MAK

Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

Das Arbeitskabinett Kaiser Franz I. Nach einem Kupferstich, Herrn Jos. Wünsch gehörig. 
der historischen Stile fronte, hat in das Wort Biedermeier 
jenes Maß von unsäglicher Verachtung hineingelegt, welche 
der Kosmopolit, auch der vermeintliche, für das Spieße 
bürgertum immer bereit hat. Das Wort war eigentlich 
nur gemünzt als Bettelpfennig für alles Lächerliche, Gezierte, 
Hausbackene, Philisterhafte, das man, wenn man durchaus 
will, der Schmachtlockenzeit anmerken konnte. Aber die 
Zeiten haben sich gründlich geändert und der Kosmopolit 
tismus, der in allen Stilepochen lebte und einen wahren 
Unrat von Geschmacklosigkeit und Widersinnigkeit auf- 
häufte, hat einen gräßlichen Katzenjammer hinterlassen. 
Wir suchen heute alle volkstümlichen Kunstelemente auf, 
die wurzelhaft sind, sofern sie nicht in den letzten fünfzig 
Jahren mit Stumpf und Stil ausgerottet wurden. Wir knüpfen 
dort wieder an, um uns durch ihr Vorbild zu stärken, 
damit auch wir zu Formen gelangen, in denen unser Volk 
und unsere Zeit lebt und die vom gewöhnlichsten Alltag 
bis zu den ergreifendsten Äußerungen festlicher Weihe nur 
eine ungebrochene Linie aufweist. 
Und wie es oft erging, was anfänglich Schimpfwort war, 
ward späterhin Ehrentitel. Biedermeiers Ehrenrettung kann 
nicht schlagender dokumentiert werden, als durch den lieber 
vollen Eifer, der das alte Gerümpel vom Speicher, wohin 
es jahrzehntelang verbannt war, wieder herunterholt und in 
den schönsten Zimmern aufstellt. 
Das ist gewiß ein rührender, herzerfreuender Vorgang, wenn 
sie wirklich alter Familienbesitz, wenn sie also echt sind. 
Zwar werden solche Zimmer, die vollständig mit altem 
Hausrat angefüllt sind, den Eindruck eines Museums 
machen, aber ein solches Familienmuseum, mit dem sich 
viele freundliche Erinnerungen verknüpfen, wird immer ein v 
besonderer Schatz sein. Weit über den persönlichen Wert s 
hinaus besitzen sie die Kraft eines lehrreichen Beispieles, J 
welches für den Ausbau unserer häuslichen Kultur in großem J 
Sinne vorbildlich ist. Sie sind die Vorläufer des modernen 2 
Möbels. d 
So erscheint uns Späteren das großväterische, anspruchslose s 
Biedermeierzimmer als das traute Heim von Menschen, denen f 
die Heimat nicht nur ein Wort oder Begriff war, sondern f 
der gesetzmäßige künstlerische Ausdruck der Persönlichkeit I 
in den Gegenständen der Häuslichkeit. Die Interieurs früherer v 
Epochen, die der Biedermeierzeit vorausgehen, besitzen keine f 
solche Vorbildlichkeit. Auch nicht das Empire^Möbel, in f 
dem die große Historie des barocken Zeitalters ausklingt. d 
Wer die prunkenden Barockpaläste durchwandert, die von den £ 
alten Adelsgeschlechtern noch bewohnt werden, findet am J 
Ende der überladenen Prunksäle, gewöhnlich im Obergeschoß, t 
einige einfache, mit bürgerlicher Behaglichkeit, meistens im £ 
Empire^ oder Biedermeierstil eingerichtete Gemächer. Das e 
ist die eigentliche Wohnung des Fürsten. Es liegt eine feine l 
Ironie in dieser Erscheinung, daß der Fürst, um der nieder' i 
drückenden Wucht seiner Repräsentationspflichten zu ent' i 
gehen, seine Zuflucht zur bürgerlichen Schlichtheit und Be' j 
quemlichkeit nimmt, während der Parvenü des XIX. Jahr' s 
hunderts all sein Behagen hingibt für das bißchen Talmi' s 
glanz einer „stilgerechten“ Wohnung. In der Tat mußte der I 
ganze Reigen historischer Stile wiederkehren, ehe man wieder \ 
zu dem vernünftigen Standpunkte zurückfand, auf dem be' 1 
reits unsere Großeltern standen. Die ganze Barocke hat nicht i 
eine Form übriggelassen, die für die heutige Kultur brauchbar 1 
146
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.