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Nr, 1 Internationale S;
dien Büchern man bei seiner Wahl den Vorzug geben
soll. Ich weiß, daß ich da eigenwillig bin, einseitig, auf
einen besonderen Ton gestimmt und daß mein Geschmack
nicht von Jedermann geteilt werden muß. Ich bin aber
an den meisten literarischen Sensationen der letzten
Jahre vorbeigegangen, habe nicht viel an Liebhaberei
für das Phantastische, die gewürzte Kost, übrig. Mein
Fall sind die stillen Bücher, die zarten Schönheiten. Ich
bin ein Mann von gestern, nicht konservativ, aber apart.
Und das ist nicht jedermanns Richtung. So wende ich
mich mit diesen flüchtigen Anmerkungen nur an Leute
von der gleichen Gefühlsresonanz. Ich kenne nur den
allerkleinsten Teil von dem, was im literarischen Europa
produziert wird; ich bin ein langsamer und sehr ge
nießerischer Leser.
Es ist für den Literaturfreund tatsächlich jetzt sehr
schwer, sich in der Literatur zurecht zu finden. Die
Jugend ist zu allem bereit, was der Tag bringt und hat
für das Neue die stärkste Assimilationsfähigkeit. Der
ältere Leser jedoch ist an seine frühesten Eindrücke
fixiert. Sein erstes Kunsterlebnis bedeutet ihm das gol
dene Zeitalter. Wir haben jetzt eine expressionistische
Dichtung, eine vorwiegend intellektuelle Kunst, die noch
im Stadium des Experiments steht und uns vollständig
befremdet. Und wir haben eine andere, die in der Tra
dition erstarrte und wie eine ewige Wiederkehr des
Gleichen ist, Dazwischen da und dort ein Werk, das
wie yon ewiger, junger Schönheit umflossen zu sein
scheint. Das eine und andere von diesen w r arf der Zu
fall auf meinen Lesetisch.
ln diesem der Kunst gewidmeten Blatte soll zu
nächst auf ein Werk hingewiesen werden, das die
Seele des Ostens wie kein einziges erschließt und damit
die Wurzeln seines künstlerischen Schaffens bloßlegt.
Es ist das Werk Kakuzo Okakuras über die „Ideale
des Ostens“ (Insel-Verlag, Leipzig). Seit den Brüdern
Goncourt war für uns Japan die erste und letzte Heimat
der- ostasiatischen Kunstäußerung. Okakura zeigt uns die
Wechselwirkungen und Verschlingungen zwischen Indien
und China und das letzte, schon dekadente Auskiingen
dieser Kunst im Japanischen. Diese Blätter, von Zart
heit des Ausdruckes und sublimierter Geistigkeit erfüllt,
vermitteln uns die leisesten Schwingungen -und alle
Tiefen der östlichen Gefühlsart und Weltanschauung.
Dieses Buch ist wie ein einziges Liebeswerben für eine
Kunst, der wür bisher nur ein Interesse, aber kein letztes
Verständnis entgegenbringen konnten.
Dieser schweigsamen Beseeltheit ein wenig ähnlich
ist oft die Dichtung Skandinaviens. Und es ist deshalb
mmler-Zeitung
kein allzu krasser Uebergang, wenn ich jetzt von Knut
H a m s u n spreche, dem Dichter der nordischen Ein
samkeit und der einsamen Menschen, dessen Werke
jetzt in einer neuen Gesamtausgabe zu erscheinen be
ginnen, von dem aber nicht ein Alterswerk wie die in
epischer Breite sich aufbauenden, im Ton ruhigem
„Frauen am Brunnen“, sondern ein neu übersetztes,
aus der Zeit seiner Lebenswende einen starken Ein
druck auf mich ausübte. Es ist sein Roman „Unter
Herbststernen“ (München, Kurt Wolff) in dem er Ab
schied von seiner heißem Jugend nimmt. Es ist ein
Buch der Schwermut, der Einsamkeit unter Menschen
und der Resignation. Wie von gedämpfter Musik ist' *
es durchklungen, aber es ist auch das Lächeln von
Frauen darin, die Hamsun mit feinstem Sinn für die
Verschiedenartigkeit und das Irrationale der weiblichen
Seele schildert. Und es ist Aufschwung darin, das ge
heimnisvolle Weben der Natur, wenn auch die Vollak
korde von „Pan“ dem Alternden sich dämpften.
