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Auch da muss gleich Eingangs eine Erweiterung des Programmes
der Pariser Ausstellung gegenüber demjenigen der Wiener von 1886 zur
Sprache gebracht werden. Bei uns hatte man den lehrhaften und wenn
man will, praktisch-schulmäßigen Gedanken in den Vordergrund gestellt.
Man wollte sehen, inwieferne die weibliche Handarbeit mit der allgemeinen
Geschmacksreform Schritt gehalten hatte, um danach eventuell seine
Maßnahmen zu treifen und an zurückgebliebenen Punkten bessernd ein-
zugreifen. Dazu bedurfte es keiner Schaustellung älterer Arbeiten aus
früheren Jahrhunderten; man hätte damit das Programm um ein sehr
Beträchtliches erweitert, ohne den besonderen Zweck wesentlich zu
fördern. Nur eine einzige Ausnahme wurde zugelassen und diese Aus-
nahme bestätigte sozusagen die Regel: zwei Säle wurden den Stickereien
und Spitzen der sogenannten nationalen Hausindustrie eingeräumt. Wir
wissen doch, welche eigenthümliche historische Stellung diese Arbeiten
einnehmen: sie sind zugleich uralt und ewig neu. Durch Jahrhunderte
hindurch fast unbeirrt durch die Stilwandlungen der internationalen
Kunstentwicklung ragen sie in unsere Zeit herein als rudimentäre Ueber-
bleibsel-längst verilossener künstlerischer und wirthschaftlicher Perioden
und verrathen doch andererseits allenthalben eine Frische und Jugend-
lichkeit, die ihnen selbst heute, wo wir hinsichtlich der künftigen Kunststil-
Entwicklung völlig vor einem Fragezeichen stehen, eine sichere Zukunft
zu verheißen scheint.
Dem gegenüber war im Programm der Pariser Ausstellung für eine
Abtheilung älterer Kunstarbeiten, eine Section retrospective, ein breiter
Raum vorgesehen. Nicht blos nationale Stickereien, sondern auch solche,
die aus der großen internationalen Kunst ihren Inhalt geholt hatten,
waren zur Aufnahme zugelassen. Eine besondere Unterabtheilung inner-
halb dieser Section bildeten jene Objecte, die dazu bestimmt waren, die
Geschichte des weiblichen Costüms zu illustriren. Eine systematische Be-
richterstattung über den Inhalt der in Rede stehenden Ausstellung wird
sich somit naturgemäß erstens in eine Betrachtung der Seclion retro-
spective, zweitens in diejenige der Kunstarbeiten der heutigen franzö-
sischen Damenwelt gliedern lassen, an welcb' letztere sich eine vergleichs-
weise Erörterung der wenigen vertreten gewesenen ausländischen Arbeiten
anreihen wird.
Von der Section retrospective lässt sich vorn Standpunkte desjenigen
Besuchers, der etwa mit der Absicht sich zu unterrichten gekommen war,
im Allgemeinen vorausschicken, dass die Aufstellung eines rechten Systems
entbehrte. Freilich hängt dies schon einmal mit der Art und Weise zu-
sammen, in welcher das Arrangement dieser ganzen Abtheilung zu Stande
gekommen war. Die Pariser Sammler, welche die Gegenstände collections-
weise beisteuerten, mussten auch für die Aufstellung ihrer Collectionen
selbst sorgen. Hieraus ergab sich schon die unausweichliche Folge, dass
die Gegenstände im Allgemeinen nicht nach sachlichen Gruppen, und