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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

SCHNITTBLUMEN 
M an kommt glücklicberweife immer mehr davon ab, Blumen 
feft wie einen Knödel zufammenzufdmüren, fondern ftellt 
fie lofe, mit langen Stielen und reichlichem Laub in die 
Vafen. Die Erfahrung lehrt, daß beabfichtigte Arrangements 
nie fo fchön wirken, wie der, ficb beim Schneiden der Blumen 
auf eine natürliche Weife ergebende lofe Strauß. Diefer Umftand 
läßt ficb vielleicht dadurch erklären, daß die Blumen verfcbieden 
lang gefcbnitten und die Stengel beim Tragen an den Enden 
gefaßt werden, fo daß die Zweige fich ganz frei und natürlich 
ausbreiten können. Kleine Blumen, wie Maiglöckchen oder Veib 
eben, werden in Körben gefammelt und dann zu Sträußen 
geordnet, wobei die ungleich langen Stiele die häßliche Steif 
heit verhindern. Man braucht nur einen Strauß langgeftieiter 
Veilchen von ungleicher Länge, die an den Enden zufammen-- 
gefaßt find, und einigen Blättern dazwifchen mit den üblichen, 
in Blumengefcbäften erhältlichen Sträußen zu vergleichen, bei 
denen die Blumen in gleicher Höbe feft zufammengebunden 
und von einem fteifen Blätterkragen umgeben find, um den 
Vorzug des lofen Bindens einzufeben. Man faßt Blumen und 
Blätter ganz lofe in die Hand und legt fie vorfichtig, ohne 
fie zu binden, in eine jener tiefen, fchweren, alten, gefchliffenen 
Glasfcbalen, die einft auf den polierten Mabagonitifcben unterer 
Großväter ftanden. Man ftellt vorerft in die Schale eine kleinere 
und höhere, damit die Blumen in der Mitte höher find. □ 
Bei Verwendung von Schalen oder anderen flachen Gefäßen 
follten die Blumen immer durch irgend etwas geftü^t werden, 
fo durch kleinere Schalen oder Krüge, die in die Gefäße hinein- 
geftellt werden. Es ift gut, ein Stück Blattblei auf den Boden 
des Gefäßes zu legen, um es fchwerer zu machen, das Umkippen 
von größeren Zweigen zu verhindern und die Enden der 
Stengel feftzubalten. Man kann in die Gefäße auch gewöhnliche 
ineinandergeftellte Blumentöpfe bineingeben und die kleineren 
inneren Töpfe durch reine Scherben beben; das befte für diefen 
Zweck ift aber eine Stü^e aus galvanifiertem Draht, die aus 
zwei Stockwerken beftebt, wobei das untere einen halben Zoll 
über den Boden des Gefäßes und das obere einen halben Zoll 
unter dem oberen Rand angebracht ift und das Zentrum wie 
bei einer umgekehrten Schüffel in die Höbe fleht. Jeder Speng 
ler kann diefe Stü^e und das Blattblei liefern. Der Draht kann 
auch kugelförmig gedreht werden und die untere Hälfte des 
Gefäßes füllen. Denfelben Dienft leiften auch Hollunder- oder 
Buchsbaumzweige und überhaupt jeder bartftämmige, veräftelte 
Strauch, wie Weißdorn oder Schieben. Wenn nichts anderes bei 
der Hand ift, kann fogar ein Birkenbefen zu diefem Zwecke 
verwendet werden. a 
Es ift felbftverftändlich, daß diefe Stützen nur bei undurch- 
fiebtigen Gefäßen möglich find - und nur böchftens die grünen 
Zweige kommen bei Gläfern als Stütze in Betracht. Glasgetäße 
find zwar febr reizvoll und tauber, da man die Genugtuung 
bat, die Stengel zu feben, und die Klarheit des Waffers kontrol 
lieren kann, trotzdem werden aber Blumenbebälter aus anderem 
Material faft in jedem Haufe bevorzugt. Man bat chinefifche, 
japanifche und englifcbe Porzellangefäße, italienifcbe Majolikas, 
glafierte Keramiken aus ganz Europa und zum Teil aus Hfien 
und Afrika, und große bolländifcbe und Venetianer Kübel, Krüge 
und Weinkübler aus gehämmertem Kupfer. Die letzteren werden 
meiftens für Topfpflanzen verwendet; wenn die Blumenpracht aber 
in voller Entfaltung ift, wenn die Tulpen, die Rhododendrons und 
Pfingftrofen blühen, find die umfangreiebften Gefäße nicht zu groß. 