Feinschmecker möchte ich auf die deutsche Ausgabe
der Blaubartgeschichten von Anatole France und
ganz besonders auf seine entzückende, selbstbiogra
phische Erzählung aus der Knabenzeit „der kleine
Peter“ hinweisen. Es ist darin der ganze Charme
und gallische Esprit dieses feinsten und kultiviertesten
unter Frankreichs lebenden Dichtem.
Unter südlichem Klima spielen sich Stefan Zweigs
Novellen „Amokläufer“ ab. Dem entspricht auch die-
Natur .seiner Menschen, ihre glühenden Seelen, die bis
zur Vernichtung sich ihrer Liebesleidenschaft hingeben.
Die Stimmung und Schönheit der ropischen Landschaft
wird mit feinster Einfühlungsfähigkeit wiedergegeben.
Meisterhaft, wie die Darstellungist t die psychologische
Analyse all der tragischen oder grotesken Gestalten,
die der Dichter uns nahezubringen versteht. Und von
einem stillern Buche als dieses will ich sprechen, das
wie die Erzählung Hamsuns mit seinen Molltönen wie
„gedämpftes Saitenspiel“ klingt: von Wilhelm Speyers
„Schwermut der (ahreszeiten“. Ein Alternder erzählt
hier von den Liebeserlebnissen seiner unter Herzens
wirrnissen dahingegangenen Jugend. Noch einmal wird
mitten in der herbstlichen Resignation Glück und Rausch
des nun Verlorenen heraufbeschworen. Frauen ziehen
an uns vorbei, wie die in Schönheit lächelnden Land
schaften. Jemand erzählt all dieses mit stillem Tonfall
und tiefer Einsicht. Es ist kultivierteste Kunst für Fein
schmecker. Und es ist ein Buch, in dem eine bewegte
Seele vibriert. Eines, das man nicht vergißt.
'Wien afs 3lutograpFienmardt.
Wien, das für sich den Ruhm in Anspruch nehmen
kann, die ersten Autographenauktionen in Mitteleuropa
veranstaltet zu haben, — vorher fanden solche Verstei
gerungen nur in Paris und London statt, — war von
jeher ein guter Markt für Handschriften illustrer Per
sönlichkeiten. Dem Umstande trugen denn auch zahl
reiche Antiquare Rechnung, die bis zum Weltkriege
häufig Autographensammlungen zur Versteigerung brach
ten. im Kriege leg, wie so vieles Andere, auch dieser
Kunstzweig völlig brach und man betrachtete es als
Wagnis, als 1918 Dr. Ign. Schwarz zum erstenmale
wieder mit einer A; "Ggraphenauktion hervortrat. Das
Experiment hatte besten Erfolg und war die Veranlas
sung, daß das Dorotheum seine Tätigkeit auch auf
dieses Gebiet erstreckte. Autographenauktionen sind
seitdem keine Zufallserscheinungen mehr, sondern kehren
in gewissen Intervallen periodisch wieder. Vom 13. bis
15. Dezember fand bereits die dritte statt, die eine
große Auswahl an interessanten Autographen von Mu
sikern, Dichtern, Gelehrten, bildenden Künstlern, Schau
spielern und historischen Persönlichkeiten bot.
Im Brennpunkte der Auktion stand ein Fragment
von Schuberts Lied „Der Tod und das Mädchen“,,
dessen Geschichte in diesen Blättern schon erzählt
wurde. (Siehe die Nr. 5 vom 1. März 1922). Der Sach
verhalt ist in Kürze folgender: Vor Jahren wirkte am
Schottengymnasium ein Stiefbruder Schuberts, P. Her
mann Schubert, der das vollständige Manuskript des
berühmten Liedes besaß. Um besonders brave Schüler
zu belohnen, schnitt er alljährlich einen Streifen von
dem Manuskripte ab und zeichnete den Würdigen da
mit aus. Wie viele solcher Streifen er erzeugte, weiß
man nicht, aber man vermutet, daß es ihrer mindestens
acht waren. Im Laufe der Jahre fanden fünf dieser Frag
mente den Weg in das Museum der Gesellschaft der
Muskifreunde in Wien, die nun den begreiflichen Wunsch