Buchbesprechungen
Laurene J. Bol. Hollindiache Maler des
17. Jahrhunderts. Nahe den großen
Meistern; Landschaften und Stilleben.
XII. 388 S., 324 Abb„ darunter Z4 Farb-
tafeln; Format 325x245 cm; Klinkhardt
und Biermann. Braunschweig 1969
Der Titel des zweibändigen Werkes über hol-
händische Maler, dessen erster Teil nun vor-
liegt, kündigt die Absicht das Autors an, seine
Darstellung nicht als eine allgemeine Abhand-
lung über die Entwicklungsgeschichte der
Malerei dieser Epoche aufzufassen, die vor
allem auf einer Behandlung der führenden
Meister beruhen müßte; da die Hauptmaister
genügend bekannt und in zahlreichen Publi-
kationen zugänglich sind, hat der Autor be-
wußt etwa 30 der großen Maler in sein Werk
nicht aufgenommen. Das Thema des Buches
ist hingegen die Betrachtung des Reichtums
künstlerischer Erzeugnisse, der durch die Viel-
zahl auch der kleineren Meister bestimmt
wird, deren Werke die Hauptlinie der Ent-
wicklungsgeschichte begleiten, nicht ohne
sogar manchmal entscheidenden Einfluß aus-
zuüben. Gerade die holländische Malerei des
17. Jahrhunderts ist überaus reich an kleine-
ren Talenten, die vor allem - oder ausschließ-
lich - darin ihre Aufgabe gesehen haben.
Werke guter Malerei zu schaffen, wahrend sie
im Hinblick auf die großen Ideen des Kunst-
schaffans zweifellos wenig anspruchsvoll
Waren. Es ist eine unbestreitbare Tatsache,
daß daher die holländischen Maler weit
weniger als die von Kunsttheorien stärker be-
lasteten Meister anderer Nationen vom Epi-
gonentum gefährdet waren; ihre oft vorzüglich
'gemaltan Bilder können dagegen gerade in
ihrer Konzentration auf die malerisch-hand-
werkliche Arbeit, für sich selbst betrachtet,
einen unbelasteten, hohen Kunstgenuß be-
reiten.
Die Gruppierung der behandelten Phänomene
folgt im großen der allgemeinen historischen
Entwicklungslinie; im besonderen bestimmt
die Zusammenfassung zu einzelnen Sinn-
gruppen, die sich aus dem inhaltlich-thema-
tischen Spezialistentum der Maler ergibt, die
Gliederung des Buches: So sind 1,8. die
frühen Landschaftsmalar, die ltalianisanten.
die tonalistischen Landschaftsmaler in Haar-
lem usf. in eigenen Kapiteln behandelt, ebenso
die Blumenmaler des Boschaert-Kreises, das
.monochrome banketje", die Stillabenmaler
das De-Heem-Kreises usf. (im ganzen 47 Grup-
pen, in denen über 220 Maler behandelt
werden).
Gerade dadurch, daß in der Darstellung das
Verfassers nicht die berühmten Hauptmeister
den Blick allein auf sich lenken kennen, er-
scheint die Bedeutung einiger ,.klainer"
Meister in klarem Licht, die ihnen eine wich-
tige Stellung in der Entwicklungsgeschichte
zuwaisf: mit Recht hat der Verfasser in dieser
Hinsicht die Bedeutung Vrooms hervorge-
hoben, auch diejenige der Frühwerke von
Pieter de Molijn. Ausführlich ist auch die
Stellung der führenden Landschaftsmaler dar-
gelegt, die wie Saverv, Gael und Van de Vanne
der eigentlichen eigenständigen holländischen
Malerai wichtige Impulse vermittelt haben.
