Das Arbeitskabinett Kaiser Franz I. Nach einem Kupferstich, Herrn Jos. Wünsch gehörig.
der historischen Stile fronte, hat in das Wort Biedermeier
jenes Maß von unsäglicher Verachtung hineingelegt, welche
der Kosmopolit, auch der vermeintliche, für das Spieße
bürgertum immer bereit hat. Das Wort war eigentlich
nur gemünzt als Bettelpfennig für alles Lächerliche, Gezierte,
Hausbackene, Philisterhafte, das man, wenn man durchaus
will, der Schmachtlockenzeit anmerken konnte. Aber die
Zeiten haben sich gründlich geändert und der Kosmopolit
tismus, der in allen Stilepochen lebte und einen wahren
Unrat von Geschmacklosigkeit und Widersinnigkeit auf-
häufte, hat einen gräßlichen Katzenjammer hinterlassen.
Wir suchen heute alle volkstümlichen Kunstelemente auf,
die wurzelhaft sind, sofern sie nicht in den letzten fünfzig
Jahren mit Stumpf und Stil ausgerottet wurden. Wir knüpfen
dort wieder an, um uns durch ihr Vorbild zu stärken,
damit auch wir zu Formen gelangen, in denen unser Volk
und unsere Zeit lebt und die vom gewöhnlichsten Alltag
bis zu den ergreifendsten Äußerungen festlicher Weihe nur
eine ungebrochene Linie aufweist.
Und wie es oft erging, was anfänglich Schimpfwort war,
ward späterhin Ehrentitel. Biedermeiers Ehrenrettung kann
nicht schlagender dokumentiert werden, als durch den lieber
vollen Eifer, der das alte Gerümpel vom Speicher, wohin
es jahrzehntelang verbannt war, wieder herunterholt und in
den schönsten Zimmern aufstellt.
Das ist gewiß ein rührender, herzerfreuender Vorgang, wenn
sie wirklich alter Familienbesitz, wenn sie also echt sind.
Zwar werden solche Zimmer, die vollständig mit altem
Hausrat angefüllt sind, den Eindruck eines Museums
machen, aber ein solches Familienmuseum, mit dem sich
viele freundliche Erinnerungen verknüpfen, wird immer ein v
besonderer Schatz sein. Weit über den persönlichen Wert s
hinaus besitzen sie die Kraft eines lehrreichen Beispieles, J
welches für den Ausbau unserer häuslichen Kultur in großem J
Sinne vorbildlich ist. Sie sind die Vorläufer des modernen 2
Möbels. d
So erscheint uns Späteren das großväterische, anspruchslose s
Biedermeierzimmer als das traute Heim von Menschen, denen f
die Heimat nicht nur ein Wort oder Begriff war, sondern f
der gesetzmäßige künstlerische Ausdruck der Persönlichkeit I
in den Gegenständen der Häuslichkeit. Die Interieurs früherer v
Epochen, die der Biedermeierzeit vorausgehen, besitzen keine f
solche Vorbildlichkeit. Auch nicht das Empire^Möbel, in f
dem die große Historie des barocken Zeitalters ausklingt. d
Wer die prunkenden Barockpaläste durchwandert, die von den £
alten Adelsgeschlechtern noch bewohnt werden, findet am J
Ende der überladenen Prunksäle, gewöhnlich im Obergeschoß, t
einige einfache, mit bürgerlicher Behaglichkeit, meistens im £
Empire^ oder Biedermeierstil eingerichtete Gemächer. Das e
ist die eigentliche Wohnung des Fürsten. Es liegt eine feine l
Ironie in dieser Erscheinung, daß der Fürst, um der nieder' i
drückenden Wucht seiner Repräsentationspflichten zu ent' i
gehen, seine Zuflucht zur bürgerlichen Schlichtheit und Be' j
quemlichkeit nimmt, während der Parvenü des XIX. Jahr' s
hunderts all sein Behagen hingibt für das bißchen Talmi' s
glanz einer „stilgerechten“ Wohnung. In der Tat mußte der I
ganze Reigen historischer Stile wiederkehren, ehe man wieder \
zu dem vernünftigen Standpunkte zurückfand, auf dem be' 1
reits unsere Großeltern standen. Die ganze Barocke hat nicht i
eine Form übriggelassen, die für die heutige Kultur brauchbar 1
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