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entstand die Stadt, die damals begreiflicherweise noch klein war und einfach „Värad"
genannt wurde, später aber zur Unterscheidung den Vornamen „Bihar und in der Folge
„Nagy" (Groß) erhielt. Ihre Größe erwuchs aus der Asche des heiligen Königs.
Sobald König Ladislaus der Heilige in Värad bestattet worden, wurde dieses em
ansehnlicher Wallfahrtsort, die heilige Stadt des mittelalterlichen Ungarn. Das Grab
des heiligen Königs machte es dazu und die Pietät der Nation für dieses Grab.
St. Ladislaus war einer der volksthümlichsten Könige der Ungarn, das Ideal der
Religiosität und der nationalen Tugenden. Was die Nation Gutes, Schönes und Edles
in sich fühlte, alles das sah sie in ihm verherrlicht. Sie umgab seine Gestalt nnt eurem
ganzen Kreis der schönsten Legenden und man suchte ihn selbst in seinem Grabe auf mit
der doppelten Schwärmerei der Gläubigen und der Patrioten.
An Hauptfeiertagen, besonders am St. Ladislaus-Tage, der ein Festtag für das
ganze Land war, strömten dahin zn Tausenden die Wallfahrer selbst aus den fernsten
Gegenden des Landes, ja vom Anslande her; sogar gekrönte Häupter kamen, der Polen-
tonig Wladislaw z. B., der von Debreczin bis Värad zu Fuße bis zum Grab des gekrönten
Heiligen pilgerte. Den Schlußact bei der Krönung der ungarischen Könige aus dem Hause
Arpad und den gemischten Häusern war stets, daß sie mit ihrem ganzen Gefolge dieses
Grab besuchten, und auch wenn das ganze Land von Freude oder Leid getroffen war,
gingen sie dahin, um dort den Kummer oder die Freude ihres Herzens auszuschütten.
Selbst der Tod erschien ihnen süßer, wenn sie ihr Grab, wie die Chroniken sagen, zu
Füßen des heiligen Königs finden konnten. Könige und Standesherren wählten sich dort
ihre Begrübnißstätten und die Kathedrale von Varad füllte sich dermaßen mit fnrstlrchen
Särgen, daß das alte Lied mit Recht von St. Ladislaus sagen konnte:
„Um dich in der Runde da ruhen Kaiser,
Bischöfe und Könige und Herren von Hörigen."
Alle diese religiösen und nationalen Freuden- oder Trarrcrfeste stärkten einerseits
die neuen christlichen Glaubensgrundsätze, Gebräuche und Sitten, förderten aber ander
seits auch mächtig die Bildung und den Wohlstand der Stadt. Die fürstlrchen Besuche
und die Wallfahrten des Volkes von fernher lockten Kanfleute und Gewerbetreibende
herbei und schon in: XIII. Jahrhundert sehen wir Värad als einen der besuchtesten Markte.
Auch kamen die Besucher des heiligen Königsgrabes nicht mit leeren Händen. Selbst der
Ärmste brachte wenigstens eine Wachskerze, die Reichen aber goldene und silberne Gefäße,
mit Perlen und Edelgestein reich besetzte Kirchengewänder, orientalische Teppiche, Seiden-
und Sammtgewebe und so fort. Die ungarischen Könige und Magnaten aber, so die
Mitglieder der Geschlechter Aba und Borsa, legten auf St. Ladislaus' Altar Doiiations-
briefe über ganze Domänen nieder. Dergestalt gelangte der Bischofsstuhl und das Kapitel
Ungarn II.