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ERSTER TEIL
1 Evolution des neuen Lebensstils
Das Wien der zwanziger Jahre. Die Bedeutung
des zwanzigsten Jahrhunderts wird uns ver
ständlich, wenn wir uns des Vigors des Zeit
impulses und der dadurch angespornten Kräfte
bewußt werden.
Eine neue Welt war im Entstehen.
Der am Anfang des Jahrhunderts in Österreich
gegebene Anstoß zur Entwicklung eines neuen,
zeitgemäßen Stiles, führte zu einer - dem ,,Stijl“
in Holiand und später dem „Bauhaus" in
Deutschland — ähnlichen Bewegung.
Die vorangegangenen hundert Jahre waren cha
rakterisiert durch das vollkommene Fehlen eines
eigenen Stiis; das Ergebnis waren Imitationen
aller Stilperioden, Erzeugnisse, die den Lebens
raum überfüllten.
Die Künstlerschaft war es vor allem, die den
Einfluß der sich entwickelnden Industrie am Be
ginn des 20. Jahrhunderts wahrnahm, als ob
eine geheimnisvolle Intuition eine neue Erkennt
nis erwecken helfe. Diese Erkenntnisse fanden
ihren Ausdruck in den ersten Bauten zeitge
mäßer Architektur, von denen die nachstehend
angeführten international bekannt sind.
Otto Wagner: Postsparkassenbau, Wien, 1898,
Joseph Maria Olbrich: Bau der Secession, Wien,
1898, ein Ausstellungsgebäude mit einer Lor
beerbaum-Kuppel aus Bronze,
Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Brüssel, 1905,
Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Wien, 1910,
mit seiner ornamentlosen Fassade.
Im Jahre 1903 gründeten der Architekt Josef
Hoffmann und der Industrielle Fritz Wärndorfer
die ,,Wiener Werkstätte“, deren Aufgabe die
künstlerische Gestaltung des Kunstgewerbes
war. Die beteiligten Künstler entwarfen und ge
stalteten Möbel, Textilien, Lederwaren, Schmuck,
Glaswaren usw. In diese Zeit fallen auch die
Gründungen des Österreichischen und Deut
schen Werkbundes sowie ähnlicher Organisatio
nen gleichgesinnter Künstler.
Die Schaufenster der,,Wiener Werkstätte" waren
die Sensation der Kärntnerstraße, Wiens elegan
ter Kaufstraße. Joseph Binder betonte: „Durch
Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte wurde
das moderne Kunstgewerbe zur Entfaltung
gebracht.“ Die Veränderung des Lebensstils
war unverkennbar. Alles war neu: die Schale
in der Hand, der Sessel, auf dem man saß. Die
Anteilnahme des Publikums wuchs mit der ste
tigen Beeinflussung des modernen täglichen
Lebens. Die österreichische Regierung sowie
die Kulturabteilung der Stadt Wien finanzierten
Wettbewerbe — unter der Teilnahme österrei
chischer Kunstkreise und der Industrie — für
Ausstellungen im In- und Ausland zur Förde
rung des neuen Stils.
1922 erscheinen zum ersten Male die modernen
Plakate Joseph Binders an den Plakatwänden
von Wien und fordern die Beachtung für das
Konzept der neuen Kunstform heraus. Das
moderne Plakat wird zum Gegenstand von Inter
esse und Gesprächen, und die Plakatwände
werden die ,,Galerie der Straße" genannt.