] BILDERAUSSTELLUNGEN [
VINCENT VAN GOGH.
V on den sechs modernen Bilderausstellungen, die im Laufe dieses
Monats in Wien zugänglich sind, ist jene VINCENT VAN GOGHS
bei Miethke (Graben 17) die weitaus interessanteste. Sie ist die wert'
vollste, weil sie das Werk einer durchaus eigenartigen Persönlichkeit
zeigt, eines Künstlers, der nichts Überliefertes, Handwerkliches, Fremdes
übernommen, sondern durchaus sich selbst gab, sein persönliches
Schauen und Naturempfinden in einer ganz persönlichen Darstellung.
Van Goghs Schaffen ist von einer Unmittelbarkeit, die überrascht und
entzückt, es ist eine phänomenale Erscheinung, das Vollbringen eines
Menschen, der fieberheiß nach dem künstlerischen Ausdruck seines
Wesens gerungen hat. Wir wissen nicht, wie weit das Geleistete ein
Vollbringen war; es sind Briefe von ihm bekannt, Briefe an einen
Freund, die einen ungeheuren Reichtum des Wollens offenbaren, über-
stürzend vielleicht, ein Wollen immerhin, das aufs Ganze gerichtet
ist und weiter hinaus will, als auf bloß malerische oder bildmäßige
Gestaltung seiner Eindrücke und Gesichte. Seine Art, sich künstlerisch
zu entäußern, war eine verzehrende, sein Kapital an Lebenskraft
erschöpfte sich in diesem Ringen und darum blieben viele Hoffnungen
seiner Briefe unerfüllt.
Vielleicht war die Ungunst seines äußeren Schicksals schuld daran.
Zum Teile sicherlich. Es war ein Martyrium. Er ging durch viele
Berufe, war nacheinander Kaufmann, Schullehrer, Prediger, Kunst
händler, war über dreißig Jahre alt, ehe er sich fand und anfing,
sich darzustellen. Dann ging die Vollendung mit unheimlicher Ge
schwindigkeit, mit Raserei. Was er malte, zählte in wenigen Jahren
über tausend Bilder. Man kennt nicht alles. Im Hospital zu Arles,
wo er zeitweilig Zuflucht nahm — ein paar ausgezeichnete Bilder
davon sind in der Ausstellung — sah man Irre, mit blödsinnigem
Lächeln, damit beschäftigt, van Goghs Bilder zu zerschneiden; nie
mand kümmerte sich darum, kaum er selbst. Er hatte nur zu geben.
Was er gab, war ganz gegeben. Aus den Bildern, durch das Material
hindurch ist der zitterndheiße Lebensdrang zu spüren, das bebende,
zuckende Loslösen der sichtbaren Form aus der Sphäre seiner künst
lerischen Empfindung, die fast schmerzlich noch wirkende physische
Gewaltsamkeit des Gebärens. Aber bei aller eruptiven Heftigkeit des
Hervorbringens strahlt im Grunde seines Werkes die ruhige Schön
heit aus, die der Künstler empfand und sichtbar zu machen strebte,
die Natur in den einfachsten und ergreifendsten Zügen und die wunder
bare Harmonie der Farben. So wurden seine Bilder ein seltenes kost
bares Gewebe kühner, leuchtender Farben, kräftig zwar, aber auf die
Komplementärwirkung hin mit ungewöhnlichem Raffinement gesucht
und darum mild und kühl, mattschimmernd wie Seide, organisch wie
die Natur und flächig wie Gobelins.
Vincent war 1853 in Groot-Zunders, Holland, geboren. Am 28. Juli 1890
gab er sich den Tod; es war seiner Umgebung völlig unverständlich.
Er war aufgerieben; er wußte jedenfalls, daß er ein zu schwaches
Gefäß für die Überfülle und den Drang seines inneren Lebens war.
Seine Art Schaffen war Selbstvernichtung.
DIE KUNST DRÜCKT NIEMALS ETWAS
ANDERES AUS, ALS SICH SELBST.
OSCAR WILDE.
„DIE SCHOLLE“.
in schweres Rätsel ist die Kunst. Eine Sphinx, Weib, Löwe, Adler,
Fisch, vieldeutiges Symbol, ist Hauszeichen der dermaligen Aus
stellung der Sezession und Plakat. Was soll's bedeuten? „Ein schweres
Rätsel ist die Kunst“. Der Künstler als Maler beantwortet es gemäß der
Kraft und Eindringlichkeit des eigenen Schauens, das „Eigengeschaute“
möglichst treu und unmittelbar zum Ausdruck zu bringen, „Jeder
bebaue seine Scholle“. Es ist kein Programm und zugleich das beste
Programm, das die nun hier ausstellende Münchener Künstlergruppe
zusammenhält, die sich also „Die Scholle“ nennt. Durch die Re
produktionen der „Jugend“ sind die Mitglieder der Gruppe weithin
bekannt; glücklicherweise erscheinen die Originale viel jugendlicher
als in der „Jugend“. „Die Scholle“ will nicht Heimatkunst bedeuten,
aber eine gemeinsame künstlerische Atmosphäre gibt ihr das lokale
Gepräge, die örtlichen Züge, die Physiognomie der künstlerischen
Heimat, um so schärfer ausgesprochen, je eigener und ursprünglicher
das Geschaute und Dargestellte ist.
