WIEN UND DIE KÜNSTLERISCHEN
GEMEINDEAUFGABEN.
IV.
PLAN EINES ALLGEMEINEN
AUSSTELLUNGSBAUES FÜR
WIEN.
as Ausstellungswesen als eine Funktion des öffent^
liehen Lebens der Neuzeit verlangt einen Bau^
Organismus, der nicht aus der Vergangenheit ge^
schöpft werden kann. Die Vergangenheit kannte
keine Ausstellungen im heutigen Sinne. Für ein modernes
Bedürfnis soll die moderne Form gefunden werden. Wir
haben in Wien heute noch kein zweckmäßiges allgemeines
Ausstellungsgebäude, ein Mangel, der täglich empfindlicher
wird. Die Intensität der Produktion, der Wettbewerb der
Kräfte auf allen Gebieten macht häufige kleine Ausstellungen
notwendig. Man will nicht immer auf die kostspieligen
großen Weltausstellungen warten, die vielleicht ihre Rolle
ausgespielt haben, und es gilt vieles zu zeigen, das in dem
großen Rahmen verloren ginge und dennoch bedeutsam ist.
Die ringenden Kräfte, die Ansätze neuer Bildungen wollen
sich zeigen und ihr Publikum finden. Die Kulturarbeit für
die eigene Stadt, die nächste Umgebung soll geschehen, an der
ja alle mittun, und sie kann nur wirken, wenn sie sich zeigen
kann in rascher, häufiger Wiederkehr, Anregung gebend und
aus der Berührung mit der Welt Anregung nehmend.
Die große Menge fruchtbarer Kräfte und werdender Bildungen
hat in Wien keine Gelegenheit sich zu zeigen und zu ent^
falten, weil es an guter, einfacher und billiger Ausstellungs^
möglichkeit mangelt.
Allerdings gibt es eine Reihe von Ausstellungsgebäuden,
aber sie reichen nicht aus. Die Rotunde, eine sehr bedeutende
bauliche Leistung von der ersten Weltausstellung her, ist
wegen ihrer Größe für intimere Ausstellungen gar nicht ge^
eignet. Die Ausstellungsgebäude, die sich die Künstler--
Vereinigungen errichtet haben, erfüllen nur den Vereinszweck
und bilden nicht den neutralen Boden, den ein allgemeines
Ausstellungshaus abgeben müßte. Selbst wenn sie gegen
Miete zeitweilig zu haben sind, wie der Bau der Gartenbau^
gesellschaft, so stellt sich heraus, daß der Bauorganismus,
dem Palazzostil entlehnt, das Unzweckmäßigste ist, was für
ein Ausstellungsbedürfnis nur erdacht werden kann. Das
österreichische Museum für Kunst und Industrie hat zwar
jahrelang kunstgewerbliche Ausstellungen im Museums--
gebäude veranstaltet, leidet aber für die eigenen Sammlungen
an Raummangel und an dem erwähnten Fehler einer um
geeigneten Bauform, so daß es für ein modernes Ausstellungs^
wesen ungeeignet erscheint. Es war also nur Notbehelf. Ein
projektierter Zubau für Ausstellungswesen ist an dem Wider
stand der maßgebenden Faktoren gescheitert, die sich über
die künstlerischen, beziehungsweise sachlichen Forderungen
nicht einigen konnten. Ein Entwurf des Oberbaurates Otto
Wagner ist in dem Massengrab ministerieller Eingaben ver
schwunden und wird kaum wieder auferstehen können, weil
lokale Umgestaltungen die Baustelle hinter dem Museum
zur Ausführung des Planes inzwischen unmöglich gemacht
haben. Dort würde jetzt nur mehr Pfuschwerk entstehen
können. Darum muß man beizeiten darauf bedacht sein,
eine andere Lösung zu finden. Das Museum hat seit zwei
Jahren aufgehört, industrielle Ausstellungen zu veranstalten
und hat darin gut getan; den Möbelindustriellen und vielen
anderen Faktoren, denen sich naturgemäß ein Museum nicht
erschließen konnte, ist heute dadurch so gut wie jede Aus
stellungsmöglichkeit entzogen, zum Schaden für die Produktion
und zum Schaden für die Kultur, die im Ausstellungswesen ein
unentbehrlich gewordenes Erziehungsmittel, eine Art freier
Akademie, darin sich die Kräfte messen und steigern, erblickt.
