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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXX (1985 / Heft 198 und 199)

 
 
 
4 Karl Mediz. Blumenwiese in den Voralpen, ÖlILeinwand 
80 X 60 cm. Privatbesitz 
gern Kleide, mit dem nellgrünen Paletot aus ruppigem 
Tuch darüber und weißen Spitzenarmeln und -krausen, 
und jede eine Vorsteckmasche mit lang niederhangen- 
den Enden aus schwerem, buntgeblümten Seidenband, 
und jede einen Lilienstengel in der Hand. Dazu blondes 
Haar, helle Gesichter, blaue Augen. Die Figuren selber 
haben die Farben der Landschaft. und die schlanke 
Birke, die zufällig in ihre Reihe geraten, scheint fast als 
zwölfte mitzugehen. Es ist ein Kirchgang in Gottschee. 
jenem krainschen Ländchen, dessen Herzöge die Für- 
sten Auersperg sind; des Malers Vater war ein deut- 
scher Gottscheer. Der Kirchgang ist natürlich nur 
gedacht; Giotto hat in der Arena zu Padua so einen 
Brautzug gemalt und Mediz sich ihn gemerkt. Aber jede 
der lebensgroßen Gestalten ist vorn Scheitel bis zur 
Zehe Bildnisstudie. ln Dresden war es eine starke helle 
Freskowirkung mitten unter geheiligtem Staffeleilon; 
das fiel unverträglich heraus, so daß die Leute sich 
schon vomahmen, es nicht vertragen zu können. 
Solche lebensgroße Gestalten in urwüchsiger Volks- 
tracht hat der Künstler immer wieder gemalt. Ein sol- 
ches Mädel. nMiederlevi genannt, sitzt vorelner grauen 
Bretterwand. zwei dunkle Hände im Schoße der weißen 
Spitzenschürze. Sie tragt das Fronleiohnamskostüm. 
dessen eigentlich ungeschickte Farbe-das rotbraune 
Mieder und das rosa Gürtelband und dergleichen - 
doch so unbefangen zusammengehen. Flosmarin hat 
sie im Haar, man glaubt. es herausziehen zu können. 
wie diegrcßen grünen Eichenblätter und Tannenzweige 
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aus dem Hutband jenes Windisch-Matreier Gebirgs- 
bauern. an dessen Tracht den Maler das Schwarz. Rot 
und Grün so gereizt hat. Diese groben Tirolerloden und 
Wollsamte. Leinen und Seiden. Borten und Hefteln. und 
die Augenwimpern und der Zug der Schere im iahlblon- 
den Haar - man hatdiese Dinge erst seit Leibl so gese- 
hen. Und seit Van Eyck allerdings. Frühe Volksfiguren 
Mediz' haben diese Art Wahrheit noch nicht, Die alte 
Frau. die er wDie Wifweu nennt (von 1892) und die mlt 
gefalteten Händen auf ihrerTruhe sitzt. ist inToksva bei 
Tokaj gemalt und trägt eine ungarische wBundau. näm- 
lich einen braunen Schafpelz mit farbiger Lederzier und 
gestickten Wollblumen. Das ist nun warmer Münchner 
Lederton von anno dazumal. jener spezifische. die 
ganze braune Skala herunterspielende Lederhosenton. 
der aus dem bayerischen Oberland nach München her- 
eindrang und i-Paletteu wurde. Es klingt drastisch. aber 
der Lederhose des Holzknechts verdankt Neu-Mün- 
chen seinen ersten bodenständigen Kolorismus, 
Auch Frau Mediz hat in älterer Art Treffliches gemalt: 
das Bildnis ihrer Mutter zum Beispiel (wPortrat in Blauu, 
1891). Die Zeit änderte sich. Luft und Licht wurden frei. 
die Farben und Formen verschummerten sich nicht 
mehr im Helldunkel. sondern gaben ihren Naturlaut von 
sich. Das war noch schöner; im Freien gibt es nichts 
Grelles. weil der Raum sich mit den Farben mischt; als 
ware schon Luftperspektive mit in die Tube gesperrt. 
Aber auch ihre Formen änderten sich. In diese bringt 
das scharfe Sehen beider Mediz gleichsam eine eigene 
5 Emllle Mediz-Pelikan. Blühende Glyzinie, 1906. Mischtechrii 
(Buntstift. Kohle. Kreide. DeckweiByPapierIKarlon, 51 X6 
cm. Slgn. und dat. wE. Pelikan Krems Mai 190641
	            		
