Nr. 2
Internationale Sammler-Zeitung
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füluurg dieser Kunst in den Vereinigten Staaten erwarb. Als
Lincoln ihm die Erlaubnis, den Krieg mit seiner Kamera zu
begleiten, erteilt hatte, schloß er sich dem Generalstab der
Nordtruppen an und war bald eine weitbekannte Persönlichkeit
in einem Heer, dessen Truppen zum größten Teil noch niemals
einen Photographen gesehen hatten. Durch die Erleichterungen,
die ihm gewährt wurden, war es ihm möglich, sich überall
hinzubegeben, wohin er wollte, und so konnte er während
der Schlacht feuernde Batterien und vorstürmende Reiter-
masseri und hinter der Schlachtlinie entsandte Parlamentäre
und vorschleichende Patrouillen aufnehmen. Diese Bilder
kosteten ihn weit über 100.000 Dollar, von denen ihm der
Kongreß nach dem Kriege nur ein Viertel ersetzte. Alle Be
mühungen, eine höhere Entschädigung zu erhalten, bliebeu
erfolglos, und als ruinierter Mann führte Brady ein kümmer
liches Dasein weiter.
Sein Werk gehört zu den wichtigsten Gesehichtsquelien
des Krieges, während er selbst in den neunziger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts im New-Yorker Armenhause
starb.
Bei den Teppichwebern in Pirot.
Der Kriegsberichterstatter der „Frankfurter
Zeitung“ Dr. Adolf Köster schildert in einem aus
Leskovac, 18. v. M„ datierten Briefe, einen Besuch
bei den Teppichwebern von Pirot, dem wir folgendes
entnehmen:
Berühmt —- weit über seine Stadt- und Landes
grenzen hinaus —■ ist Pirot durch die Produkte seiner
fleißigen Teppichweberinnen. Und auch diese Arbeit
—- da sie zum allergrößten Teile von Frauen und
Kindern verrichtet wird —- ist durch den Krieg nicht
ganz unterbrochen worden. Zwischen den ein quar
tierten bulgarischen und deutschen Soldaten sitzen
oder knien die Mädchen in den Stuben vor dem ein
fachen Holzrahmen, an denen sie die bunten, meist
roten und weißen, so charakteristisch gemusterten
Pirotcr Wollteppiche knüpfen. Fast immer wird die
Arbeit von Gesang begleitet — nicht aus übersprudeln
der Freude, auch die bleichen, hohlwangigen Kinder
singen —• zum Einhalten des Takteg bei der Arbeit.
Denn an einzelnen Teppichen weben drei, vier Per
sonen zu gleicher Zeit. Sie sitzen, falls der Teppich
etwa 4 m breit wird, in Abständen von etwa 70 cm
nebeneinander.
Die Piroter Teppichweberei (Tschilimarstvo) ist
Jahrhunderte alt. Einst war sie reiner „Hausfleiß“.
Heute findet man die verschiedensten wirtschafts
geschichtlichen Stadien neben- und durcheinander.
Meist werden die Teppiche als regelrechte Heimarbeit
angefertigt. Dabei gehört der Rahmen immer dem
Arbeiter, aber die Wolle wird teils vom Verleger ge
liefert, teils selbst beigesteuert. Reichen bei größeren
Stücken die Arbeitskräfte einer einzelnen Familie
nicht aus, so schließen sich mehrere zusammen. Solcher
art „geliehene“ Arbeitstage werden entweder bezahlt
(mit 110 bis 80 Para pro Tag = 50 bis 65 Pf.) oder auf
Borg gegeben. Die' Lage dieser Teppichweberinnen ist
drückend. Sie arbeiten 10 bis 18 Stunden pro Tag und
kommen über den angegebenen Durchschnittslohn nur
hinaus, wo es ihnen einmal gelingt, aus eigenen Pro
duktionsmitteln einen Teppich unabhängig vom Ver
leger direkt an den Käufer zu bringen. Aber auch
dann ist der Durchschnittspreis für Teppiche so niedrig,
daß wenig Reinverdienst herauskomnit. Diese drückende
Lage hat zur Errichtung der „Genossenschaft der
Piroter Teppichweber“ geführt. Ihr Zweck ist
nach dem Vorbild der serbischen Agrargenossenschaften,
der Einkauf billigen Rohmaterials und die Regelung
des Absatzes der Produkte. Leider hat sie bei de’-
Verstreutheit der einzelnen Arbeitsstätten durch den
ganzen Piroter Kreis, bei dem Mißtrauen der bäuer
lichen Bevölkerung, die lieber dem umherziehenden
Kutzowalachen als der Piroter. Zentrale die Wolle
abkauft, bisher wenig Fortschritte gemacht. Doch
unterhält sie in der Stadt ein gutes Verkaufslager, das
auch jetzt im Kriege manch gutes Geschäft gemacht hat.
Vor einigen Jahren stellte die Einführung der
Anilinfarben die Qualität, den Ruf und die Existenz
dieser Industrie aufs Spiel. Durch staatliche Ver
wendungsverbote dieser Farben wurde die Gefahr aber
bald beseitigt. Gerade die unvergängliche Dauer der
Piroter Teppichfarben .begründete ja den Weltruf von
Pirots Produkten —• neben den alten originellen
Mustern. Dafür, daß diese alten Muster erhalten und
nicht durch moderne verkitscht werden, hat übrigens
auch die Genossenschaft gute Arbeit geleistet.
Die Piroter Teppiche, die auf den Weltausstellungen
in Paris und Turin, auf der Balkanausstellung in London
großes Aufsehen und erste Preise erzielten, werden bis
heute im Auslande sehr wenig gekauft. Das liegt an
den gänzlich ungeordneten Absatzverhältnissen in
Serbien selbst, an denen auch die Genossenschaft mit
ihrem schwachen Kapital bisher wenig hat ändern
können. Solange dem Elend der serbischen Haus
industrie nicht mit radikaleren Maßnahmen entgegen
getreten wird, als das bisherige „radikale“ Belgrader
Regiment es für nötig hielt, solange wird diese wunder
bare Industrie weiter ein krüppelhaftes Dasein führen.
Denn an dem Elend der Piroter Teppichweber wird
nur das Elend der gesamten serbischen bäuerlichen
Heimarbeiter klar — seien sie nun Pflaumenschnaps
oder Pflaumenmushersteller, Seiler oder Holzarbeiter,
Flechter oder Käsebereiter. Ausnahmslos fast stecken
sie in den Krallen irgend eines Dorfgewaltigen —
meistens des Schankwirtes, der ihre schlechten ökono
mischen Bargeldverhältnisse (meistens gegen Winters
ende) rücksichtslos durch Vorschüsse gegen Wucher
zinsen oder spottbillige Heimarbeit ausnützt.
Mitten durch den Piroter Kreis und seine haus
industriellen Dörfer läuft heute die Weltbahn Deutsch
lands zum Orient. Ob dieses Land nun serbisch bleibt
oder bulgarisch wird — möge der neue Strom wirt
schaftlichen und politischen Lebens, der nach dem
Kriege durch dies Balkanland geht, auch den fleißigen
Weberinnen von Pirot neue Hilfen und Kräfte bringen.