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zwingen; Alexander muss froh sein, durch das erzählte Kunststück (zwei
äs oder das den Greifen vorgehaltene Fleisch) wieder zu den Seinen zu
kommen. Dass es sich um das Paradies, das dem irdischen Menschen ver-
schlossen ist, handelt, sieht man daraus, dass die drei anderen Seiten
desselben Capitäls darstellen: Adam und Eva im Paradiese, den Sünden-
fall, die Vertreibung aus dem Paradiese.
Hiemit war ein durchaus weltlicher Roman auf das Gebiet christ-
lichen Denkens herlibergezogen und es dürfte uns nicht wundern, wenn
auch in anderen Kreuzgängen noch viel solcher romanhafter Zlige aus
den damals sehr beliebten Erzählungen in Sculptur oder Malerei erscheinen
sollten. Z. B. das Bildchen in der Brunnencapelle zu Heiligenltreuz,
Alexander reit auf dem Löwen reitend, ist wahrscheinlich der
Rest eines ganzen Cyclus von Glasgemälden, der sicherlich nicht zur
Kurzweil, sondern zur moralisirenden Belehrung der Mönche in den
Fenstern des Kreuzganges oder in diesem Fenster der Brunnencapelle
zur Darstellung gekommen war. Wirklich finden sich in der Handschrift
158 des Stiftes (Codex x58, 12. Jahrhdt.) bedeutende Stücke aus dem
lateinischen Alexanderroman, als wActus Alexandri Magni Macedonisu,
ein Zeichen, dass man hier den Roman las und sicher auch Darstellungen
aus demselben im Kreuzgange gerne sah.
Springer deutet eine Darstellung, die er aus Cahier, Nouv. Mel.
abbildet, stammend aus Chartres, 12. Jahrhundert, als eine Entlehnung
aus der antiken Kunst: ein geflügelter und mit einem Horn auf der
Stirn versehener bärtiger Satyr hat ein Mädchen bei den offenen Haaren
gepackt und droht demselben mit einem erhobenen Schwert. Das Mädchen,
das sich nicht entführen lassen will, hält sich mit der Linken an einem
Baumstamm und blickt flehentlich zu einem Centaur, der von rechts her
ansprengt. Fürchterlicher Miene, die Zähne fletschend, spannt dieser den
Bogen, sicher nicht gegen das Mädchen, obschon die Zeichnung dies an-
zudeuten scheint, sondern gegen den Satyr, dem er das Mädchen ent-
reißen will. Auf dem Pferderücken des Centaur sitzt ein ganz nackter
Knabe, den Kopf nach rückwärts gerichtet; er sieht eine Gans an, die er
beim Halse gepackt hat und erwürgt. Seine Rechte ruht wie begiitigend
auf dem bärtigen Hinterkopf des Centaurs. Springer meint") dass für diese
Darstellung rChiron mit Achilles auf dem Rücken: aus irgend einem alten
Kunstwerk als Vorbild gedient habe. Cahier denkt an die Versuchung
des Menschen. Aehnlich spricht sich Piper, Mythol. l, 396, aus. Es ist
keine Frage, dass Menzel, Symbolik l, 47x, das Fresko Giottos in der
Unterkirche von Assisi mit Recht heranzieht, wo der Centaur, die rohe
Sinnlichkeit, wie entwaffnet, zurückgebeugt dargestellt ist, da der frei-
willige Gehorsam ihn mit leichter Mühe besiegt durch einfache Berührung
mit der Hand. Es wäre also das Ringen zweier dämonischer Mächte, der
"j Bilder aus der neuen Kunstgeschichte,
r 5- u.