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Volltext: Kunst und Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873

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V. DIE SCHWEIZ, BELGIEN, HOLLAND, SKANDINAVIEN ETC. 383 
Die moderne belgifche Malerei gehört zu den intereffanteflen Erfchei- 
nungen des neuerten Kunftlebens. Dies kleine Volk brachte es, der grofsen 
künftlerifchen Vergangenheit eingedenk und gefördert durch eine verrtändige 
Kunftpflege von Seiten des Staates, zu einer höchrt anfehnlichen technifchen 
Ausbildung, die nicht blos hervorragenden Meiftern, fondern allen Lernenden 
und Strebenden zu Gute kam. Es machte feine Kunrtproducte zu einem be 
deutenden Exportartikel, der zum nationalen Wohlftande beitrug. Aber die 
Glanzepoche der belgifchen Malerei dauerte nicht lange und irt jetzt vorüber. 
Von gefunder Fortentwickelung und urfprünglicher Lebenskraft irt heut in diefer 
Schule wenig zu fpüren, fie befteht eben nur als ein höherer Indurtriezweig weiter. 
Die gepriefenen Ilirtorienmaler der früheren Jahrzehnte, Gallait, ’de Biefve, 
N. ’de Kayfer, erfchienen auf der Wiener Ausheilung ziemlich fchwach, nur 
der Errte unter ihnen zeigte fich noch in zwei Bildniffen auf der alten. Höhe, in 
demjenigen des Minirters Dumortier und dem noch fchöneren des Herrn Saint- 
Paul de Singay. Die weltmännifche Erfcheinung mit röthlich-blondem Bart und 
vortrefflich durchgebildeten Händen irt ebenfo elegant wie correct aufgefafst 
und hebt fich pikant von dem lichtgrauen Hintergründe ab. 
Die Nüchternheit, welche dem belgifchen Realismus bei all feinem Glanze 
von Anfang an eigen war, trieb Künftler anderer Gefinnung zu einer fo ent- 
fchiedenen Oppofition, dafs fie auch ihrerfeits zu weit gingen und in das ent 
gegengefetzte Extrem verfielen. Dafs fich die belgifche Regierung veranlafst ge 
fühlt hatte, zur Ausheilung auch eines der coloffalen Gemälde von Antoine 
Wiertz zu fenden, für das die Wiener Bezeichnung »Der grofse Krach« der 
Kürze wegen beibehalten werden möge, trug nicht wefentlich dazu bei, den 
ohnehin unruhigen grofsen Mittelfaal der Kunrthalle harmonifcher zu machen und 
konnte auch dem Künftler felbft nicht viele neue Anhänger gewinnen. Zur Er 
gänzung mochte man die Photographien anderer Gemälde in der belgifchen Ab 
theilung des Indurtriepalartes betrachten. Wiertz hatte ganz recht, dafs er nie 
mals ein Bild verkaufen und nie eins ausrtellen wollte. Ohne diefe Vorficht 
wäre er nicht zu feinem Ruhme gelangt, oder er hätte ihn wenigftens nicht lange 
bewahrt. In fein Atelier bei Brüffel, diefen Raum von mehr als Reitbahngröfse 
— feit dem Tode von Wiertz ein öffentliches Mufeum —• mufs man treten, hier 
diefe Schaar von Bildern entfprechend grofsen Formates rings um fich her fehen; 
die ganze Atmofphäre des Raumes, fowie der Katalog des Herrn Watteau mufs 
den Befucher belehren, dafs er in einem Heiligthum rtehe, dafs der Geirt, der 
hier wirkte, ein Meffias gewefen fei. Die räumliche Görfse an fich macht 
immer fchon eine gewiffe Wirkung, diefer Ocean von Farbe und von bewegten 
Geftalten umfängt die Phantafie. Wenn man jenes Gewirr von Fratzen und Ver 
zerrungen vor fich hat, welche »drei Minuten eines abgefchlagenen Kopfes« dar- 
ftellen follen, wenn man das lehrreiche Gemälde: »ein Grofser der Erde« be 
trachtet, das in Wandhöhe einen Fufs nebrt dem Bein bis zum Knie darrtellt, 
und auf welchem man allmählich auch noch den ganzen Polyphem gewahr wird, 
wie er hinter feinem Beine fich in der Verkürzung niederbeugt und einige kleine 
zappelnde Menfchengertalten zum Verfpeifen aufgreift, dann findet man den 
»grofsen Krach« und ähnliche Bilder gar nicht mehr feltfam und phantaftifch,
	        
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