Bei dem Verteilen der Blumen in die Vafen muß man ftets 
auf die Übereinftimmung der Pflanzen und des Gefäßes bedacht 
fein, fo fieht zum Beifpiel weißer Flieder in einem altitalienifcben 
Krug aus bläulichweißem Ton fehr gut aus, da der bläuliche 
Glanz des Gefäßes und das Weiß deslFlieders eine zarte Farben- 
barmonie ergeben. , - 1 
Der weitgeftreckte Aft wilder Rofen (Rubus rofoefolius) ver 
langt nach einem Gefäß, das das Auge in bezug auf das Gleich 
gewicht befriedigt; ein runder, fcbwarzglafierter Topf, der grau 
grün und braunrot fcbillert, erfüllt nicht nur diefe Bedingung, 
fondern wirkt auch in den Farben als eine Ergänzung für die 
zarten, milchweißen Blüten und blaffen Blätter. □ 
Diefes Experimentieren mag vielen als ganz überflüffig er- 
febeinen, da das Ordnen der Blumen in Vafen von den meiften 
als etwas ganz einfaches betrachtet wird; das Richtige dabei 
kann aber nur von denjenigen ohne weiteres getroffen werden, 
die in den febönen Künften bewandert find und ein gewiffes 
Urteil in diefen Dingen haben. Diefe Verfucbe find aber auch 
an und für fich eine Übung von Wert, da ihr Gebiet eng an 
das viel größere der Kunft grenzt. Es ift dabei eine febarfe 
Beobachtungsgabe und das Kultivieren des Vermögens, Ver 
gleiche zu ziehen, erforderlich, wodurch auch die Urteilskraft 
entwickelt und durch öfteres Üben gereift wird. Das trainierte 
Auge beißt das Gruppieren gewiffer Formen gut; in den frü 
heren Entwicklungsftadien gefielen einige zufällige Arrangements 
und wurden beibebalten; fie wurden für gut befunden, obwohl 
ihr Schöpfer wohl kaum felbft fagen konnte weshalb; fpäterbin 
werden die Gruppierungen jedoch überlegt und beabfichtigt und 
die Ergebniffe vorausgefeben. n 
Die verfeinerte Kunft des Blumenbindens der Japaner bafiert 
vor allem auf dem Verftändnis für Linienfchönbeit, als dem 
Hauptgefetp Es ift oft nur eine einzige berrfebende Linie oder 
die Kombination einiger, aber alles ift immer auf die Linie ge- 
ftimmt. Es ift je^t Sitte, diefes Syftem naebzuabmen und Blumen 
und Zweige in flache Gefäße zu flecken, nur weil es eben modern 
ift. So reizvoll und wünfebenswert derlei Verfuche find, wenn 
fie durch gefchickte Hände ausgefübrt werden, flehen fie dennoch 
hinter der einfachen, natürlichen Art, unfere heimatlichen Blumen 
zu binden, weit zurück. Man braucht hierfür auch febr viel Muße 
und Ruhe und vor allem Gefchicklichkeit und ein febr geübtes 
Auge, denn die Aufgabe erinnert an die Kompofition eines 
Bildes; uns ift überdies eine Reihe von japanifeben Motiven fremd, 
und zwar diejenigen, die ficb auf nationale Traditionen beziehen 
und eine fymbolifebe Bedeutung haben. Denn wir vermögen es 
glücklicberweife, einen Strauß von Heckenrofen im Walde zu 
pflücken und ins Waffer zu ftellen, ohne daran denken zu müffen, 
ob wir es in der Weife getan haben, um die Suggeftion eines 
beimkebrenden Schiffes zu erwecken oder eine Verlobung an 
zudeuten. Das foll keine Verhöhnung fein, denn man darf nie 
vergeffen, wieviel wir in bezug auf die Schönheit der Linie von 
den Japanern lernen können; es ift aber doch erfreulich, daß 
wir uns durch keine anderen Beftrebungen leiten zu laffen 
brauchen, als durch diejenigen, unfere Blumen fo zu wählen und 
anzubringen, damit fie an und für fich fchön wirken und zu 
unteren Räumen paffen. □ 
Der Raum felbft muß dabei febr berückfichtigt werden. Es 
ift zu beachten, daß, obwohl für die meiften Dekorationsformen 
im Haufe und außerhalb desfelben meiftens Farbenbarmonien 
und nicht Farbenkontrafte zu bevorzugen find, bei Blumenfcbmuck 
beide Methoden angebracht erfebeinen. □ 
Man könnte vielleicht als allgemeine Regel aufftellen, daß 
warme Farbentöne (rot und gelb) in Harmonien, die kalten 
(alle Arten von Blau) jedoch in Kontraften gebraucht werden 
follten. Es ift febwer, Farben zu befebreiben, da jede davon un 
endliche Abftufungen umfaßt, fo kann eine große Reibe von 
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