jaroslav Peäina
BÖHMISCHE MALEREI AM
ANFANG DES 16. JAHRHUN-
DERTS UND DONAUSCHULE
Der Einfluß der Donauschule gehört zu
den bedeutendsten Erscheinungen in der
Kunst Böhrnens in der 1. Hälfte des
16. Jahrhunderts. Er verläuft parallel und
mit gleicher Intensität in der Bildhauerei,
in der Malerei und in beschränkter Weise
auch in der Architektur sowohl in den
historischen Ländern wie auch in der
Slowakei. Zum Unterschied jedoch von
der Skulptur hat dieser Einfluß einige
abweichende charakteristische Züge. Vor
allem tritt er, wie es scheint, früh auf und
schließt auch früher ab. Zwei Perioden
sind in ihm weiter zu unterscheiden, in
welchen sich auch die eigentliche Ent-
wicklung der Donauschule klar wider-
spiegelt: die frühe, unmittelbar nach 1500,
und die spätere, das ist die des 2. und 3. jahr-
Zehntes. Dieser Einfluß hat auch einen
größeren territorialen Umfang.
Wenn wir zunächst Mähren dahingestellt
sein lassen, wo er weniger zutage tritt,
und die Slowakei, wo er eine außerordent-
liche Breite erlangte, macht er sich, wieder
unterschiedlich von der Skulptur, die fast
ausschließlich auf das südböhmische Ge-
biet beschränkt ist, in Mittel- und Nord-
westböhmen bemerkbar. In Südböhmen
kommt er dagegen ziemlich vereinzelt vor,
was um so mehr überrascht, als sonst
gerade dieses Gebiet eine traditionelle
starke Beziehung zum Donaubecken auf-
weist. Und schließlich, dank der natür-
lichen Differenzierung der Malerei, ist der
donauländische Einschlag in Böhmen rei-
cher abgestuft und besitzt auch eine größere
Mannigfaltigkeit der Formen und der
Ausdrucksmittel: Am auffallendsten äußert
er sich in der Tafelmalerei, er fehlt jedoch
auch nicht in der Wand- und Buchmalerei.
Überraschend ist das frühe Einsetzen der
donauländischen Einilüsse, welche nach
1500 in unsere Länder plötzlich eindringen,
der böhmischen Malerei für längere Zeit
die Richtung geben und ihr Ziel bestimmen
und ihr einen ausgeprägten, stilistisch ein-
heitlichen Charakter verleihen. Entgegen
der bisherigen vorwiegend westlichen Orien-
tierung der böhmischen spätgotischen
Malerei liegt jetzt das Schwergewicht auf
einmal im Süden, woher die Anregungen
bis zur Wende vom 15. zum 16. jahr-
hundert nur sporadisch eingedrungen wa-
ren. Und es war wichtig, daß gleich am
Beginn ein Maler zum Repräsentanten der
Donauschule in Böhmen wird, der mit
vollem Recht als die größte künstlerische
Persönlichkeit, die in der böhmischen
Malerei zu dieser Zeit auftrat, angesehen
werden muß: der Meiner de: lßitmeriirger
Allarr. Sein Werk erscheint zwar heute
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als Ergebnis der Wirkung einer ganzen
Reihe verschiedener stilistischen Kompo-
nenten: der bodenständigen böhmischen
Tradition sowie der Kunst Schwabens, der
Alpenländer und wahrscheinlich auch Nord-
italiens. Aber ausschlaggebend war für ihn
doch die Donauschule. Allein oder vor
allem dieser engen Berührung, zu der es
knapp nach 1500 kommen mußte, also im
Zeitpunkt der eigentlichen Geburt der
Donauschule, verdankte er seinen Bild-
aufbau, die Prinzipien der Komposition,
die Raumanschauung, die Auffassung der
Landschaft, die Behandlung der mensch-
liehen Figur. Dort, bei dem jungen jörg
Breu und Lucas Cranach, diesen Gründern
der Donauschule, in ihrer Sturm- und
Drangperiode, lernte er das eingehende
Studium der Realität kennen, besonders des
menschlichen Körpers, die Hineinsetzung
der Figur in das Bildganze, den Stil der
barock Hatternden Gewänder, die tonig
gebundene Malweise, die intensive, glü-
hende Farbigkeit und den weichen, äußerst
empfindlichen malerischen Vortrag. Das
alles waren jedoch bloß Anregungen, die
der Meister des Leitmeritzer Altars, zu-
sammen mit noch anderen, wirklich schöpfe-
risch verarbeitete und in sein Bildsystem
einfügte sowie seinem malerischen Sehen
anzupassen wußte. Auf diese Weise ge-
langte er zu einer großartigen Synthese,
die der Selbständigkeit und Originalität
nicht entbehrt (Abb. 1).