Bei der Betrachtung dar Stillebanmalerei
bringt Bol offenbar der herberen Art innerhalb
der Ausdrucksmöglichkeiten dieses Kunst-
zweiges entschieden mehr Sympathie entgegen
als dem dekorativen Prunkstilleben der Blüte-
und Spätzeit. Es ist auch für dieses Buch be-
zeichnend, wie die künstlerischen Ideen vom
frühen Kubismus bis zum späten Morandi
den Geschmack gebildet haben, so daß ge-
rade in den schlichten und streng gebauten
Stilleben ein eigener Reiz und ein besonderer
Grad von künstlerischer Formung erkannt
werden kann. Der Verfasser verfolgt daher mit
besonderem Verständnis diesen Willen zur
Klarheit von den Kompositionen der Fruh-
zeit - in den Werken der Vart Schooten, Clara
Peeters, Hans van Essen ' uber die Meister
das sogenannten .monochromen banketia" bis
zu Coorts, dem oin eigenes Kapitel gewidmet
ist.
Der Verfasser hat es sich überdies zur speziellen
Aufgabe gemacht, gerade die sonst nicht so
ausführlich behandelte Malerei in Sealand
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(Middelburg) ins rechte Licht zu rücken und
den Charakter dieser Kunstlandschaft in ihren
Landschafts- und Stillebenmalarn - von
Boschaert bis zu dem eben genannten Coorte
- zu erklären.
Das Buch stellt somit eine wertvolle und über-
aus verdienstvolle Arbeit in der kunsthistori-
schert Literatur dar, Darüber hinaus wendet
sich der Verfasser mit seiner Idee eines „flori-
legiums" der holländischen Meister an die
Sammler und die Liebhaber dieser Malerei im
allgemeinen. Der Verlag hat dieser Idee in
großzügiger Weise mit einer vorzüglichen Aus-
slattung gedient. Die Abbildungen sind mit
größter Sorgfalt gedruckt, die graphische Ge-
staltung verdient jede Anerkennung, so daß
der Band, der soviel Erfahrung eines Kenners
der Materie enthält, zugleich die Qualität eines
sehr schönen Kunstbuches besitzt.
Günther Heinz
.,Lust und Arzneygarten des Königlichen
Propheten David." In der Reihe der
"lnatrumentaria" der Akademilchen
Druck- und Verlagsanstalt in Graz er-
schien 1969 als "Nachdruck zur Emble-
matik" Bd. 8 der "Lust und Arznaygarten
des Königlichen Propheten David". (Von
W. H. Freiherr von Hohberg, Regensburg
1675. rnit Einführung und Register von
Grete Leaky)
Das schone Buch ist die gekürzte Ausgabe der
damals als Publikation der Fruchtbringenden
Gesellschaft ebenfalls anonym erschienenen
gesamten Fsalteriibersetzung mit beigefügten
Melodien und Gebeten sowie Emblamen und
Blumenstiicken.
Die vorliegende gekürzte Ausgabe umfaßt
nur die 150 Embleme und ebensoviele
Blumenstücke zu ia einem ausgesuchten
Vers aus dem Psalrri der betreffenden Nummer
in der lutherischen Übersetzung. Jedes der
300 Stücke ist von einem lateinischen und
deutschen Carman begleitet.
Verlag und Herausgeberin haben es sich
nicht leicht gemacht, zu entscheiden, ob die
große oder die gekürzte Fassung heraus-
gebracht werden soll. Einen der Zwecke des
Buches, dem Leser den Schatz der Psalmen
in Embleman erklärt nahezubringen und durch
ein Blumansinnbild noch deutlicher dar-
zustellen, erreicht eine Ausgabe um so besser,
ie handlicher sie ist. So entschied man sich
zur Herausgabe der kleineren Fassung -
ebenso wia sich Hohberg vor 300 Jahren
zur gleichzeitigen Ausgabe einer kürzeren
Fassung neben der umfangreichen, vollstän-
digen der Urausgabe entschlossen hatte.
Es ist eine bagrüßenswerte Verbesserung des
Verlages, das Blumenbild, welches sich in der
Großausgaba ebenso wia in der Hohbergschen
verkürzten Ausgabe auf der Rückseite des ja-
welligen Psalmenemblemes befand, auf die
ihm gegenüberliegende Seite versetzt und so
auch die gedankliche Einheit blickmäßig
hergestellt zu haben.
