SCHNITTBLUMEN
M an kommt glücklicberweife immer mehr davon ab, Blumen
feft wie einen Knödel zufammenzufdmüren, fondern ftellt
fie lofe, mit langen Stielen und reichlichem Laub in die
Vafen. Die Erfahrung lehrt, daß beabfichtigte Arrangements
nie fo fchön wirken, wie der, ficb beim Schneiden der Blumen
auf eine natürliche Weife ergebende lofe Strauß. Diefer Umftand
läßt ficb vielleicht dadurch erklären, daß die Blumen verfcbieden
lang gefcbnitten und die Stengel beim Tragen an den Enden
gefaßt werden, fo daß die Zweige fich ganz frei und natürlich
ausbreiten können. Kleine Blumen, wie Maiglöckchen oder Veib
eben, werden in Körben gefammelt und dann zu Sträußen
geordnet, wobei die ungleich langen Stiele die häßliche Steif
heit verhindern. Man braucht nur einen Strauß langgeftieiter
Veilchen von ungleicher Länge, die an den Enden zufammen--
gefaßt find, und einigen Blättern dazwifchen mit den üblichen,
in Blumengefcbäften erhältlichen Sträußen zu vergleichen, bei
denen die Blumen in gleicher Höbe feft zufammengebunden
und von einem fteifen Blätterkragen umgeben find, um den
Vorzug des lofen Bindens einzufeben. Man faßt Blumen und
Blätter ganz lofe in die Hand und legt fie vorfichtig, ohne
fie zu binden, in eine jener tiefen, fchweren, alten, gefchliffenen
Glasfcbalen, die einft auf den polierten Mabagonitifcben unterer
Großväter ftanden. Man ftellt vorerft in die Schale eine kleinere
und höhere, damit die Blumen in der Mitte höher find. □
Bei Verwendung von Schalen oder anderen flachen Gefäßen
follten die Blumen immer durch irgend etwas geftü^t werden,
fo durch kleinere Schalen oder Krüge, die in die Gefäße hinein-
geftellt werden. Es ift gut, ein Stück Blattblei auf den Boden
des Gefäßes zu legen, um es fchwerer zu machen, das Umkippen
von größeren Zweigen zu verhindern und die Enden der
Stengel feftzubalten. Man kann in die Gefäße auch gewöhnliche
ineinandergeftellte Blumentöpfe bineingeben und die kleineren
inneren Töpfe durch reine Scherben beben; das befte für diefen
Zweck ift aber eine Stü^e aus galvanifiertem Draht, die aus
zwei Stockwerken beftebt, wobei das untere einen halben Zoll
über den Boden des Gefäßes und das obere einen halben Zoll
unter dem oberen Rand angebracht ift und das Zentrum wie
bei einer umgekehrten Schüffel in die Höbe fleht. Jeder Speng
ler kann diefe Stü^e und das Blattblei liefern. Der Draht kann
auch kugelförmig gedreht werden und die untere Hälfte des
Gefäßes füllen. Denfelben Dienft leiften auch Hollunder- oder
Buchsbaumzweige und überhaupt jeder bartftämmige, veräftelte
Strauch, wie Weißdorn oder Schieben. Wenn nichts anderes bei
der Hand ift, kann fogar ein Birkenbefen zu diefem Zwecke
verwendet werden. a
Es ift felbftverftändlich, daß diefe Stützen nur bei undurch-
fiebtigen Gefäßen möglich find - und nur böchftens die grünen
Zweige kommen bei Gläfern als Stütze in Betracht. Glasgetäße
find zwar febr reizvoll und tauber, da man die Genugtuung
bat, die Stengel zu feben, und die Klarheit des Waffers kontrol
lieren kann, trotzdem werden aber Blumenbebälter aus anderem
Material faft in jedem Haufe bevorzugt. Man bat chinefifche,
japanifche und englifcbe Porzellangefäße, italienifcbe Majolikas,
glafierte Keramiken aus ganz Europa und zum Teil aus Hfien
und Afrika, und große bolländifcbe und Venetianer Kübel, Krüge
und Weinkübler aus gehämmertem Kupfer. Die letzteren werden
meiftens für Topfpflanzen verwendet; wenn die Blumenpracht aber
in voller Entfaltung ift, wenn die Tulpen, die Rhododendrons und
Pfingftrofen blühen, find die umfangreiebften Gefäße nicht zu groß.