Durch sein Werk, das in keiner Weise an
seinen großen böhmischen Zeitgenossen
erinnert, den Meister der Beweinung von
Zebrak, welcher eine ähnliche Stelle in
unserer Skulptur einnimmt, steht der
Leitmeritzer Meister den größten Künst-
lerpersönlichkeiten des Donaustils nicht
viel nach. Und in der Tat, er bekennt sich
zur Donauschule als ebenbürtiger Künstler,
nicht nur als bloßer Eklektiker oder
Nachahmer. ja, er gehört zu deren Mit-
schöpfern und ist als einer ihrer eigent-
lichen Gründer anzusehen. Trennen sich
bald nach 1500 Breu und Cranach von der
Donauschule, wobei der eine nach Augs-
burg, der andere nach Wittenberg geht,
so verläßt auch der Leitmeritzer Meister
fast gleichzeitig dieses Gebiet, diese Wiege
der neuen Kunstanschauung, und kehrt
nach Böhmen zurück, um die Errungen-
schaften des Donaustils auf böhmischen
Boden zu verpflanzen.
Es war sein Verdienst, daß er, der wirk-
liche Bahnbrecher der neuen Richtung in
der böhmischen Malerei, den Weg in das
Donauland gezeigt hatte. Im ersten jahr-
zehnt des 16. Jahrhunderts blieb er ver-
einzelt und hat keine Nachfolger gehabt.
Erst nach 1510 nehmen die Einilüsse zu,
um dann im jähen Aufstieg um die Mitte
des zweiten Jahrzehnts den Gipfelpunkt
zu erreichen. Gleichzeitig gewinnt ihr
Strom an Breite, gabeln und differenzieren
sich die Einflüsse. Der Erfolg des Donau-
stils in unseren Ländern war begreiflich.
Mit seinen Grundeigenschaften, besonders
mit seinem frischen Realismus, seinem
neuen Verhältnis zum Menschen und zur
Natur, mit seinem malerischen Empfinden
und nicht zuletzt mit seiner fortschritt-
lichen Auffassung der Landschaft, beant-
wortete er Fragen, welche nach 1510 auch
in Böhmen von brennender Aktualität
waren. Neben der Kunst der vorangegan-
genen Generation, die ihre Anziehungskraft
auch jetzt nicht völlig verlor, war es
Albrecht Altdorfer, der bedeutendste Ver-
treter der Donauschule, der bei uns auf
dem Gebiete der Tafelmalerei wie auch der
Wand- und Buchmalerei so manchen An-
hänger gewonnen hatte.
ln der Tafelmalerei ist (besonders der Maler
des Flügelallar: von Cimelire bei Pisek zu
nennen, der wohl vor der Mitte des 2. jahr-
zehntes entstanden ist. Die donauländisch
gestimmte Landschaft des mittleren Bildes
mit den Heiligen Drei Königen, die
Kenntnis der menschlichen Figur auf den
Flügelbildern, die von einem direkten
Naturstudium zeugen, die dunkle, leiden-
schaftliche Farbengebung - das alles verrät
einen verstärkten Eini-luß der Donauschule.
Manches deutet darauf hin, daß dieser
bemerkenswerte Meister auch auf dem
Gebiete der Buchmalerei tätig war. Dafür
sprechen weitgreifende Analogien in der
Komposition und Typik, in dem Falten-
wurfe, der Landschaft und im Kostüm-
lichen, die er mit dem ersten Meister des
riesigen Leitmerilger Kantiormli, um 1514,
der bedeutendsten böhmischen illuminier-
ten Handschrift der 1. Hälfte des 16. Jahr-
hunderts, gemeinsam hat.
Mit diesem Altar verwandt ist auch ein in
Nordböhmen entstandener Altar, von dem
nur die bemalten Flügel au: Lihkvuire bei
Brüx erhalten geblieben sind. Sie stehen der
Donauschule nahe hinsichtlich der dra-
matisch bewegten, tiefen Gefühlserregung,
der landschaftlichen Szenerie, des Wirk-
lichkeitssinnes, des gelockerten, maleri-
schen, mit dünnen flüssigen Pigmenten
arbeitenden Vortrages sowie der beträcht-
lichen künstlerischen Qualität. Es scheint,
daß die Dynamik der Figuren nicht in der
zweiten, sondern eher in der ersten Ent-
wicklungsphase der Donauschule ihren
Ursprung hat und daß man da das große
Vorbild in Lucas Cranachs um 1514 ent-
standener Holzschnittfolge von Christus
und den 12 Aposteln zu suchen hat. Ich
bemerke noch, daß dieser dynamische
Strom auch in der böhmischen Wand-
malerei, z. B. in dem Kreuzigungsbilde
des Kreuzgangs im Minoritenkloster in
Neuhaus, seine deutlichen Spuren hinter-
lassen hat.
Die Anregungen der Altdorferischen Kunst
machen sich dagegen im großartigen Wand-
gemälde der Burgkupelle in jribnu geltend,
das den Drachenkampf des heiligen Georg
darstellt und nach der Mitte des 2. Jahr-
zehntes entstanden ist (Abb. 2). Das von
Altdorfer geliebte Thema, das sowohl in
seinen Bildern wie auch in seinen Holz-
schnitten öfter vorkommt, wird hier im
monumentalen Maßstab der Wandmalerei
gestaltet. Mehr als in den schwäbisch
aussehenden Figuren tritt der EinHuß Alt-
dorfers im märchenhaften Tone der Er-