Der Niederösterreicher Hohberg (1612-1688),
von evangelischem Adel, eine abgerundete
Persönlichkeit von Erziehung und Bildung, ist
auch der Verfasser des berühmten Buches
..Das adelige Landleben". (Dieses Buch diente
1949 Otto Brunner für eine kulturhistorische
Arbeit gasamteuropäischer Verhältnisse)
Die Herausgeberin, als profunde Kennerin der
Emblematik seit Jahren bekannt, bietet nicht
nur die notwendige literarische und geistes-
gaschichtliche Einführung. Geschult durch
Arbeiten an dem damals überaus reichen Be-
stand an Emblemen der katholischen Welt
hat sie nun auch dieses Werk evangelischer
Emblernatik aufgespürt. Seine Erklärung und
Sinndautung ergibt nun das abegrundete Bild
eines Kulturphänomens, dessen Bedeutung
und Wert durch Jahrhunderte vergessen, durch
mutige Pio "erarbeiten der Welt von haute
wieder nahegebrecht wird.
Ein Wort am Schluß über die Bilder des
Werkes. Die Ikonen der eigentlichen Embleme
erinnern vielfach deutlich an die Abbildungen
im ..Adeligen Landleben", in denen die Kultur-
landschaft der damaligen Zeit reizvoll dar-
gestellt wird, und sind von prägnanter und
gestraffter Ausdruckskraft. Die Blumenslücke
in ihrer dekorativen Schönheit werden den
Kenner begeistern. Ihre Auswahl ist zweifellos
die bildnerisch hervorragendste Seite des alten
Buches.
Als Autor des großen okonomischan Werkes
beschäftigte sich Hohberg viel mit Blumen,
und wohl deswegen zog er sie mit ihren er-
forschten nützlichen oder schädlichen Eigen-
schaften zur Erklärung der Psalmenembleme
heran. Es kündet sich bei ihm die Zeit kritischer
Naturwissenschaft an, welche ihn nicht
hinderte, in allem Gottes Wirken zu sehen.
Heinrich Liechtenstein
Johann Friedrich Geist, Passagen, ein
Bautyp den 19. Jahrhunderts. Studiert zur
Kunst del neunzehnten Jahrhunderts.
Bd. 5, Fortchungsunternehmen dar Fritz-
Thylaan-Stiftung, Arbeitskreis Kunst-
geschichte. Prastel-Verlag, München
1983. 544 Seiten mit 255 Abb. auf 208 Ta-
feln und 200 Plenzaichnungan
Der neueste Band der .Studien zur Kunst des
neunzehnten Jahrhunderts" ist wieder, wie
schon frühere, einer einzelnen Bauaufgabe
gewidmet. Diesmal sind es die Passagen, ein
Eautyp, der nach der Französischen Revolu-
tion, begünstigt durch die Von ihr hervor-
gerufenen gesellschaftlichen Umschichtungen,
neuen Handelsformen und ein breites Be-
dürfnis nach Luxus, einen kometangleichen
Aufstieg nahm, in großen Schuhen sich ent-
wickelte und vollendete, um ziemlich genau
mit dem Jahrhundert abzubrechen. Ein Bau-
typ, dem, ähnlich dem des Theaters (um nur
einen schon bekannteren zu nennen), die
Massenhaftigkeit anhaftat: das Material wird
unüberschaubar, die Sammlung und Unter-
suchung desselben zwangsläufig unvoll-
ständig, ohne daß diese Unvollständigkeit den
wissenschaftlichen Wert einer solchen Samm-
lung und Untersuchung auch nur im geringsten
tangieren, wurde. Im Gegenteil, es wäre ein
Mehr an aufgefundenen und beschriebenen
zweitrangigen Beispielen höchstens von lexi-
kalem Interesse. Der Verfasser hat mit der
Absicht, alle Beispiele dieser Gattung zu er-
reichen und zu beschreiben, schon die Grenze
erreicht, an der das Einzelne in der Vielzahl
untergeht. Oder: der Verfasser hat die Existenz
von 278 Passagen in 111 Stadien von 27 Län-
dern aller Erdteile aufspüren können; die
meisten hatte demnach Paris mit 29, gefolgt
von London mit 19 Passagen. Aufgespurt,
d. h.. daß manchesmal nicht mehr dasteht
als der Name einer Stadt und vielleicht der
Name einer Passage, als Aufforderung zu
lokaler Forschung zu deuten, d. h. aber auch
seitanlange, oft spannende Berichte von und
um Passagen.
