Form und Farbe. Ihre „Musikbilder" sind, wenn ich nicht irre, die ersten
absolut aufrichtigen Versuche, die Gefühlseindrücke der Musik in Form und
Farbe auszudrücken. Fantin-Latour, Klinger und andere Künstler haben
Musikmotive illustriert; aber keiner von ihnen hat wie Miss Pamela Colman
Smith unter dem direkten Einüuß der Musik gearbeitet, ohne genaues Be-
wußtsein dessen, was die Hand schafft. Es ist selbstverständlich, daß der-
artige Impressionen ebenso unbestimmt und unklar sein müssen wie die
Musik selbst, die nicht bestimmte Ideen ausdrücken, wohl aber anregen
kann. Die Bilder der Miss Smith sind keineswegs vollkommen, denn ihre
Linienführung ist häufig plump und ungeschickt. Aber derartige Zeichnungen
kann man nicht an herkömmlichen Maßstäben messen, denn sie befassen
sich nicht mit gewöhnlichen Tatsachen, sondern mit den rein musikalischen
Elementen des Rhythmus und der wohlgeordneten Bewegung. Der Zug, der
durch alle diese „Musikbilder" geht, ist das Gefühl der Einheit der toten
Natur mit dem organischen Leben: Felsen und Bäume und Wellen nehmen
menschliche Gestalt an und steigen und fallen und schwingen sich in wiegen-
der Bewegung oder rauschen durch den Raum, als wären sie von der Wut
der Elemente getrieben. Es ist dies der spontane Ausdruck der in Linie und
Form und Farbe umgesetzten Musik.
AUS DEM WIENER KUNSTLEBEN S0 VON
LUDWIG HEVESI-WIEN 51b
AQUARELLISTENKLUB. Die 22. Ausstellung dieses Klubs im Künstlerhaus
vereinigte 280 Nummern, unter denen die Graphik stark hervortrat. Vor allem erwies
man unserem Meister des wiedererweckten Kupferstichs, Johann Sonnenleiter (geb. Nürn-
berg 1825, gest. r9o7 als Ehrenmitglied der Akademie), die Totenehren. Ein jugendliches
Selbstbildnis in schlichtestem Bleistift und eine sprechende Kohlenzeichnung Michaleks
erinnerten an seine Erscheinung. Sein ernstes, stattliches Werk hing an den Wänden. Wir
haben uns noch damals mitgefreut, als sein großes Venusfest erschien; das war eine Tat
jener Zeit. Seine Stiche nach Van Dyck, Kupelwieser, Führich, Kriehuber, Defregger, Lauf-
berger machten neue Schule. Seine Porträtstiche bleiben werte Denkmäler: nach Angeli
der Kaiser, Erzherzogin Maria Theresia, die Erbprinzessin von Meiningen; ein Charakter-
blatt der Primas Simor. Der gediegene Mann und Künstler wird immer wieder aufleben,
so oft einer den Blick auf diese Blätter wirft. Die ansehnlichste Erscheinung des Klubs
war diesmal Ludwig Michalek, der, wie schon einst bei Artaria, sein radiertes Werk um-
fassend zur Schau stellte. Er nimmt heute neben Schmutzer eine ansehnliche Stellung ein,
als Landschafter wie im Porträt. Das große, schon sachlich so kuriose Blatt der noch ein-
gerüsteten Isonzobrücke bei Salcano (man sah hier auch die farbige Naturstudie dazu) ist
gewiß ein radiertes Hauptstück unserer Zeitläufte. Wenn Brangwyn oder gelegentlich
Renouard solche Dinge radieren oder lithographieren, werden sie weitaus malerischer;
bei Michalek waltet eine eigentümlich saubere Sachlichkeit und federzeichnerische Ge-
nauigkeit vor. Es ist „Abbildui-ig" in seinen Bildern. Das zeigt sich auch in den Studien,
die er über die neuen österreichischen Alpenbahnen gemacht hat. Die so gewissenhaft
durchdetaillierteBohrmaschinezumBeispielkönntealslllustrationfüreinHandbuchderBohr-
technik dienen. So nimmt der Künstler seinen Stoff in Fleisch und Blut auf, um dann desto
freier schaffen zu können. Eine Menge Studien, farbig und schwarz, dienen der von Baurat