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deren Weltsystemen. Diese Welten galten als mit Lebewesen er
füllt, von vielen Gottheiten regiert. Und alle hält der ewige Pro-
zef} von Schöptung und Vernichtung, von Geburt und Tod, von
der Wiedergeburt in immer neuen Gestalten zusammen, von dem
unerbittlichen Gesetz von Schuld und Sühne gelenkt oder richtiger
dem Weiterwirken der im Leben unbefriedigten Triebe, Karma.
Götter, Menschen, Tiere, Dämonen, Teufel unfersfehen so dem
selben Gesefz, ja sind in gewissem Grade Lebewesen derselben
Wesensart, nur von unendlich verschiedener Macht, Lebensfrist
und Schicksal. Aber während Jainas und Buddhisten keine Gott
heit anerkennen, nur dem Menschen wesensgleiche Götter und
an höchster Stelle die Heiligen und Weltlehrer, jenseits derer nur
das unerkennbare Transzendente (Nirvana, Sunyata) steht, glau
ben die Hindus an eine einzige Gottheit, freilich in vielen Formen,
himmlischen und irdischen, manifestiert und von niederen Göttern
bedient. Ihre Grundmanifestationen sind dieselben wie die der
christlichen Dreifaltigkeit, die absolute, die schöpferische und die
in der Welf sföndig wirkende (die lefztere weiblich als Sakti auf-
gefafjl), dann die vielen himmlischen Offenbarungsformen, je nach
der Seelenverfassung des Gläubigen männlich oder weiblich,
majestätisch oder zärtlich, gnädig oder furchtbar, leidenschaftslos
oder leidenschaftlich, fruchtbar oder vernichtend, schliefjlich ihre
Inkarnationen als Erlöser auf Erden. In dieses psychologisch reife
theologische System sind zahllose alte Volksgottheilen sowohl der
Aryas wie der älteren Rassen, ja sogar des Auslandes, einverleibt
worden. Auch der späte Buddhismus hat sich Ihm angepa^t, in
dem er den Buddha, schliefjlich ins Transzendente eingegangen,
mit diesem identifizierte und so vergöttlichte, aus dem Urbuddha
(Adibuddha, Vajrasativa) die grofjen mystischen Buddhas (Dhyani-
Buddhas) hervorgehen lielj und aus diesen wiederum die mensch
lichen Buddhas verschiedener Zeiten und Welten. Und damit
kamen auch Göttinnen auf (Prajna, statt Sakti), von denen Tara
die buddhistische Madonna wurde. Schliefjlich stand am Ursprung
jeden Dinges eine mystische Silbe (bija), aus der sich eine Gott
heit, und aus dieser wieder ein Teil der Welf entwickelt. Die Hin
dus aber wurden sich nie einig. Der Sivaismus erhob den altein
heimischen Fruchtbarkeitsgott Siva und seine Sakti zur höchsten
Gottheit, der Vishnuismus den arischen Himmelskönig Vishnu, in
karniert vor allem in den Helden Krishna und Rama, die Sauras
den Sonnengott Surya, die Saklas die grofje Muttergötlin. Jede
Richtung erkannte die Gottheiten der anderen an, wenn auch in
Untergeordneterstellung. Brahma und Surya aber, noch im 8. Jahr
hundert mächtig, wurden bald völlig degradiert. Auch die Jainas
und Buddhisten liefjen die Hindugötter gelten, wenn auch nur als
letzthin sterbliche Regenten des Universums.
Gleichermafjen schwankt die Heilslehre. Die Jainas, welche eine
ewige Seele anerkennen, suchen deren Befreiung durch Askese.
Die Buddhisten, welche die Seele als nur ein Bündel von Erinne
rungsbildern und Trieben betrachten, erstreben dessen Erlöschen
und damit die Rückkehr ins Transzendente. Die Saivas, welche
die Welt als eine von Gott geschaffene Illusion interpretieren, er
warten die Erlösung von der Erkenntnis der lefzfhinnigen Identität
der Seele mit Gott. Die Vaishnavas, welche die Welt als eine von
Gott verschiedene, aber in ihm ruhende Schöpfung auslegen,
suchen die Seligkeit in der Liebe zu der gnädigen, liebenden
Gottheit. Gott straft daher auch nicht; es ist der Sünder selber,
welcher in seinem weltanschaulichen Egozentrismus gegen die
Weltordnung verstöfjt und so selber Qualen und Leiden auf sich
zieht, um schliefjlich, zerschlagen, die Herrlichkeit Gottes zu er
kennen und Erlösung zu finden. Gottesliebe ist eines der Leit
motive indischer Religiosität, als Vorstufe für die Saivas, als letzfe
Seligkeif für die Vaishnavas. Alle Richtungen aber erkennen Yoga
als eine notwendige oder wünschenswerte seelische Disziplin
an, am meisten die Saivas, am wenigsten die späteren Vaish
navas.
Die Kunst:
Wie überall in der Welt, hat auch die indische Kunst allen er
denklichen Aufgaben dienen müssen, für Baufen und Gebrauchs
objekte des Alltags so gut wie für den Pomp der Fürsfen und
des Adels und für die Symbolik des religiösen Rituals. So liegt
die Zweckform auch den Rifualbauten und -objekfen zugrunde,
so durchdringt die religiöse Symbolik, abgeschwächt und off
weltlich umgedeutet, auch die Kunst des täglichen Lebens. Stadt
planung, Befestigungstechnik, Haus- und Palastbau, Wasser- und
Bergbauten jeder Art waren hoch entwickelt, sind uns aber nur
aus den letzten fünfhundert bis tausend Jahren gut erhalten. So
gar die Paläste, welche noch stehen, sind heute oft düstergraue
Rohsfeinmassen, während die Zeitgenossen ihre reichen farbigen
Stukkaturen, ihre Golddecken und -döcher, ihre Wandmalereien,
die sie umgebenden Seen und Gärten bewundert haften. Und die
Festungen sind so oft geschleift und wieder aufgebaut worden,
dafj es meist schwer ist, sich ein Bild von ihrem ursprünglichen
Charakter zu machen. Auch zahllose Tempel und Klöster sind ver
schwunden. Aber einzelne, geschützt gelegen oder sehr massiv