Masunobu Yoshimura, Herrn Sadadas Malzimmer, 1961
waren in einer Sonderabteilung für neue Werke aus dem
Ausland zwei Bilder von Jackson Pollock im Drip-Pain-
ting-Verfahren ausgestellt, eine der frühesten Gelegen
heiten, seine Werke in Japan zu sehen. Jirö Yoshihara
zeigte sich in Osaka von Pollocks Bildern begeistert - zu
einer Zeit, als Pollocks Werke in Europa und Amerika
noch kaum Anerkennung gefunden hatten.Ende der
fünfziger Jahre zogen sich ältere, bekanntere Künstler
von der jährlichen Ausstellung zurück, statt dessen
dominierten nun jüngere Künstler mit ausgefallenen Wer
ken die Szene. Ab der zehnten Ausstellung 1958 herr
schte ein Gefühl chaotischer Euphorie, und in den frühen
sechziger Jahren wurde die radikalste Abteilung der
Ausstellung zu einem Schaufenster der künstlerischen
Avantgarde in Japan.
Im Frühjahr 1960 gewann eine Bewegung gegen die Ver
längerung des japanisch-amerikanischen Sicherheits
pakts (Anpo) zunehmend an Stoßkraft, und Tag für Tag
scharten sich mehr als hunderttausend Demonstranten
um das Gebäude der Abgeordnetenversammlung in
Tokio. Am Abend des 15. Juni führte ein Zusammenstoß
zwischen Demonstranten und Spezialeinheiten der Poli
zei zum Tod der Demonstrantin Michiko Kamba. Durch
einen Zufall waren Shusaku Arakawa, Usahio Shinohara,
Masunobu Yoshimura und andere Künstler an diesem
Abend am Ort des Geschehens.
Die politischen und sozialen Unruhen dieser Zeit liefern
eine Erklärung dafür, warum diese Künstler ästhetischen
Ausdruck und reales Engagement zu verbinden trach
teten.
Künstler, die bewußt den Kontakt zur Realität suchten,
lehnten den Stil des sozialen Realismus, der damals
maßgebend war, als zu indirekt und nichtssagend ab
und gingen dazu über, reale Gegenstände in ihre Bilder
zu integrieren, Anfangs wurden ihre Werke mit dem Infor
mel verglichen, aber der Kritiker Shuzo Takiguchi urteilte
bald folgendermaßen: »Man kann diese Arbeiten nicht
mit Gewalt mit den Bildern des Informel gleichsetzen,
der aufgestaute Wunsch nach Ausdruck, der sich auf der
Suche nach einer möglichen Richtung befindet, ist in
diesen Werken vielmehr direkt mit der Aktion verwandt,
das Informel liefert nur eine Möglichkeit.«i^ Wie noch zu
15 Jirö Yoshihara, »Chusho kaiga no bi» (Die Schönheit abstrakter
Gemälde), in: Asahi-Zeitung, 17. Apri\ 1951.
sehen sein wird, befreiten sich die Künstler der »Yomiuri
Independanto-Ausstellung schließlich auch vom Rah
men der Malerei, was sie grundlegend von der Gutai-
Gruppe unterscheidet, deren Ausdrucksformen allmäh
lich in der Malerei aufgingen.
Die Künstler der »Yomiuri Independanh-Ausstellungen
integrierten zunächst Alltagsgegenstände (wie Scheuer
bürsten und Gummischläuche) in ihre Bilder, wurden
aber bald radikaler und wandten sich dem Relief und
Objekt zu. Das rückte ihre Vorgangsweise - die Verwen
dung von Alltagsgegenständen und die Zerstörung der
Form - in die Nähe der Werke von Allan Kaprow und
Robert Rauschenberg, die den Unterschied zwischen
Leben und Kunst aufzuheben trachteten. Besonders
bemerkenswert ist die Art und Weise, wie die Gruppe die
Technik der Assemblage einsetzte: In Masunobu Yoshi-
muras Herrn Sadadas Malzimmer (1961) dienten zahlrei
che leere Schnapsflaschen zum Bau seltsam anmuten
der Möbel. 1962 schuf Yutaka Masuzawa ein fetisch
artiges Objekt aus aufgehäuftem Müll. Mit der Zeit
ersetzten Arbeiten, die sich auf den ganzen Raum aus
breiteten, die einzelnen Objekte. In den letzten Jahren
der »Yomiuri Independant«-Ausstellung wurden Werke
wie Natsuyuki Nakanishis Wäscheklammern behaupten
sich im Wirbel (1963), das aus Tausenden über eine
ganze Wand verteilten Wäscheklammern bestand, und
Tetsumi Kudös Verteilungskarte der Impotenz und die
Entstehung einer Schutzhaube im gesättigten Bereich
(1962), ein Raum voller von der Decke herabhängender,
penisartiger Rollen, gezeigt. Diese Tendenz zu immer
größeren und umfangreicheren Werken entspricht ganz
den von Kaprow in seinem Buch Assemblage, Environ
ments and Happenings analysierten Entwicklungen: Die
Hinwendung der Künstler zur Aktionskunst war unver
meidlich.
Auf den »Yomiuri Independant“-Ausstellungen wurden
nun bizarre Spektakel gezeigt, die Aktionen und Obszö
nitäten, Messer, Lärm und frische Lebensmittel ein
schlossen. Der Konflikt mit der Institution und daraus
resultierende Auflagen von seiten des Museums ließen
nicht lange auf sich warten. Die berüchtigten »Richtlinien
für Ausstellungen im Tokyo Metropolitan Art Museum«
16 Shuzo Takiguchi, »Hyogen no kiki: dal 9 kai Yomiuri andepandan
ten« (Die Krise des Ausdrucks: Die 9.Yomiuri Independant-
Ausstellung), 1957, Nachdruck in: Ten (Po/ntsj, Tokio 1963,
S. 299-300.