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Volltext: Alte und Moderne Kunst XI (1966 / Heft 84)

jaroslav Peäina 
BÖHMISCHE MALEREI AM 
ANFANG DES 16. JAHRHUN- 
DERTS UND DONAUSCHULE 
Der Einfluß der Donauschule gehört zu 
den bedeutendsten Erscheinungen in der 
Kunst Böhrnens in der 1. Hälfte des 
16. Jahrhunderts. Er verläuft parallel und 
mit gleicher Intensität in der Bildhauerei, 
in der Malerei und in beschränkter Weise 
auch in der Architektur sowohl in den 
historischen Ländern wie auch in der 
Slowakei. Zum Unterschied jedoch von 
der Skulptur hat dieser Einfluß einige 
abweichende charakteristische Züge. Vor 
allem tritt er, wie es scheint, früh auf und 
schließt auch früher ab. Zwei Perioden 
sind in ihm weiter zu unterscheiden, in 
welchen sich auch die eigentliche Ent- 
wicklung der Donauschule klar wider- 
spiegelt: die frühe, unmittelbar nach 1500, 
und die spätere, das ist die des 2. und 3. jahr- 
Zehntes. Dieser Einfluß hat auch einen 
größeren territorialen Umfang. 
Wenn wir zunächst Mähren dahingestellt 
sein lassen, wo er weniger zutage tritt, 
und die Slowakei, wo er eine außerordent- 
liche Breite erlangte, macht er sich, wieder 
unterschiedlich von der Skulptur, die fast 
ausschließlich auf das südböhmische Ge- 
biet beschränkt ist, in Mittel- und Nord- 
westböhmen bemerkbar. In Südböhmen 
kommt er dagegen ziemlich vereinzelt vor, 
was um so mehr überrascht, als sonst 
gerade dieses Gebiet eine traditionelle 
starke Beziehung zum Donaubecken auf- 
weist. Und schließlich, dank der natür- 
lichen Differenzierung der Malerei, ist der 
donauländische Einschlag in Böhmen rei- 
cher abgestuft und besitzt auch eine größere 
Mannigfaltigkeit der Formen und der 
Ausdrucksmittel: Am auffallendsten äußert 
er sich in der Tafelmalerei, er fehlt jedoch 
auch nicht in der Wand- und Buchmalerei. 
Überraschend ist das frühe Einsetzen der 
donauländischen Einilüsse, welche nach 
1500 in unsere Länder plötzlich eindringen, 
der böhmischen Malerei für längere Zeit 
die Richtung geben und ihr Ziel bestimmen 
und ihr einen ausgeprägten, stilistisch ein- 
heitlichen Charakter verleihen. Entgegen 
der bisherigen vorwiegend westlichen Orien- 
tierung der böhmischen spätgotischen 
Malerei liegt jetzt das Schwergewicht auf 
einmal im Süden, woher die Anregungen 
bis zur Wende vom 15. zum 16. jahr- 
hundert nur sporadisch eingedrungen wa- 
ren. Und es war wichtig, daß gleich am 
Beginn ein Maler zum Repräsentanten der 
Donauschule in Böhmen wird, der mit 
vollem Recht als die größte künstlerische 
Persönlichkeit, die in der böhmischen 
Malerei zu dieser Zeit auftrat, angesehen 
werden muß: der Meiner de: lßitmeriirger 
Allarr. Sein Werk erscheint zwar heute 
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als Ergebnis der Wirkung einer ganzen 
Reihe verschiedener stilistischen Kompo- 
nenten: der bodenständigen böhmischen 
Tradition sowie der Kunst Schwabens, der 
Alpenländer und wahrscheinlich auch Nord- 
italiens. Aber ausschlaggebend war für ihn 
doch die Donauschule. Allein oder vor 
allem dieser engen Berührung, zu der es 
knapp nach 1500 kommen mußte, also im 
Zeitpunkt der eigentlichen Geburt der 
Donauschule, verdankte er seinen Bild- 
aufbau, die Prinzipien der Komposition, 
die Raumanschauung, die Auffassung der 
Landschaft, die Behandlung der mensch- 
liehen Figur. Dort, bei dem jungen jörg 
Breu und Lucas Cranach, diesen Gründern 
der Donauschule, in ihrer Sturm- und 
Drangperiode, lernte er das eingehende 
Studium der Realität kennen, besonders des 
menschlichen Körpers, die Hineinsetzung 
der Figur in das Bildganze, den Stil der 
barock Hatternden Gewänder, die tonig 
gebundene Malweise, die intensive, glü- 
hende Farbigkeit und den weichen, äußerst 
empfindlichen malerischen Vortrag. Das 
alles waren jedoch bloß Anregungen, die 
der Meister des Leitmeritzer Altars, zu- 
sammen mit noch anderen, wirklich schöpfe- 
risch verarbeitete und in sein Bildsystem 
einfügte sowie seinem malerischen Sehen 
anzupassen wußte. Auf diese Weise ge- 
langte er zu einer großartigen Synthese, 
die der Selbständigkeit und Originalität 
nicht entbehrt (Abb. 1). 