Die Salons der Kunsthändler, ebenfalls nur einem Bruch
teil des Schaffens zugänglich, sind ungeachtet verdienstlichen
Wirkens, nicht hinreichend, eine erschöpfende Übersicht
auch nur der Kunsttätigkeit, die immerhin nur eine Provinz
im Reiche der menschlichen Kulturarbeit ist, zu bieten. Zwar
ist die moderne Geschäftsstraße, das Schaufenster auch eine
Ausstellung. Aber es bedarf keines Beweises dafür, wie be
schränkt und einseitig diese primitivste Ausstellungsart ist,
die zwar über den Inhalt eines Ladens und den Zeitgeschmack
des Publikums belehrt, keinesfalls aber über alle triebsamen
Kräfte, die der öffentlichen Teilnahme und der Förderung
seitens des Publikums bedürfen oder, was vielleicht das
Wichtigere ist, das Publikum belehren und gewissermaßen
zur fördernden Mitarbeit erziehen wollen.
Was weiß die Öffentlichkeit von dem Wirken dieser
schöpferischen Kräfte? Was weiß sie von der künstlerischen
Leistungsfähigkeit auf dem Gebiet der Wohnungsein
richtungen, die in den gelegentlichen Gewerbeausstellungen
nie klar zum Ausdruck gekommen ist? Was weiß sie von
der Kunst des Gartenbaues, von dem neuen Gedanken einer
Gartenarchitektur, die in den üblichen Pflanzenausstellungen
nie zu sehen war; was von den künstlerischen, hygienischen,
verkehrstechnischen Grundsätzen im Städtebau, was von
den modernen Baustoffen, was von den organischen Ideen
im Hausbau, von der Reform einer Kunst im Hause und
der weiblichen Handarbeiten, von den Techniken und der
Ästhetik gewerblicher und industrieller Erzeugnisse, von der
modernen Buchpflege, vom Stand des Illustrationswesens,
vom modernen Holzschnitt, von den zahllosen Fragen,
Problemen und Lösungen moderner Kulturarbeit, die im
Verborgenen fort und fort geschieht? Was weiß sie davon,
daß sich bei uns eine Edelmetallkunst, eine Goldschmiede
kunst entwickelt hat, die hoch über dem Niveau der Durch
schnittsware im Schauladen steht, daß im Textilwesen, soweit
es moderne Stoffmusterungen angeht, Wien künstlerisch
den Vorrang einnimmt und Paris überflügelt hat? Was
weiß sie überhaupt von den Kräften, die diesen Fortschritt
herbeigeführt haben?
Im Interesse der Kultur ist es notwendig, daß das Leben einer
Stadt fortwährend sich selbst beobachtet und jeden bildsamen
Trieb für die eigene Entwicklung fruchtbar macht.
Was zu diesem Zwecke not tut, ist DIE ZENTRALISATION
DES AUSSTELLUNGSWESENS innerhalb der Stadt.
Ein großes, allgemeines Ausstellungshaus, darin jede Aus
stellungsabsicht verwirklicht werden kann und gegen eine
gewisse Miete beliebige große oder kleine Ausstellungen ver
anstaltet werden können, ist ein unentbehrlicher Organismus
des modernen städtischen Lebens geworden, der geschaffen
werden muß. Ein solcher Bau, der aus einem Bedürfnisse
des modernen Lebens abgeleitet ist, muß daher einen modernen
Baugedanken verkörpern. Es handelt sich also nicht mehr
um ein Gebilde im italienischen Palazzostil mit Freitreppe,
Arkadenhof, einem Wald von Säulen, korkstöpselartigen
Karyatiden und der sonstigen üblichen Raumverschwendung
für eine inhaltslose Feierlichkeit, sondern um Räume ohne
falsches Pathos, die zu uns modernen, eleganten Menschen
passen, also um ein GEBÄUDE, DAS SEINE BESTIMMUNG
AUSDRUCKT. Helligkeit und Geräumigkeit, viel Licht und
viel Wand ist das Wesentliche, nicht das Bauwerk ist die
Hauptsache, sondern das Auszustellende; dieses hervorzu-
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