zbärde, es stellt sich ein besonderer Habitus ein. rlbst den erwähnten Dresdner Porträts, von hohen id höchsten Persönlichkeiten, von berühmten Künst- 'n und Gelehrten, sieht man diesen auf den ersten ick an. Ihre Wahrheit hat gewisse. schier seltsame genzüge, so die wesenhafte Richtigkeit von allem, as Haarund Haaresgleichen ist.Wie individuell sehen wa die Wimpern an jedem Auge aus, wie leibhaftig eint man den Bürstenstrich des Bedienten an jedem rckarmel zu unterscheiden. Und das bei den schränkten Mitteln der Kreidezeichnung. Wie weitda lS Gesicht selbst ergründet ist, mag man sich denken. idem großen Bilde wDie vier Eisrnannerr odernDie Eis- zsenu erregte dies das größte Erstaunen. Das Filzig- rdenhafte der altertümlichen Schauben, die aschengenaue Pinselstrickerei der derben Waden- rümpfe, das Haar-für-Haar der langen struppigen "aubärte und Haarschbpfe, die Härchen sogar an den aßen Teilen der Beine (wie bei Van Eycks Adam in der üsseler Galerie), das ist alles wie für die Lupe. Die idernarbederBergschuhe,derMesserzug amSchnitt er Ptundsohlen und ganz besonders die Rinde der vier sch vom Baume geschnittenen Knüttel, Baumrinde überhauptein Liebling beider Mediz. Wasda an winzi- in Moosen und Flechten, Sprüngen und Narben, Äst- in und Knötchen vor sich geht, das ist wieder alles für e Lupe. Man möchte es kindisch nennen, wenn man es ihe. Aber man sieht es erst, wenn man es sehen will; m2 wie beim wirklichen Menschen und Baumast. den man ja für gewöhnlich auch nicht durch die Lupe ansieht. Denn die Figuren haben dabei Masse. Sie glie- dern sich ebenso richtig als Ganzes, das man miteinem Blicke umfassen kann, ohne aufdie Mikroskopikzu ach- ten. Wiederum wird man an Leibl denken müssen. Oder an englische Präraffaeliten. An Holman Hunt etwa, des- sen Gestalten so durchgebildet sind und unter dessen Sträuchern und Blumen man tatsächlich botanisiert hat. Die vier Eismanner stehen auf einem Streifen blü- henderAlpenhalde. Es isteindichtenzäherTeppich aus winzigen Alpenblumen, jede einzelne einzeln vorhan- den, wie einfarbigerWollknoten in einem orientalischen Teppich, Die rote Alpenrose, die gelbe Primel, der blaue Speik, der blauere Enzian, dicht zusammengedrängt, ein elastisches Blumenmosaik. Man sah alle diese Dinge halb ungläubig an, wie vor fünfundzwanzig Jah- ren die bunt aufgedruckten Blumensträuße auf dem weißen Umschlagtuch von Leibls Kirchgängerin oder wie man die unzähligen blauen Schürzenfalten seiner Kellnerin(derMiederstudie)zu zählen versuchteSogar in der Fleischfarbe ist ein Zug von Verwandtschaft, ein bläulichrosiges Etwas von Mitten, das auch Dürer oft- mals hat. Das sind eben alle drei Deutsche, von jener scheinbaren Schwere, die sich durch eine innewoh- nende elementare Spannkraft von selbst wieder aut- hebt. Seitdem hat Mediz noch einmal zwei solche Eis- männer in Lebensgröße zusammengestellt (wDie Alten vom Berge-r). Einsiedelbauern sind es, der eine im Leben ein Naturdichter, der Knittelverse macht, der andere ein bäuerlicher Tausendsassa, Gemisch von Schmuggler, Pfadfinder und Wurzelsepp, nebenbei nie ohne einen alten zottigen Gaul zu sehen, der ihm wie ein betagter Hund nachhumpelt. Aüf dem Viereismänner- gebilde ist derAlte links, mit dem langen Schwindschen Rübezahlbart im Profil, im Original schon neunzig Jahre alt und hat viel Buntes im Leben erlebt. Das sind solche Charaktere, und wenn man in ihre hellblauen Augen schaut. kann man es darin lesen, und in den tausend Ftunenrunzeln ringsum, deren Rechtschreibung Mediz im kleinen Finger hat. Schier befremdlich heben sich solche äußerst wahre Menschengestalten bei ihm von einer Natur ab, die eigentlich nicht zu ihnen paßt. Von einer schemenhaf- ten Hochgebirgs- und Gletscherwelt, in deres am hellen Tage geologisch und metereologisch zu spuken scheint. Da entfalten sich weite Hintergründe. in denen sich ein fast körperlos gegebenes Eiszackensystem in tausend stürzende Bäche, hüpfende Bachleimtallende, zerknickende. zerstiebende Wasserfäden auflöst. Es wird da ein Hochalpenstil gesucht, der sich noch nicht recht finden läßt. Frau Emilie ist darin glücklicher, wenigstens soweit sie noch positiver, studienhatter geblieben. So in ihrem großen nHochtalu, wo verschie- dene Charakterzüge des Gletschers vortrefflich beob- achtet sind. Es istderSchlattenkeesgletscheram Groß- venediger, wo das Paar den vorigen Hochsommer gearbeitet hat. In einem anderen Bilde stellt Emilie die- sen Gletscher als solchen dar, als großzügiges, he- 53
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