Bei dem Verteilen der Blumen in die Vafen muß man ftets
auf die Übereinftimmung der Pflanzen und des Gefäßes bedacht
fein, fo fieht zum Beifpiel weißer Flieder in einem altitalienifcben
Krug aus bläulichweißem Ton fehr gut aus, da der bläuliche
Glanz des Gefäßes und das Weiß deslFlieders eine zarte Farben-
barmonie ergeben. , - 1
Der weitgeftreckte Aft wilder Rofen (Rubus rofoefolius) ver
langt nach einem Gefäß, das das Auge in bezug auf das Gleich
gewicht befriedigt; ein runder, fcbwarzglafierter Topf, der grau
grün und braunrot fcbillert, erfüllt nicht nur diefe Bedingung,
fondern wirkt auch in den Farben als eine Ergänzung für die
zarten, milchweißen Blüten und blaffen Blätter. □
Diefes Experimentieren mag vielen als ganz überflüffig er-
febeinen, da das Ordnen der Blumen in Vafen von den meiften
als etwas ganz einfaches betrachtet wird; das Richtige dabei
kann aber nur von denjenigen ohne weiteres getroffen werden,
die in den febönen Künften bewandert find und ein gewiffes
Urteil in diefen Dingen haben. Diefe Verfucbe find aber auch
an und für fich eine Übung von Wert, da ihr Gebiet eng an
das viel größere der Kunft grenzt. Es ift dabei eine febarfe
Beobachtungsgabe und das Kultivieren des Vermögens, Ver
gleiche zu ziehen, erforderlich, wodurch auch die Urteilskraft
entwickelt und durch öfteres Üben gereift wird. Das trainierte
Auge beißt das Gruppieren gewiffer Formen gut; in den frü
heren Entwicklungsftadien gefielen einige zufällige Arrangements
und wurden beibebalten; fie wurden für gut befunden, obwohl
ihr Schöpfer wohl kaum felbft fagen konnte weshalb; fpäterbin
werden die Gruppierungen jedoch überlegt und beabfichtigt und
die Ergebniffe vorausgefeben. n
Die verfeinerte Kunft des Blumenbindens der Japaner bafiert
vor allem auf dem Verftändnis für Linienfchönbeit, als dem
Hauptgefetp Es ift oft nur eine einzige berrfebende Linie oder
die Kombination einiger, aber alles ift immer auf die Linie ge-
ftimmt. Es ift je^t Sitte, diefes Syftem naebzuabmen und Blumen
und Zweige in flache Gefäße zu flecken, nur weil es eben modern
ift. So reizvoll und wünfebenswert derlei Verfuche find, wenn
fie durch gefchickte Hände ausgefübrt werden, flehen fie dennoch
hinter der einfachen, natürlichen Art, unfere heimatlichen Blumen
zu binden, weit zurück. Man braucht hierfür auch febr viel Muße
und Ruhe und vor allem Gefchicklichkeit und ein febr geübtes
Auge, denn die Aufgabe erinnert an die Kompofition eines
Bildes; uns ift überdies eine Reihe von japanifeben Motiven fremd,
und zwar diejenigen, die ficb auf nationale Traditionen beziehen
und eine fymbolifebe Bedeutung haben. Denn wir vermögen es
glücklicberweife, einen Strauß von Heckenrofen im Walde zu
pflücken und ins Waffer zu ftellen, ohne daran denken zu müffen,
ob wir es in der Weife getan haben, um die Suggeftion eines
beimkebrenden Schiffes zu erwecken oder eine Verlobung an
zudeuten. Das foll keine Verhöhnung fein, denn man darf nie
vergeffen, wieviel wir in bezug auf die Schönheit der Linie von
den Japanern lernen können; es ift aber doch erfreulich, daß
wir uns durch keine anderen Beftrebungen leiten zu laffen
brauchen, als durch diejenigen, unfere Blumen fo zu wählen und
anzubringen, damit fie an und für fich fchön wirken und zu
unteren Räumen paffen. □
Der Raum felbft muß dabei febr berückfichtigt werden. Es
ift zu beachten, daß, obwohl für die meiften Dekorationsformen
im Haufe und außerhalb desfelben meiftens Farbenbarmonien
und nicht Farbenkontrafte zu bevorzugen find, bei Blumenfcbmuck
beide Methoden angebracht erfebeinen. □
Man könnte vielleicht als allgemeine Regel aufftellen, daß
warme Farbentöne (rot und gelb) in Harmonien, die kalten
(alle Arten von Blau) jedoch in Kontraften gebraucht werden
follten. Es ift febwer, Farben zu befebreiben, da jede davon un
endliche Abftufungen umfaßt, fo kann eine große Reibe von
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