ganze, farbiger Wirkung abholde Richtung der Zeit standen den Gegnern zur
Seite. Aber Semper war gewappnet und liess sich nicht einschüchtern. Er
stellte seinen Mann als Archäolog, und hielt den ästhetischen Einwendungen
die nicht hinwegzuleugnenden Farbenreste entgegen. Der Streit hat sich
durch Jahrzehnte hingezogen, und wie man auch über die Frage denken
möge, ist doch das eine sicher, dass seit Sempers Auftreten und durch
dasselbe die Anschauungen über die Verwendung der Farbe in der Archi'
tektur einen völligen Umschwung erfahren haben.
Was er sonst auf seinen Reisen gelernt hatte, sollte sich bald zeigen,
als er (in demselben Jahre) zum Director der Dresdener Bauakademie
ernannt worden war. Bis dahin hatte sich seine praktische Bauthätigkeit
auf seine Beschäftigung am Bremer Hafen und einen kleinen Bau in Ham-
burg beschränkt. Um so mannigfaltigere Proben sollte] er nun ablegen,
und wenn er sie alle glänzend bestand, so bleibt doch sein Theaterbau
die bedeutungsvollste Leistung" dieser Periode.
Aus seiner Puhlication über das Dresdener Theater ist bekannt, dass
dasselbe nur ein Glied einer grossartigen Gesammtanlage sein sollte.
Damals wie später fasste er nicht das einzelne Gebäude ins Auge, sondern
dachte es sich als Theil eines grösseren Architekturbildes. Darin, dass er
sich niemals an das Einzelne verlor, stets mit weitem Blicke ein jedes
Ding in seinen mannigfaltigen Beziehungen und Berührungen übersah.
haben wir überhaupt einen Zug seines Wesens zu erkennen und wir
werden daran bei unserem eigentlichen Thema erinnert werden; als aus-
übender Künstler verwerthete er in dieser Richtung seine Studien an den
architektonischen Compositionen der Römer und der grossen Renaissance-
künstler. Allein damals wie nachher noch öfter, blieb es ihm versagt,
seine künstlerischen Gedanken in der Totalität zu verkörpern, - ein
Geschick, welches an Michel Angelo erinnert. Haben wir es zu beklagen,
dass sein genialer Plan mit Einbeziehung des Zwingers und der katholischen
Kirche nicht zur Ausführung gekommen ist, so wurde doch schon jenes
eine Gebäude, das Theater, zu einem künstlerischen Ereigniss ersten
Ranges für die damalige Zeit, und nicht blos für Dresden, wo die Archi-
tektur ein Jahrhundert lang geschlumrnert hatte. Wie mit seiner Schrift
über die Polychrornie brachte sich Semper auch mit diesem Bauwerke in
entschiedenen Gegensatz gegen die herrschende Richtung, welche officiell
nur die Antike und für den Kirchenbau die mittelalterlichen Stile an-
erkannte. Er wagte es, die reine, volle Sprache der Renaissance zu reden,
welcher man in München nur einzelne Wendungen entlehnt hatte, und
er that es so imponirend, dass die Gegner verblüfft wurden, und man im
grossen Publicum anfing zu erörtern, ob denn Renaissance und Roccoco
und Zopf nicht wie man sich gewöhnt hatte anzunehmen, gleichbedeutend
seien und ohne Unterschied der Verdammniss zu überantworten. Und
nicht allein die Harmonie in der ganzen Erscheinung ,und die Schönheit
aller einzelnen Theile waren es, was allgemein zur Bewunderung hinriss.
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