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die in der geringsten Concession die Bestrebung erblickten, sie dem mohammedanischen
Glauben abtrünnig zu machen.
Gerade so oder noch schlimmer war die Lage der Orthodoxen, denn diese
hatten nicht einmal nationale Bischöfe, sondern solche, die von dem Patriarchen in
Constantinopel entsendet waren und sich blos ans Kosten ihrer Gläubigen zu bereichern
trachteten. Ihre Geistlichen waren unwissend und im Gegensätze zu den Franciscanern,
welche selbst zur Zeit der größten Bedrückung sich in Ansehen zu behaupten ver
standen, von den türkischen Behörden verachtet. Trotz der montenegrinisch-serbischen
Propaganda, trotz der kroatisch-illyrischen Bewegung und des mittelbaren russischen
Einflusses erstrebte der Christ in Bosnien nichts anderes, als die momentane Besserung
seiner elenden Existenz. In allen Bittschriften, die sie an den Wiener Hof gelangen
ließen, finden wir nur die Klagen über die ungerechte Steuer, über die Verfolgung,
über die Unmöglichkeit, Gott in ihrer Weise anzubeten, und hätte die Türkei die
Fähigkeit besessen, dies einzusehen, so wäre es damals noch keinem von ihnen eingefallen,
eine Veränderung des Agrarverhältnisses oder gar der Staatsgewalt zu verlangen,
wie es später nach den unglücklichen Experimenten der türkischen Centralgewalt geschah.
Es wäre aber ein großer Jrrthum, wenn wir die Lage der mohammedanischen
Bevölkerung als viel günstiger hinstellen würden. Der kleine mohammedanische Bauer hatte
fast ebenso viel zu leiden als der Christ. Zwar lag diese Bevölkerung un Banne eines
dumpfen Fanatismus; allein schon dämmerte in den Köpfen die Erkenntlich, daß bei
der endgiltigen Lösung dieser unhaltbaren Zustände ihre Errettung nicht von ihren
Feinden, den Serben und Montenegrinern, nicht von den Russen, die ja doch diese unter
stützten, zu erhoffen sei; vielmehr wurden Stimmen unter ihnen laut, welche es aussprachen,
daß, wenn schon der Sultan sie aufgebe, sie nur unter dem Schutze Österreichs verbleiben
könnten. In der That zeigte sich in allen Balkanprovinzen, wo die türkische Herrschaft
aufgehört hatte, als erste sichtbare Folge davon die Auswanderung des mohamme
danischen Elementes.
Als Omer im Jahre 1853 zur Bewältigung des montenegrinischen Aufstandes
abbernfen wurde, übernahm Khurschid Pascha die Pacificirung des Landes. Indem früher
(1858) einige tausend Christen nach Österreich geflohen waren, ändert er das Lov der
christlichen Kmeten insofern, als die Frohnarbeiten auf den grundherrlichen Eigenbesitzen,
den sogenannten Begluks, aufzuhören hatten. Jetzt folgte eine Epoche, in der zwar die
älteren Institutionen, die alttürkischen Überreste, die Lehen der Begs zertrümmert wurden,
aber die modernen neutürkischen Verwaltnngsreformen nicht Wurzel fassen konnten. Die
Parole war nunmehr: keine einheimischen Beamten! Aber die neuen Osmanlis, die Effendis
von Constantinopel, waren noch verhaßter und corrumpirter als die alten; es war ihnen gar