DAS BUNDESDENKMALAMT ZUM JAHR DES DENKMALSCHUTZES19
Erwin Thaihammer
Die Zukunft
der Vergangenheit
„Jahr des Denkmalschutzes 1975" - „Rettung des
kulturellen europäischen Erbes" - „Eine Zukunft
für unsere Vergangenheit!" - allenthalben zu
hörende, zu lesende Aussagen, mit Überzeugung
ausgesprochen, mit vielfach nicht geringerer
Überzeugung aufgenommen. Der Gedanke an
eine Generalmobilmachung liegt nahe, an eine
Maßnahme also, die an die Frage des Über-
lebens rührt, an Fragen nach Versäumtem und
Folgen des bislang Geschehenen, weniger schon
an solche nach der Durchführung und vielleicht
noch weniger an soldwe nach den gebotenen
Möglichkeiten und an die nach den damit ver-
bundenen Verpflichtungen und - so provozie-
rend es auch fürs erste klingen mag - am we-
nigsten an die nach dem eigentlichen Ziel.
Gerade diese Frage ist aber für den mit Auftrag
und Imperium ausgestatteten Träger des staatli-
chen Denkmalschutzes die wohl entscheidendste
Frage. Sie zu beantworten kann nur Versuch
sein, wobei sich hier dieser Versuch lediglich in-
nerhalb iener Grenzen unternehmen laßt, die
vom Gesetzgeber gezogen sind. Er nun wendet
sein Protektorat (in Österreich, grundsätzlich
wohl auch im allgemeinen) „unbeweglichen und
beweglichen Gegenständen von geschichtlicher,
künstlerischer oder kultureller Bedeutung (Denk-
maIe)" zu, „wenn ihre Erhaltung dieser Bedeu-
tung wegen im äffentlichen Interesse gelegen
ist".
Eine weit gespannte und im Grunde sicher zu-
treffende Determinierung, die den Einsatz des
Instrumentes „Denkmalschutz" ebenso leicht wie
schwierig macht, leicht, weil sich nahezu jeder
von Menschen geschaffene Gegenstand wenig-
stens als Dokument, somit als „historisch bedeu-
tend", ansprechen läßt, mehr noch, tatsächlich
„historisch bedeutend" ist, zumindest für den,
dessen Interesse aus welchen Gründen immer
bestimmten Lebenskreisen, Leistungen, Persön-
lichkeiten, Ereignissen und Lebensformen der
Vergangenheit gilt, schwierig, weil es nicht Auf-
gabe des Denkmalschutzes sein kann und darf,
gleichsam den natürlichen und ebenso lebens-
notwendigen Ablauf geistigen und physischen
Geschehens zum Erstarren zu bringen. Ein sol-
ches Erstarren wäre aber zwangsläufige Folge
der Erfüllung des Wunsches mancher, die gegen-
wärtig sichtbaren Ergebnisse historischer Vor-
gänge gewissermaßen als Standfoto sichtbar zu
erhalten. Die nahezu unbegrenzte Möglichkeit
zu schützen und die auch gelegentlich geäußerte
Forderung, von dieser Möglichkeit rigorosen Ge-
brauch zu machen, werden so zu einem der
schwierigsten Probleme des Denkmalschutzes.
Dort, wo sich der Denkmalschutz ausschließlich
oder überwiegend auf die Kriterien „künstlerisdrW
oder „kulturell" bedeutend beruft, wird doch
das Vorliegen von Merkmalen gefordert, die
eine Einengung des Schutzauftrags ebenso wol-
len wie gestatten, soweit wenigstens die diesen
Kriterien geltenden, von Wissenschaft und For-
schung angebotenen Maße mehr oder minder
klare Endpunkte zu setzen vermögen.
Solange das Denkmal klassischer Vorstellung
ganz oder überwiegend im Bereich künstlerischer
Leistung und kultureller Bedeutung angesiedelt
war - und dies war es vor allem so lange, als
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nur das Einzelobiekt Gegenstand des Erhal-
tungsinteresses war -, solange hatten Denkmal-
schutz und Denkmalpflege Prämissen zu prüfen,
für die eine Prüfbarkeit bestand oder doch zu
bestehen schien. Das Denkmal präsentierte sich
selbst, sei es durch den Rang seines künstleri-
schen oder kulturellen Wertes, sei es als Bei-
spiel für das Bestehen solcher Werte in der
Vergangenheit. Daß damit ein Auswahlprazeß
stattfand, der.im Grunde auch am Wesen des
Denkmalschutzes vorbeigehen konnte, wurde
erst spät erkannt und mit der Willkür, mit der
der zweite Weltkrieg in Europa vor allem bei
dieser „Auswahl" verfuhr, voll bewußt. Zum täti-
gen Protest gegen eine derartige „Auswahl" be-
durfte es allerdings noch einer Fortsetzung der
Katastrophe aus den Kriegsfolgen hinein in die
Folgen nunmehr zwar kontrollierbarer und den-
noch kontrollos bleibender Zerstörung durch
Bautätigkeit, überhitzte Fartschrittssehnsucht und
durch Verkehrsfanatismus. Das „J'ahr des Denk-
malschutzes" wurde ausgerufen, „Eine Zukunft
für unsere Vergangenheit!" seine Parole.
Damit trat das Einzelobiekt von „künstlerischer
oder kultureller Bedeutung" zurück in die Ge-
samtheit „kulturellen (europäischen) Erbes", wur-
de ihm die Funktion von Positionslichtern im
Strom des Ablaufs der Geschichte zugewiesen.
