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meist purpurfarbenen Einschlag als musterbildend hinweglaufen, gleich-
zeitig mit diesem gewebt sein müssen, indem sie nur von Kettfaden zu
Kettfaden gespannt und um letzteren geschlungen sind, weshalb sie auch
in der Regel auf der Rückseite des Gewebes nicht sichtbar hervortreten.
Die Stickerei spielt überhaupt an diesen Repräsentanten altchristlich-
ägyptischer Textilkunst eine äußerst geringe Rolle.
Wenn es nun durch Zusammenhalten der Funde aus der Krim und
aus Aegypten einleuchtend erscheint, dass die ausgebreitete Uebung der
Gobelinweberei unabhängig von Land und Styl für einen Zeitraum
erwiesen angenommen werden darf, der mehrere Jahrhunderte vor und
nach Christi Geburt umfasst, so haben neuerliche Funde, deren (geschenk-
weise) Erwerbung das Oesterr. Museum dem glücklichen Entdecker der
ersteren Collection, Herrn Theodor Graf, verdankt, den Beweis erbracht,
dass die hervorragende Stellung der in Rede stehenden Kunsttechnik
auch in der Zeit des ausgebildeten byzantinischen Styles eine unver-
änderte geblieben ist.
Technisch schließen sich diese neuen Findlinge enge an die früher
entdeckten an. Von der Textur der Leinengewebe gilt dasselbe, was schon
Wilkinson auf Grund von Thompson's Untersuchungen an altägyptiscben
Linnengeweben mitgetheilt hatte, nämlich das bedeutende numerische
Ueberwiegen der Kettfäden gegenüber jenen des Einschlages. Die Ver-
hältnisszahlen stellen sich bei unseren Stücken etwa auf 9 : 5, bei den
von Thompson untersuchten ungefähr 9 : 4. Die gefütterten StoEe mit
flottliegenden Noppen, die wir aus den früheren Funden kennen, sind
auch neuerdings zahlreich vertreten, ebenso die purpurfarbenen Borten,
plane eingewebt oder applicirt. Selbst unter den Ornamenten linden wir
einige bekannte, die der Gobelintechnik besonders entsprechen, so
namentlich die Gamma-, Tau- oder My-Säume. Aber schon in Bezug
auf die Farbe begegnen wir merklichen Abweichungen: wenn man von
den Purpurgeweben absieht, ist das Aussehen im Allgemeinen ein bun-
teres, Grün und Gelb weisen zweierlei Töne auf, und die früher in Purpur
gewebten, spärlichen, figuralen Darstellungen werden nunmehr zahlreich
und buntfarbig. -
Am deutlichsten äußert sich aber die zeitliche Verschiedenheit der
beiden Fundgruppen in der ornamentalen Ausstattung. Das vegetabilische
Element, das in den Purpurborten der früheren Zeit noch das vorherr-
schende war, hat inzwischen jener geometrischen Musterung in eckigen
oder runden Bandverschlingungen Platz gemacht, der wir an den alt-
christlichen Mosaikfußböden begegnen. Für die Datirung besonders wichtig
sind die langgestreckten stylisirten Heiligenliguren mit Nimben: starre
byzantinische Gebilde, in bunten Farben plump gewebt. Dass aber die
Gobelinweberei jener Tage auch im Figürlichen das Höchste leisten
konnte, zeigen einige quadratische, in Purpur gewebte Tableaux, die je
zwei oder vier auf große leinene Todtentücher aufgenäht waren. Jedes