84
Eduard Schelle.
fchen, das Melo-Piano von Caldera & Broffi in Turin in der Nähe der
italienifchen Abtheilung. Auf den erften Blick könnte es fcheinen, als ob beide
Inftrumente eine Erweiterung der Pianofamilie bildeten, weil das Piano ihre
Grundbeftandtbeile ausmacht, allein aus ihren Wirkungen ergibt fich, dafs fie,
anftatt die Natur des Piano zu ergänzen, diefelbe alteriren, da fie mit einem Worte
etwas anftreben, was gegen den Charakter des Piano läuft. So ift das Piano
Quatuor ein Inftrument, welches in Form eines Pianinos die Effecte des Streich;
quartettes hervorzubringen die Aufgabe hat. Es hat ferner die Beftimmung, alle
Nuancirungen der Streichinflrumente, wie das Anfchwellen und Abnehmen, das
Ausftechen und Verbinden der Töne nicht nur treu wiederzugeben, fondern auch
Gefangseffedle zu erzielen. Es will mit einem Worte ein Streichorfter im Kleinen
darftellen, ein entfprechendes Surrogat für ein folches fein. Der Mechanismus,
man mufs es geliehen, ift höchft fmnreich.
Die Conftrudlion des Inftrumente s gleicht äufserlich der eines Pianinos. Der
Bezug iftjedoch nicht dreichörig wie bei diefem, fondern fürjeden Toneine einzige
Stahlfaite angebracht; diefelbe mufs aber, um die erforderliche Tonfülle zu erzeugen,
dreimal fo ftark fein wie eine Clavierfaite. Diefelbe läuft zunächft über einen
gewöhnlichen Steg, wird dann durch eine Schraube auf einen niedrigeren Steg
gedrückt, welcher in Folge des Druckes auf den Refonanzboden diefelbe Wir
kung ausübt, wie der Steg bei einer Violine. Es wird dadurch bei jeder Schwin
gung eine Vibration erzeugt, welche die Tonftärke bedeutend- vermehrt. Die
Schwingungen felbft werden durch ein an der Saite angebrachtes Büfchel von
Pflanzenfafern (imitirtes Rofshaar, „Tampico“ genannt) fortgepflanzt. An einem
mit der Tafte in Verbindung flehenden Keil findet fich ein gebogenes Stück
Fifchbein von beliebiger Stärke. Durch den Druck, der vom Spieler auf die
Tafte ausgeübt wird, prefst das Fifchbein jedes Büfchel gegen einen aus hohlem
Eifen angefertigten, mit Papierbekleidung überzogenen und Colophonium
beftrichenen, wagrecht liegenden Cylinder. Derfelbe wird durch ein Pedalfyftem
nach einer der Saite entgegengefetzten Richtung zu -in Rotation verletzt. Diefer
Cylinder hat die Fundlion des Violinbogens zu verfehen. Die fo entftehende
Fridlion des Cylinders mit dem Büfchel theilt fich durch das Letztere der
Saite mit. In dem Mafse, als die Fridlion durch den ftärkeren Taftendruck
gefteigert wird, gewinnt der Ton an Kraft und Fülle. Die Stärke des Tones
kann übrigens auch durch ein fchnelleres Treten des Pedales vermehrt werden,
weil dadurch der Cylinder fich ebenfalls fchneller bewegt. Auf diefe Weife
wird ein Ton erzeugt, der dem Charakter der Streichinftrumente fehr nahe,
kommt. Auf der jenen erwähnten Keil tragenden Seite befindet fich noch eine
Spiralfeder, welche den Zweck hat, dem Pifchbein die zum Drucke gegen
den Cylinder benöthigte Kraft zu verleihen. Mit der Tafte fleht die Leifte durch
eine Stellfchraube in Verbindung, die Letztere dient dazu, die Bewegung des
Fifchbeins gegen den Cylinder zu regeln und dasfelbe dem Büfchel fo nahe
wie möglich zu bringen. Der Gang der Tafte wird durch einen befonderen
Knopf geregelt. Die Tafte felbft ift ganz die des Pianos.
Ein derartiges Inftrument brachte übrigens Baudet bereits unter dem
Namen Piano-Violon in der Parifer Weltausftellung 1867 und mag jetzt hier
nur einige wefentliche Verbefferungen erhalten haben. Die Idee ift übrigens
nicht neu, fie liegt vielmehr fchon den im XVII. Jahrhundert beliebten Geigen-
Claviercymbalen zu Grunde. Sehr gut, fall bis zur Täufchung nachgeahmt find
die tieferen Streichinftrumente, wie Bratfche, Violoncell, weniger glücklich
ift der Ton der Geigen getroffen, doch find von dem Erbauer einige Verbef
ferungen in Ausficht geftellt, welche das Inftrument nach diefer Seite hin ver-
vollftändigen.
Das Streichquartett wird das Piano-Quatuor nie erfetzen können, denn
deffen Reiz beruht in erfter Linie auf dem Zufammenwirken von vier Individua
litäten; allein immer ift es für den Privatgebrauch eine intereffante Errungen-