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Dr. C. Th. Richter.
„Nicht zufrieden, die Früchte des Fortfehrittes in einem Punkte zu fammeln, hat
Herr Baron Schwarz die Idee gefafst, nach den Urfachen, welche diefen Fort-
fchritten zu Grunde liegen, zu forfchen. Es genügte ihm nicht, zu fagen: Wir find
fortgefchritten, wir haben diefs und jenes Neue erreicht und bezweckt: er erachtet
es vielmehr von gröfserer Wichtigkeit, zu fragen: wie war es möglich, diefs zu
erzielen und hätte unter günfligeren Umftänden nicht noch mehr erzielt werden
können? Bei Erörterung diefer Frage fehen wir deutlich, dafs bis jetzt ein wich
tiger Theil der Arbeit, die geiltige Arbeit, noch nicht unter geregelten
Gefetzen gedeiht. In verfchiedenen Ländern wird den Erfindungen in gröfserem
oder geringerem Mafse Schutz gewährt, aber diefe verfchiedenen Länder find
durchaus nicht einig über die Art und Ausdehnung diefes Schutzes, und ohne eine
folche Verftändigung kann die geiftige Fortfehrittsarbeit unmöglich hinreichend
gedeihen.“
In Folge der Einladungen hatten fich ausgezeichnete und tüchtige Fach
männer, Vertreter der Staatsregierungen, Abgeordnete einzelner Vereine, Theo
retiker und Praktiker auf dem Congreffe eingefunden. Er zählte 159 Mitglieder
und eröffnete am 4. Auguft 1873 feine Berathungen unter dem Präfidium Dr. C.
William Siemen’s und dem Ehrenpräfidium Sr. Excellenz des Herrn Baron Schwarz.
Die Vorarbeiten hatte ein aus fünf Mitgliedern gebildetes engeres Comite gemacht,
beftehend aus W. P. Blake, Specialdelegirter der amerikanifchen Regierung
für das Studium der Inftallationen der Weltausftellung 1873, Hamilton Hill,
Affociate. Commiffioner for Maffachufetts, Carl Piep er, Civilingenieur aus Dres
den, Dr. Ratkow sky, Juriftenpräfecft am Therefianum, und Dr. Franz von
Rofas aus Wien. Die Vorlagen diefes Comitös bildeten nach der Berathung und
Aufftellung einer Gefchäfts- und Debatte-Ordnung für den Congrefs die Grund
lagen der Berathung.
Der erlle und weitaus den gröfsten Theil der Zeit und Thätigkeit in
Anfpruch nehmende zur Berathung gelangende Gegenfland behandelte die
Nothwendigkeit des Schutzes der Erfindungen. Das Referat darüber hatte
Carl Pieper, Ingenieur aus Dresden. Den Geift der Debatte beftimmten
übrigens die charakteriftifchen Worte, welche C. \\ . Siemens, ein Mann, welchei
der Praxis und der Wiffenfchaft gleich angehört und bei dem in jedem Gebiete
der Discuffion reiche Erfahrung und fchöpferifche Gedanken vereint zur Geltung
kamen. „Das Refultat meiner Erfahrungen ift nicht etwa“, fagte er, „dafs
ich ein Enthufiaft geworden wäre für das abfolute abftradle Recht des Erfinders.
Ich glaube, dafs der Erfinder an und für fich, ehe er feine Erfindung ausge
arbeitet hat und ein bedingtes Anrecht gegenüber der Gefellfchaft befitzt, bin
aber anderfeits überzeugt, dafs der technifche Fortfehritt nicht ohne I atente
gedeihen könne, dafs er lehr langfam werden, dafs ein Syftem der Geheim
haltung wiederum gebräuchlich werden würde, welches das rafche Aufblühen
der Induftrie, wie wir es auf der Weltausftellung conftatiren können, nicht
ermöglichen würde.“
Nach dem glänzenden Referate Pieper’s, in welchem fowohl die wiffen-
fchaftlichen Richtungen, als die das Patentrecht negirenden und, weil ihrer
fonftigen Gefinnung nach freihändlerifche Theoretiker fie vertreten, höchft gedan
kenlos als freihändlerifch bezeichneten, fehr fcharf kritifirt und ein reiches ftatifti-
fches Material aufgehäuft wurde, vertraten mit den kräftigften neuen und alten
Gründen die Anhänger des Patentwefens ihren Standpunkt.
Diejenigen Männer, welche nach ihrer wirthfehaftlichen Richtung Frei
händler find und die nun in ungeeigneter Weife ihre Gefammtanfchauung auch auf
das Rechtsleben übertragen und insbefondere das Patentrecht, weil eben die
beftehende Gefetzgebung fchlecht ift, angreifen, zogen fich nach einer kurzen
Erklärung zurück, die viel mit dem Glauben jener Völker gemein hat, die meinen,