Durch sein Werk, das in keiner Weise an 
seinen großen böhmischen Zeitgenossen 
erinnert, den Meister der Beweinung von 
Zebrak, welcher eine ähnliche Stelle in 
unserer Skulptur einnimmt, steht der 
Leitmeritzer Meister den größten Künst- 
lerpersönlichkeiten des Donaustils nicht 
viel nach. Und in der Tat, er bekennt sich 
zur Donauschule als ebenbürtiger Künstler, 
nicht nur als bloßer Eklektiker oder 
Nachahmer. ja, er gehört zu deren Mit- 
schöpfern und ist als einer ihrer eigent- 
lichen Gründer anzusehen. Trennen sich 
bald nach 1500 Breu und Cranach von der 
Donauschule, wobei der eine nach Augs- 
burg, der andere nach Wittenberg geht, 
so verläßt auch der Leitmeritzer Meister 
fast gleichzeitig dieses Gebiet, diese Wiege 
der neuen Kunstanschauung, und kehrt 
nach Böhmen zurück, um die Errungen- 
schaften des Donaustils auf böhmischen 
Boden zu verpflanzen. 
Es war sein Verdienst, daß er, der wirk- 
liche Bahnbrecher der neuen Richtung in 
der böhmischen Malerei, den Weg in das 
Donauland gezeigt hatte. Im ersten jahr- 
zehnt des 16. Jahrhunderts blieb er ver- 
einzelt und hat keine Nachfolger gehabt. 
Erst nach 1510 nehmen die Einilüsse zu, 
um dann im jähen Aufstieg um die Mitte 
des zweiten Jahrzehnts den Gipfelpunkt 
zu erreichen. Gleichzeitig gewinnt ihr 
Strom an Breite, gabeln und differenzieren 
sich die Einflüsse. Der Erfolg des Donau- 
stils in unseren Ländern war begreiflich. 
Mit seinen Grundeigenschaften, besonders 
mit seinem frischen Realismus, seinem 
neuen Verhältnis zum Menschen und zur 
Natur, mit seinem malerischen Empfinden 
und nicht zuletzt mit seiner fortschritt- 
lichen Auffassung der Landschaft, beant- 
wortete er Fragen, welche nach 1510 auch 
in Böhmen von brennender Aktualität 
waren. Neben der Kunst der vorangegan- 
genen Generation, die ihre Anziehungskraft 
auch jetzt nicht völlig verlor, war es 
Albrecht Altdorfer, der bedeutendste Ver- 
treter der Donauschule, der bei uns auf 
dem Gebiete der Tafelmalerei wie auch der 
Wand- und Buchmalerei so manchen An- 
hänger gewonnen hatte. 
ln der Tafelmalerei ist (besonders der Maler 
des Flügelallar: von Cimelire bei Pisek zu 
nennen, der wohl vor der Mitte des 2. jahr- 
zehntes entstanden ist. Die donauländisch 
gestimmte Landschaft des mittleren Bildes 
mit den Heiligen Drei Königen, die 
Kenntnis der menschlichen Figur auf den 
Flügelbildern, die von einem direkten 
Naturstudium zeugen, die dunkle, leiden- 
schaftliche Farbengebung - das alles verrät 
einen verstärkten Eini-luß der Donauschule. 
Manches deutet darauf hin, daß dieser 
bemerkenswerte Meister auch auf dem 
Gebiete der Buchmalerei tätig war. Dafür 
sprechen weitgreifende Analogien in der 
Komposition und Typik, in dem Falten- 
wurfe, der Landschaft und im Kostüm- 
lichen, die er mit dem ersten Meister des 
riesigen Leitmerilger Kantiormli, um 1514, 
der bedeutendsten böhmischen illuminier- 
ten Handschrift der 1. Hälfte des 16. Jahr- 
hunderts, gemeinsam hat. 
Mit diesem Altar verwandt ist auch ein in 
Nordböhmen entstandener Altar, von dem 
nur die bemalten Flügel au: Lihkvuire bei 
Brüx erhalten geblieben sind. Sie stehen der 
Donauschule nahe hinsichtlich der dra- 
matisch bewegten, tiefen Gefühlserregung, 
der landschaftlichen Szenerie, des Wirk- 
lichkeitssinnes, des gelockerten, maleri- 
schen, mit dünnen flüssigen Pigmenten 
arbeitenden Vortrages sowie der beträcht- 
lichen künstlerischen Qualität. Es scheint, 
daß die Dynamik der Figuren nicht in der 
zweiten, sondern eher in der ersten Ent- 
wicklungsphase der Donauschule ihren 
Ursprung hat und daß man da das große 
Vorbild in Lucas Cranachs um 1514 ent- 
standener Holzschnittfolge von Christus 
und den 12 Aposteln zu suchen hat. Ich 
bemerke noch, daß dieser dynamische 
Strom auch in der böhmischen Wand- 
malerei, z. B. in dem Kreuzigungsbilde 
des Kreuzgangs im Minoritenkloster in 
Neuhaus, seine deutlichen Spuren hinter- 
lassen hat. 
Die Anregungen der Altdorferischen Kunst 
machen sich dagegen im großartigen Wand- 
gemälde der Burgkupelle in jribnu geltend, 
das den Drachenkampf des heiligen Georg 
darstellt und nach der Mitte des 2. Jahr- 
zehntes entstanden ist (Abb. 2). Das von 
Altdorfer geliebte Thema, das sowohl in 
seinen Bildern wie auch in seinen Holz- 
schnitten öfter vorkommt, wird hier im 
monumentalen Maßstab der Wandmalerei 
gestaltet. Mehr als in den schwäbisch 
aussehenden Figuren tritt der EinHuß Alt- 
dorfers im märchenhaften Tone der Er-
	        
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