Häuser aus Ehrenberg
bei Rumburg.
Holzbauten mit Schiefer-
bekleidung in
Nordböhmen.
VOLKSTÜMLICHE BAUKUNST.
I. NORDBÖHMISCHE WOHNBAUTEN,
nter dem Haupttitel „Volkstümliche Baukunst“ will ich eine Serie
von heimatlichen Bauweisen eröffnen, soweit solche einen organi
schen Baugedanken, eine zweckmäßige Verwendung des Materials und
sachliche Ausnützung heimischer oder ortstümlicher Naturstoffe dar
stellen. An solchen Werken sind Gesetze und Wirkungen zu beobachten.
Darin sollen sie einen Wert für alle Betrachter haben. Denn wir dürfen
nicht vergessen, daß das vornehmste Erzeugnis heimatlicher Kunst, das
ältere Wohnhaus ist, oft das einzige Erzeugnis, das der umgreifenden
Zerstörung standgehalten hat, während alle sonstige Kunsttätigkeit
des Volkes im Hause und an der Erscheinung des Menschen ver
schwunden ist. Ich bin natürlich weit entfernt, einer beliebten Alter
tümelei das Wort zu reden. Darum warne ich ausdrücklich, in solchen
Beispielen Vorbilder zur Nachahmung zu sehen. Es wäre furchtbar,
wenn eine Stilseuche, die volkstümliche Motive wie Bazillen überträgt,
von neuem zum Ausbruch käme, nachdem die Architektur sich eben
von den historischen Stilen loslösen will. Alle Nachahmung von Stilen
führt in eine Sackgasse und die neuen Architekten müssen sich hüten,
sich wieder in eine solche zu verrennen. Trotzdem, glaube ich, wird
man die volkstümliche Baukunst immer mit großem Nutzen ansehen
können. Denn sie zeigt Grundsätze einer lebendigen Baukunst, die
organische Beziehungen ausdrückt zur Heimat, zum Material, zum
Menschen und seinem Leben. Lebt in einem Orte noch eine solche
Volksbauweise als lebendige Überlieferung, so sollen sich alle geistigen
Führer solcher Orte einsetzen, diese zu erhalten, das Verständnis und
die Liebe zu dieser Eigenart zu pflegen, sobald großstädtischer, bau
industriemäßiger Ungeschmack einzureißen droht. Solche Bewegung
anzuregen, sollen diese Veröffentlichungen dienen. Ich glaube, daß sie
einem weiteren Zweck nützlich werden können. Sie sollen zeigen, wie
der alte Hausbauer mit den gegebenen einfachen Mitteln fertig wurde
und eine oft überraschende Schönheit erzielte. Man wird durch diese
Beispiele auch erfahren, wie sich der heutige Baukünstler zur Forderung
einer heimatlichen Baukunst stellen kann. Eine formgetreue Fortsetzung
des alten Hausbaues ist nur in Gegenden möglich, wo die alte Bau
weise noch in Übung ist, das ursprüngliche heimatliche Material in
Verwendung steht und die Erwerbs- und Wirtschaftsverhältnisse sich
nicht geändert haben, wie es in den Gegenden des nördlichen Böhmens,
wo sich die hier abgebildeten Häuser befinden, der Fall ist. In allen
anderen Fällen aber, und das sind die weitaus häufigsten, wird der
heutige Baukünstler es den alten Bauwerken darin gleichtun, daß er
in gutem Material, das in der Gegend heimisch ist, solid baut und
von allen Schablonen befreit, die Bedürfnisse der darin wohnenden
Menschen sowie die von der Landesnatur auferlegten Bedingungen
auf das vollkommenste erfüllt, also die organische Beziehung herzu
stellen sucht. Dann wird sein Bauwerk von selbst „heimatlich“ wirken,
ohne daß er den alten Bauernstil oder Bürgerhausstil einfach kopiert.
Dieses ist sehr verwerflich, denn es führt nur zu scheinbar befriedi
genden Lösungen, weil die heutige Menschheit zum größten Teil unter
ganz verschiedenartigen Bedingungen lebt und arbeitet, neue Baustoffe
und neue Techniken erfunden hat und vielleicht auch in manchen
Dingen hygienische Rücksichten genauer zu beobachten hat, wodurch
der bauliche Organismus einen wesentlich anderen Ausdruck empfangen
muß. Ich werde darüber bei anderer Gelegenheit reicheres Material ver
öffentlichen; das Folgende soll von den nordböhmischen Wohnbauten
in der Rumburger Gegend handeln.
Das Haus ist Zimmermanns Baukunst, die noch gepflegt wird. Auf
einem niedrigen Granitsockel erhebt sich die einfache und sehr sinn
reiche Zimmermannkonstruktion, die aus dem Bilde klar zu erkennen
ist und durch keine schmückenden Zutaten, sondern nur durch gute
Verhältnisse wirkt. Die Fensterrahmen sind ausnahmslos weiß ge
strichen, was von ungemein freundlicher Wirkung ist. Die Unart des
holzbraunen Anstriches ist nur an den Neubauten, die übrigens auch
gänzlich aus der Art schlagen, zum Nachteil der ganzen Umgegend,
wahrzunehmen. Schiefer ist dort ebenfalls heimischer Baustoff. Wie
der eintönige, graue, rötliche und weißliche Schiefer verwendet wird,
als Wandbekleidung zum Schutz gegen Wetterunbilden, und durch
ornamentalen Wechsel der Lagerung und Färbung lebendig und ge
radezu zu künstlerischer Wirkung gebracht wird, ist im höchsten
Grade beachtenswert und als Ergebnis alter Tradition anzusehen, das
ebenso wie der einfache und zweckmäßige Grundriß, mit der Lebens- i
und Erwerbsweise der Bewohner erhalten blieb, die eine alte Haus
industrie in Span- und Flechtwerk, Weberei und Wirkerei betreiben.
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