418 Gruppe V. Textil- und Bekleidungs-Industrie.
selben eintretende lebhafte Aufschwung von Handel und Industrie
führte zu einem regeren Begehr nach Arbeitskräften und erhöhete ihre
Löhne auf das Ansehnlichste. Vornehmlich trat dies in Deutschland
ein, welches sich durch den grossen Capitalzufluss der Kriegscontribu-
tion in der günstigsten Lage befand, verbreitete sich jedoch auch auf
die weitesten Kreise. Wenn auch die in dem Geldbeträge zu Tage
tretenden Lohnerhöhungen in Folge der Entwerthung des Geldpreises,
der in den letzten Jahren stattgefunden hat, nicht den richtigen Maass
stab für die wirklichen Verbesserungen der Löhne darbieten, so sind
dieselben doch in den meisten Gewerben in ansehnlicher Weise einge
treten. Diese steigende Bewegung ging von den grossen Städten,
besonders von Berlin, aus und nahm in dem Baugewerbe die bedeutend
sten Dimensionen an. Während jedoch die für den localen Bedaif
arbeitenden Gewerbe den somit eintretenden höheren Preis lhier Pro
ducte mit Leichtigkeit den Consumenten aufbürden konnten, befanden
sich die Industriezweige, welche die Concurrenz mit dem Weltmärkte
zu bestehen hatten, nicht in der Lage, die durch die Steigerung der
Arbeitslöhne eingetretenen höheren Productionskosten durch erhöhete
Preise ihrer Waaren ausgleichen zu können. Hierher gehört vor Allem
die Textilindustrie. Dieselbe steht vermöge der verhältnissmässig
kleinen Transportkosten ihrer Producte unter der Mitbewerbung aller
fabricirenden Gegenden*, sie kann, wenn nicht besondere Voitheile
dagegen in die Wage fallen, am allerwenigsten Lohnverschiedenheiten
ertragen, und macht die Concurrenz theuer producirender Orte mit
billiger erzeugenden unmöglich. Daher sind die grossen Hauptstädte
keine Plätze für die meisten Zweige der Weberei, noch viel weniger für
die Spinnerei, und es muss sich eine Dislocation derselben nach Gegen
den, in denen billige Arbeitslöhne herrschen, vorbereiten. Diese Dis-
location findet in der That aus Paris, Wien und Berlin statt, die zum
Theil bis in die neueste Zeit bedeutende Orte für die Textilindustrie
waren. Die einzigen Zweige derselben, in denen solche Städte trotz
hoher Löhne im Uebergewicht sich erhalten können, sind die, in denen
die künstlerische Seite des Faches, sei es durch besonders kunstvolle
Arbeit, sei es durch die Composition der Muster, welche in der die Mode
angebenden Grossstadt besonders gut gefertigt werden, vorwiegt. In
der That ist auch in Paris und ähnlich in Wien hauptsächlich die
Kunstweberei, welche nicht für den grossen Markt, sondern für Luxus
bedürfnisse arbeitet, mit Erfolg gepflegt worden, während Berlin durch
Vernachlässigung dieser Seite, und indem es sich der Production von
billigen Massenartikeln zuwandte^ sich heute in der Lage befindet, seine
bedeutende einen wichtigen Factor in der Beschäftigung seiner Arbeitei
ausmachende Weberei fast vollständig verschwinden zu sehen. Aller
dings ist die augenblickliche Zeitströmung der Ausbildung der Kunst
weberei wenig förderlich. In den meisten Branchen, besonders in