EDUARD LEISCHING
Über Kunxtfälrrbzlrlgßn 3.
S0 kenne er persönlich einen
hochtalentierten Graveur, der -
von einem akademisch gebildeten
Manne beraten - im Auftrage eines
in Otschakow lebenden „Schnaps-
fabrikanten" (l) zu arbeiten pflege.
Ein folgender Brief führte aus, daß
der Behörde diese Dinge bekannt
seien, auch habe er (Lcmme) den
Vorstand der archäologischen Kom-
mission in Petersburg, den bekannten
Grafen Bobrinsky, auf den mit
betrügerischen Absichten betriebenen
Unfug wiederholt aufmerksam ge-
macht, doch sei aus gewissen, angeb-
lich juristischen (F) Gründen nicht
eingeschritten worden. Lemme be-
richtete weiter, daß er im ]ahre zuvor
(1895) in Frankfurt einen dort um
10000 Mark angekauftcn „Fund"
aus Olbia als Fälschung erkannt habe
und einen Herrn in Nikolajew (Chcr-
son) kenne, der zu gleicher Zeit mit
einer wundervollen „antiken Krone"
(i) hineingefallen sei. Auch in Kiew,
Petersburg und Krakau waren in
jenen Jahren, wie wir erfuhren,
goldene Masken, zum Teil mit In-
schriftcn versehen, verkauft worden,
welche wegen ihrer technischen Voll-
endung gute Kenner in Rom und
Berlin getäuscht hatten. Aus dem
Kreise hervorragender Frankfurter
Händler (Goldschmidt, Hess und
andere) hörten wir, daß noch im
Monat März 1896, also kurz nach der
Flucht der beiden Russen aus Wien
und ihrem glänzenden Erfolge in
Paris, in Frankfurt zwei prachtvoll
gearbeitete Goldsandalcn von einem
dortigen Sammler erworben worden
seien, die nach Goldschmidts An-
sieht eine Verwandtschaft mit der
„Tiara" vermuten ließen und aus
Südrußland stammten. Auch erfuhren
wir, daß der Name Saitaphernes (in
der Fassung: Zaitaphernes) in grie-
chischer Schrift schon früher auf
zweifellos gefälschten goldenen Bras-
seletts aufgetaucht war.
Wir hatten also bereits reichliche
Nahrung unseres Mißtrauens be-
schafft, es kamen aber noch mehr
beachtenswerte Verdachtsgründe zu-
tage. So teilte uns der hervorragend
erfahrene Galvanoplastiker Carl Haas
mit, daß etwa vor zwei Jahren ein
Russe bei ihm gewesen sei, der als
„Amateur" Unterricht in der Technik
der Galvanoplastik nehmen wollte.
Haas aber hatte ernstlich Bedenken,
auf dieses Ansinnen einzugehen, weil
er aus Erfahrung wußte, wieviel
Unfug im internationalen Handel mit
galvanoplastischen Nachahmungen
von Originalen getrieben zu werden
pflegt, welche um Unsummen als
Originale verkauft werden. Wenn
sich diese Mitteilung auch nicht ohne
weiteres auf die Ergründung des
Geheimnisses der „Tiara" beziehen
konnte, soferne kein Original, son-
dern eine neuzeitliche Arbeit vorlag,
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so brachte sie uns doch auf den
Gedanken, daß diese Technik bei der
Anformung irgendwelcher Vorlage
in Anwendung gebracht worden sein
konnte, was immerhin von großer
Bedeutung gewesen wäre. Daher
machte einer von uns (ich glaube,
daß ich es gewesen bin) den Vor-
schlag, doch vor allem einmal den
Goldgehalt der „Tiara" daraufhin
überprüfen zu lassen, ob er jene
Legierung aufweise, welche uns im
Hinblick auf unzweifelhaft echte
Stücke der Antike bekannt sind.
Würde sich chemisch reines Gold
ergeben, dann wäre unzweifelhaft
Galvanoplastik erwiesen, für welche
eben nur reines Gold in Betracht
komme, und damit ausgeschlossen,
daß das Werk getriebene Arbeit sei
und dem Altertum cntstamme. Auch
wäre selbst dann, wenn sich eine
Legierung ergäbe, der von uns ge-
suchte Beweis erbracht, falls die
Legierung mit der bekannten gegen-
wärtigen oder früheren Goldprägung
irgendeines Staates übereinstimme.
Wir schlugen den in vertraulicher
Sonderberatung gefaßten Entschluß,
eine Untersuchung im Hauptmünz-
amt vornehmen zu lassen, den Händ-
lern bei der nächsten Zusammenkunft
vor und bemerkten sofort, daß sie
stutzig wurden; aber immerhin cr-
klärten sie, obwohl ihnen jede Vcr-
zögerung unerwünscht sei, am näch-
sten Tage wiederkommen zu wollen.