Münchener Kunst, wenngleich nicht alle Mitglieder bajuvarischen
Schlages sind. Die modernen Kunstanschauungen sind heute überall
die gleichen; jedoch der Niederschlag ist, abgesehen von dem Mehr
oder Weniger an Fähigkeit, naturgemäß überall anders. Aber gerade
das ist das Köstlichste der Kunst, daß sie irgendwie lokalisiert und
wurzelhaft ist. Trotz aller Differenzierung im einzelnen und Persönlichen
und trotz vieler Verwandtschaft: Münchener Kunst und Wiener Kunst,
das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Je mehr der Unterschiede
wahrgenommen und festgestellt werden können, desto größer kann die
gegenseitige Schätzung sein. „Die Scholle“ ist Münchener Elite, es muß
logischermaßen sein, daß die Wiener Elite ganz anders ist. Man spürt
das Lokale recht deutlich, wenn man „Die Scholle“ nicht in München,
sondern, wie eben jetzt, in Wien sieht. Soviel zupackende Frische
und ungestüme Freude an Licht und Farbe, soviel Lebenslust und
Naturburschentum als „Die Scholle“ verkörpert, kann nur in der
Bauernhauptstadt eines Bauernstaates lebendig bleiben.
Münchener Kunst, das Wort wirkt wie eine Fanfare. Es ist nicht leicht,
die Gefühle auszusagen, die sich in Deutschland mit diesem Wort ver
binden. Ein Lächeln geht um die Lippen, wie in Erwartung von etwas
sehr Lustigem, sehr Originellem, sehr Künstlerischem. Man sieht nur
sorgloses, genußfrohes Lebensbehagen. In der Tat steht in München
die Kunst dem Alltag näher als in irgend einer anderen Stadt. Sie ist
eine Reagenz des Lebens, und bis zu einem gewissen Grade mag die
Erwartung gerechtfertigt sein. Die Grundstimmung des Münchener
Lebens steckt naturgemäß auch in der Münchener Malerei. Daß es
gerade Bilder sind, den ungestümen Lebensdrang künstlerisch auszu
drücken, hat sein eigenes Bewandtnis. Es erklärt sich aus der besonderen
Stellung der Akademie und der Kunst in München zum Leben: der
„Herr Kunstmaler“ ist dort eine Persönlichkeit, die in der Öffentlichkeit
mitspielt. .
Die Kunst ist dort eine sozial ausgleichende Macht wie das Bier.
Sicherlich besteht zwischen diesen beiden Elementen eine geheime
Beziehung. Das Münchnerische kommt in der „Scholle“, die nun in
der Wiener Sezession eine Kollektiv-Ausstellung gemacht hat, sehr
eindringlich zum Ausdruck.
Aber Derbheit und Kraftmeierei sind keine wesentlichen künstlerischen
Eigenschaften. Nicht nur in München, auch in anderen Kunstzentren
haben die Künstler die eigene Scholle bebaut und es sind teilweise
Erreichungen gewesen, die künstlerisch weitaus höher stehen. So ist
es zu erklären, daß „Die Scholle“ in Wien nicht den Eindruck des
Außergewöhnlichen macht.
Die übergroßen Formate wirken leer; dem zuweilen’kann man die
Vorstellung einer dekorativen Wirtshausmalerei nicht loswerden. Bei
allem Temperament, die Gewöhnlichkeit, oft zur Geschmacklosigkeit
gesteigert, hauptsächlich was die zahlreichen Aktstudien betrifft, ist
der bleibende Eindruck. Selbst Fritz Erler, der unter den Leuten der
„Scholle“ die größte künstlerische Zucht hat, ist nicht ganz frei.
Seine Neigung zum Stilistischen ist ein etwas äußerliches Kompliment.
Es geniert ihn noch nicht, daß er ein Bild unorganisch in drei Teile teilt,
indem er zwei Rahmenstäbe durchlegt und eine Art Triptychon bildet.
Auch der Stil will erlebt sein. In Wien ist er Erlebnis, das ist der Unter
schied gegen München, vielleicht mehr als Unterschied, auch Vorsprung.
Immer ist die; Natur der Ausgangspunkt; der Naturalismus ist eine
Form, aber der Stil ist eine höhere Form.
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