JACOB FALKE: DAS ALHAMBRA-ORNAMENT
(Gewerbehalle 1865, S. 145-147,161-163)
Das Ornament des Orients, überhaupt die orientalische Kunst mit ihrer decorativen
Richtung, hat erst in den letzten Jahren angefangen, in Europa einige Aufmerksam
keiten auf sich zu ziehen. Merkwürdiger Weise ging der Anstoß dazu nicht von den
angrenzenden Ländern aus, sondern von England, welches dem Orient scheinbar am
fernsten steht. Die Londoner Ausstellung von 1851, welche den zerfahrenen, stil= und
prinziplosen Zustand der modernen europäischen Ornamentik zum Entsetzen aller
fühlenden und denkenden Kunstfreunde bloßlegte, zeigte als Gegensatz dazu in den
mannigfaltigsten Erzeugnissen des Orients, ob sie von Indien, Persien, vom Bosporus
oder der afrikanischen Küste des Mittelmeers stammten, feste Prinzipien, Stil, Einheit
und eine kräftige, doch vollkommen harmonische Farbengebung.
Die Engländer sind kluge Leute und machten sich daran, die empfangene Lehre zu be
nützen und praktisch zu verwerthen, nicht aber um mit Nachbildungen einen Handel
nach dem Orient zu treiben und dort die heimischen Producte vom Markte zu verdrän
gen, sondern um die eigene, die modern=europäische Ornamentationsweise zu rege-
neriren, soweit sich das mit der allerdings beschränkten Kunst des Orients thun ließ.
Verschiedene wissenschaftliche und künstlerischHiterarische Productionen legen
Zeugniß ab von dem Werth, den sie dieser Kunst beimessen, und was die praktische
Anwendung betrifft, so sind es namentlich die gewebten Stoffe, Teppiche, Decken, alle
Arten Kleiderstoffe, welche ihre immer größere Ausdehnung zu erkennen geben.
Bei uns in Deutschland ist man noch nicht so weit, weder im Verständniß noch in der
Anwendung der orientalischen Decoration; doch kann es nicht ausbleiben, daß sie
auch bei uns, sei es vor der Hand auch nur auf dem Wege der Mode, mehr und mehr
Platz greifen und sich einbürgern wird. Es sind nur einzelne Stimmen, die sich dafür
haben hören lassen, und sehr vereinzelt ist auch bis jetzt die Verwendung geblieben.
Die „Gewerbehalle“ dürfte ihr am meisten das Wort geredet haben; die Redaction hat
es sich von Anfang an angelegen sein lassen, eine große Reihe der trefflichsten orien
talischen Muster nach und nach vorzuführen, und wir selbst waren bemüht, in dem
Einleitungsartikel dieses Jahrgangs nach verschiedenen Richtungen hin die prakti
sche Verwerthung der orientalischen Kunst nachzuweisen. Wenn wir heute das Thema
wieder aufnehmen, und zwar ausdrücklich und für sich selbst, so geschieht es, um
diesmal das Wesen dieses Ornaments zu erläutern. Heutzutage, wo wir in die Vergan
genheit zurückgreifen, um uns einen dem Ursprünge nach fremden Stil anzueignen,
muß das Verständnis die Anwendung mindestens begleiten, wenn nicht ihr vorauf
gehen, was leider nicht immer der Fall ist. Wir schicken aber die Bemerkung voraus,
daß wir, was wir hier unter orientalischer Kunst verstehen, sich nur auf das Mittelalter
und die Gegenwart bezieht; die orientalische Kunst dieser beiden Epochen ist dem
Stile und den Prinzipien nach nur eine und dieselbe; während die alte Kunst des
Orients von jenen gänzlich verschieden ist und darum ganz aus unserer Betrachtung
hinwegbleibt.
Ueberblicken wir den ganzen Orient, nach der allgemeinen Idee, die wir heute etwa
damit verbinden, so begegnen wir drei Hauptkunstrichtungen, um nicht zu sagen
Stilen, welche große Verschiedenheiten von einander zeigen. Diese Richtungen sind,
von Osten her angefangen, die chinesisch=jaP anes i sc fi e > die indisch=persische und
die maurisch=sarazenische. Zu ihnen könnte man allenfalls noch eine vierte zählen,
die tatarisch=russische. Derjenige Stil, den wir von diesen vieren hier zu besprechen
haben, ist der maurisch=sarazenische. Er hat seine blühendste Gestalt und seine
höchste Vollendung in dem maurischen Spanien erhalten, und die Alhambra, das
Königsschloß der Sultane von Granada, ist nicht bloß sein schönstes und reichstes
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