Doch erwarteten wir sie vergeblich -
sie blieben unentschuldigt aus. Un-
verzüglich wandten wir uns an die
Polizei, welche feststellte, daß die
beiden Russen mit noch einem Mann
(es ergab sich, daß dies der erwähnte
Wiener Elfenbeinschnitzer und Anti-
quitätenhändler A. V. war) am Abend
vorher mit dem Nordwestbahn-
schnellzug Wien verlassen hatten.
Es bestand für uns sonach kein
Zweifel, daß die Leute aus irgend-
welchem Grunde Angst vor der von
uns geforderten Untersuchung des
Goldgehaltes der „Tiara" hatten und
so rasch als möglich ihr Glück an
anderer Stelle versuchen wollten.
Wir dachten übereinstimmend sofort
an das British Museum und richteten
für alle Fälle dahin ein Telegramm,
das in Schlagworten unsere schweren
Bedenken zum Ausdruck brachte.
Dies war am 18. März: Am 26. März
traf die Antwort ein: "British
Museum refused gold objects as
modern." Aber schon arn 7. April
brachten die Pariser Blätter die gleich-
zeitig auch von der „Frankfurter
Zeitung" bestätigte sensationelle
Nachricht, daß die Direktion des
Louvre aus Mitteln der „Freunde des
Louvre" eine „wundervolle Gold-
krone" um ZOO OOO Francs angekauft
habe. Es war die, welche wir tagelang
in Händen gehabt hatten.
Selbstverständlich machte man uns
nun Vorwürfe, daß wir aus über-
triebener Ängstlichkeit eine glänzen-
de, nie wiederkehrende Bereicherung
unserer Sammlungen verhindert hät-
ten. Wir verhielten uns aber ruhig,
in der Überzeugung, daß über kurz
oder lang die Richtigkeit unseres
Verhaltens an den Tag kommen
werde. Schon entspann sich nämlich
zwischen den französischen Gelehr-
ten, die durchwegs für die unbestreit-
bare Echtheit ihrer glänzenden Er-
werbung cintraten, und einigen
russischen Gelehrten, welchen die
Fälscherwerkstätten am Schwarzen
Meer nicht unbekannt waren, ein
heftiger wissenschaftlicher Streit über
das Werk. Voran stand der Direktor
des Odessaer Museums, Dr. v. Stern.
Gleich ihm trat der Petersburger
Professor VCesselowsky in einem
Brief an die „Nowojc Wremja" gegen
die Echtheit der „'I'iara" auf und
verwies auf eine „Fabrik" in Otscha-
kow, wo seit Jahren Antiquitäten
hergestellt irürden, durch welche sich
die angesehensten Archäologen täu-
schen ließen. F.r behauptete auch,
daß die Ornamente der „'I'iara", be-
kannten Kunstwerken entlehnt, ver-
schiedenen lipochen entstammen.
Diese Beweisführung bekämpfte nun
der französische Gelehrte Heron de
Villefosse mit dem sonderbaren Argu-
mente, daß in der hellenistischen
Epoche oft ältere Modelle nach-
geahmt worden seien, was ja bekannt
ist, womit aber doch zugestanden
war, daß zum mindesten die Wid-
mung an den Fabelfürsten Saita-
phernes eine Falschmeldung beinhal-
ten müsse. 1899 trat auch der
Archäologe A. Furtwängler (Mün-
chen) in seiner Abhandlung „Neue
Fälschungen vnn Antiken" mit aller
ihm eigenen kritischen Schärfe gegen
die immer häunger gewordenen
Fälschungen, insbesondere von Ar-
beiten in Marmor, Bronze, Gold und
Vasenmalcrci, auf und bezeichnete als
die häuHgsten die Arbeiten in der
Technik des getriebenen Goldblechs;
er sprach von den allen Museums-
leuten bekannten geschickten Arbei-
ten Castellanis und den für Marchcsc
Campana tätigen Fälschern, deren
technisch ausgezeichnete Nachah-
mungen antiken Schmucks sich zum
Teil im Louvre und vielen anderen
Orten befinden, um dann auf die
„Tiara" übcrzugehen, deren Ab-
lehnung er sich vollkommen an-
schloß, indcm er auch darauf auf-
merksam machte, daß vorher schon
eine große goldene Krone mit Weihe-
inschrift an einen „Achilleus Pont-
arches", den „Heros von Olbia", in
Berlin (wie sich späterhin heraus-
stellte, auch von Hochmann) ange-
boten und dort zuerst von den
Archäologen mit großer Begeisterung
aufgenommen, aber schließlich auf
dringendes Abraten eines genauen
Kenners zurückgewiesen worden sei.
Er griff auch Benndorf wegen seines
Eintretens für die „Tiara" an, wozu
ich aber bemerken muß, daß dieser
sich 1903, als in Paris endlich die
Fälschung anerkannt und in dramati-
scher Weise gerichtlich festgestellt
wurde, offen und vornehm zu seinem
Irrtum bekannt hat. Darauf komme
ich noch zurück. (wird furlgrxelzt)