Ist damit aber auch ein Wandel im Begriff
„Denkmal" eingetreten, sind nunmehr Denkmal-
schutz und Denkmalpflege in Auftrag und Inhalt
einer Revision zu unterziehen?
Fürs erste hat es den Anschein, daß dem so sei,
insbesondere angesichts der Feststellung, daß es
sich bei den für das Jahr 1975 als dem Jahr
des Denkmalschutzes grundsätzlichen Absichten
und Gedanken um die Erhaltung von Gesamt-
heiten handelt, mit deren Fortbestehen das „kul-
turelle Erbe Europas" gerettet werden soll, wo-
bei vor allem an das architektonische Erbe ge-
dacht ist. Hier nun einen Begriffswandel her-
auslesen z-u wollen, wäre ebenso falsch wie ver-
höngnisvoll. Falsch deshalb, weil damit Ursache
und Wirkung venuechselt würden; das öffent-
liche Interesse an der Erhaltung vor allem der
historischen Bausubstanz hat einen Wandel im
Sinne einer enormen Steigerung und Erweite-
rung erfahren, der Denkmalbegriff blieb unver-
ändert. Er hat allerdings mit der Steigerung des
ihm und seiner Anwendung geltenden Interesses
an Chancen gewannen, sich als Realität durch-
zusetzen. Verhängnisvoll deshalb, weil ein sol-
cher Irrtum ienen Tendenzen den gerne und
stets häufiger betretenen Boden ebnete, die
Denkmalschutz und Denkmalpflege als „Nostal-
gieeffekt" qualifizieren, sie in die Isolierung
rein akademischer und dort bis zum Gipfel
konsequentester musealer Realisierung treiben
wollen, um sich einerseits von vermeintlichen
Fesseln zu befreien, die neu zu schaffender Ar-
chitektur durch das Weiterbestehen überliefer-
ter Bausubstanz auferlegt werden, und sich an-
dererseits ein Alibi für eine behauptete eigene
denkmalfreundliche Gesinnung zu verschaffen.
Als Beweis dafür, daß der Denkmalschutz längst
schon als Schutz eines gesamten kulturellen Er-
bes (in Österreich, was hier nur Beispiel für
gleichartiges Denken anderswo steht) konzipiert
war, möge folgendes Zitat gelten.
„Die katastrophale Verarmung unseres N
landes, der mangelnde historische Sinn, dr
schreckende Schwinden des Sinnes für Efllt
heit und Größe des geistigen und künstleri
Schaffens, das mangelnde Verständnis füi
Werden und Wachsen der Kultur machen e
leitenden Kreisen zur Pflicht, dafür Sarg
tragen, daß das Kulturgut, welches unsere
fahren mit stiller lnnigkeit geschaffen uni
pietätvoll hinterlassen haben, vor barbari
Zugriffen pietätloser Zerstörer einerseits
dem Zugriff habsüchtiger Spekulanten am
seits bewahrt werde."
Diese Sätze sind in dem Antrag Nr. 1511
Beilagen zu lesen, mit dem im Jahre 1921
geltende österreichische Denkmalschutzgest
die gesetzgebenden Körperschaften eingel
wurde. Seine für heute vielleicht etwas r:
tisch klingende Wortwahl ändert nichts a
Deutlichkeit der Motivation.
Mit ihr, der Motivation, ist aber auch der
trag umrissen, den Denkmalschutz und Den
pflege der Öffentlichkeit gegenüber zu er
haben. Und dieser Auftrag reicht von der
stellung des Bestehens oder Nichtbestehens
Denkmalqualität bis zur dem Denkmal gen
Pflege und Erhaltung. Darüber hinaus habe
dem Problem des Eindringens einer de
stehenden architektonischen Substanz Wt
fremden Architektur in [üngster Zeit stets
Gesetzgebungsakte regionaler Natur zugevi
auch sie Zeugnis für eine Mehrung des ä
lichen Interesses an der Bewahrung des UE
ferten bei Gleichbleiben des Denkmalbegril
Damit nun scheint mir die Zielsetzung des
res des Denkmalschutzes l975" eindeutig:
Nicht ein Wandel des Denkmalbegriffs,
weniger das Wecken einer Zukunftsangs
dem Blick auf „gute alte Zeit" sollen in un
ihm versucht werden, lediglich ein Sichbes
auf die Tatsache, daß Überlieferung nich
gnation, sondern Fortsetzen, Weiterführer
Sichentwickeln heißt, daß der Mensch Ul
innerhalb der Gesellschaft und sie mit ih
weils Mitte eines Vorganges sind, dessen Zt
liegender Teil Voraussetzung für den vorc
genden ist. Die sichtbarste Spur dieses V)
das „Denkmal" und da wieder vor allen
Baudenkmal - im einzelnen wie in signifik
Gesamtheiten -, soll bewahrt bleiben im
der Erhaltung ienes Gleichgewichts des Be
seins, ohne das Wissen aus dem morali
Befehl der Erfahrung in die Leere eines l
rungsstrebens ohne innere Notwendigkei
schließlich in die Selbstvernichtung entl
würde.
So sind Denkmalschutz und Denkmalpfleg
soziales Regulativ hohen Grades und c
auch eine geistige Einheit; sie anders
hieße, „Eine Zukunft für unsere Vergangei
als ein „Keine Vergangenheit für unseri
kunfl" mißverstehen.
C] Unser Autor:
Dr. Erwin Thalhammer
Präsident des Bundesdenkmalamtes
Hofburg, Schweizerhof
1010 Wien