, sondern
tief, schwer, tiefer als die Anhebungsfiguren, gebunde-
nem Schluß geht. Man vergleiche auch die unmittelbar
vorhergehende FarbskizzeÄZ
Fürdiese Stufe seiner Entwicklung nun, die Liebermann
in München erst erreichte. ist es da falsch, zu fragen: ob
dieses Anschwellende. aus dem Lichtflimmernden
durch das Dämmrige, räumlich verspannte zu dem Vo-
luminaren, Runden, Festen, örtlich Tiefen nicht mit der
Herabkunft des Grals im Vorspiel des Lohengrinßver-
wandt ist; eher jedenfalls als mit Velazquez'
Teppichwirkerinnen.
Und ein Letztes: Raum, Licht und Farbe erscheinen hier
noch als Medien, in die die Figuren aufgenommen sind;
die treffende und sympathische Wirklichkeitswahrneh-
mung Liebermanns und die kunstvolle und erfreuende
Malerei sind einander angepaßt; und doch 7 sehe ich
richtig? - zwischen peiniure und Motiv, zwischen ma-
lerischem Stil und lkonographie klarfrnoch ein Spalt-Ce-
zannes Problem der Darstellung. Der Satz: iiDie gutge-
malte Rübe ist ebenso gut wie die gutgemalte Madonna.
wohlgemerkt als rein malerisches Produkt. . .1", ist
nicht nur gescheit und adversativ. Und der Satz: iiAuch
weiß ich wohl, daß die Darstellung einer Madonna noch
andere als rein malerische Ansprüche . .. stellt und daß
sie als künstlerische Aufgabe schwerer zu bewältigen
ist als ein StillebenrrlischeintdenSpaltzu meinen, doch
verkennt er ihn.
Anmerkungen 8 - 15
' Fllldült Bockholdl. Musikalischer Salz und Orchesterklang irri Werk von
Heclor Beilibl. in Die Musiklorschung 1979, 122 N . bes. 125
' Max Liebermann, Die Phantasie ln der Malerei. Schritten und Reden,
rtrsg. Günter Busch, Franklurl 1975, 511 Unter Abweisung der linearen
Figurlerurig Flaffaels
" Zehn Figuren umtaßt auch das kornpcisiiidrlell unvergleichliche Bild wlm
SChWlmlTlD3dI1tB75 - 7711925. 130 X 255cm: Schweizer Privalbesitz:
Ausstellungskaialog Nr so).
" Die Bieistillskizze isl abgebildet In. Karl Scheffler, Max Liebermann.
München 1922. S. 69. Sie land sich lmAusslellungskalalog bei dem ent-
sprechenden Bilde (Nr. S9) nachgewresen.
" Die Farbskiue IS1 abgebildet in' G K., Max LiebermannsSkizzezu den
Amsterdamer Waisenrnädchen, in. Zeitschrift lur bildende Kunst N. F.
XII, 1901 , 72, Farbtafel beigebunden. Zum Unterschied ZU jenen Farb-
studiert, der hier in Anm 4 genannten und der iri der Kunsthalle Bremen
(1576, 27 X 35 cni, Ausstellungskatalug Nr. 28], handelt es sich bei die-
ser um Einen rapiden Kcmpositionseniwurl, wohl Aquarell auf Papier.
In der Kurnpdsltlon wurde die hier urri zwei verringerte Anzahl der Fen-
sterachsen wieder um eine vermehrt; vor allem aber die Schlußgruppe
von unten und rechts her knapper vom Blldrand eingelaßt; dadurch ge-
wann die rapide Schwellung Festigkeit und damit Fülle.
" Daß ein Eirldriickvori einer Lchangrin-Aullüllrung Liebermann plolllich
in den Stand 591119, auf Grund derllirlfJahre alteren StudiendasGemäl-
de auszuluhren, rnuß nicht abgewiesen werden. Martin Geck, Musik
und Musikleben in Miinchen, Flichsrd Wagner und Ludwig ll ,lf1'Ü911i
und Michael Petlei. Die Richard Wagner Bühne Künlg Ludwigs ll., Mun-
chen 1970. s. 32er , teilt mit, daß unterder lntendanz Karl vdn Perlalls
(1867 D15 1392) 742 Aufführungen Vorl Wagner-Opern slattfariden, dar-
unter am meisten solche des Lohengrlmnamlich147.ll_ortengrlniß5ü
vollendet; Münchener Erstaufführung 1558, Neuinszenierung unter
Mitwirkung Wagners leer; Berliner Erstaufführung 1859; a. a. o.
SS. 90, 102).
" Max Liebermann. Die Phantasie in der Malerei, a. a. O. S. 49.
ß Max Liebermann. ebenda