Das Buch setzt sich aber auch aus anderen
Gründen gegen vergleichbare Arbeiten über
Baufypen des vorigen Jahrhunderts ab: der
Verfasser, Architekt in Berlin, wurde durch
seinepraktischeTätigkeitmitdiesarBauaufgaba
und dem ihr eigenen Rahmen konfrontiert.
Diesen praktischen Bezug wußte der Ver-
fasser über die jahrelange wissenschaftliche
Beschäftigung diesem Thema zu wahren
und damit seiner Arbeit einen aktuellen Hinter-
grund zu sichern. Dieser wird deutlich in einem
Kapitel über Projekt und Utopie der Passage
(S. llOf.) oder in Exkursen wie dem über das
Trottoir (S. 90) mit unmittelbar ansprechenden
Zitaten: welcher heutige Großstädter erkennt
sich nicht in dem Fußgänger wieder, der von
dem Abenteuer einer Straßenüberquarung be-
richtet. An solchen Stellen tritt die Aktualität
der Passage als urbaner Lebensraum des
nichtmotorisierten Städters zutage.
Doch nicht nur in Stadtplanung und Archi-
tektur ist die Passage im Kommen. Auch in
der Baugeschichte nimmt rnan allerorten
Notiz von ihr, wobei das prachtvollste, heute
noch stehende Beispiel dieser Gattung, die
Galleria Vittorio Emanuele in Mailand, Aus-
gangspunkt mancher waiterreichenden Uber-
legungen ist. Es sei hier rlur erinnert an die
profunde Interpretation, die G. Bandmann
von kunsthistorischer Warte aus von dieser
Passage gibt. Diesen bau- und kunsthistori-
schon Arbeiten - die wichtigsten von ihnen
ungedruckt oder noch in Arbeit - fügt
J. F. Geist eine wirtschaftsgeschichtl
soziologische Untersuchung an.
Eine Verwandtschaft der Passage r
orientalischen Bazar scheint dem
weder von der Gestalt noch von Funli
Benutzung gegeben. Er konstatiert
Neigung der Zeit um taoo für alles l
sche und weist auch auf den Zusami
von Napoleons ägyptischem Feldzug
Namen einer der allerersten Passat
Passage de Calre in Paris, erachtet .
lmpuls der Orientmode für zu gering
die Passage als ein Bazar des Okzide
werden könnte. Dia Vcraussetzuni
Geist für die Entstehung und Lebens
der Passage aulfuhrt, mögen zutrefre
ob der Einfluß aus dem Osten wi
gering war, mag dahingestellt blait
Börsenbazaran von Amsterdam und
kdnnte in dieser Entwicklung vielia
größere Rolle zugesprochen werden
Burlington Arcade in London kann G
solche belegen, es mag daneben FaII
in denen eine solche Brücke nicht a
Iich beschrieben wurde, jedoch da VI
Aber es gibt darüber hinaus ia noch
andere Anknüplungspunkte für die F
und sie, wenn auch oft nur in der Fr
Tour d'horizont, aufgezeigt zu habel
großes Verdienst dieser Arbeit. So SiI
Passage enthalten der symmetrische
raum, eine nach innan gekehrte
architektur, der umlang-, formen- und
reiche Komplex der Dachverglasuni;
überraschende Vielfalt von Verbindt
ausgesprochenen jrschließungsarchi
mit soziologischam Aspekt s hierher
Gefangnisse oder die phantastischen
lür Großkommunen oder die noch p
scheren Projekte einer totalen Stadtve
wie sie für London allen Ernstes
wurde - und endlich ein ganz be
lest umrissener Ausschnitt aus t
wicklung des Ladens als einer Vart
des Einzelhandels mit dem Schwt
auf Luxuswaren. Der wohl spannen
aber ist der, in dem Geist die gesellscf
Bedingungen, den ..Passagemensch
deckt. Hier wird etwas von dem beri
die Stadt des neunzehnten Jahrhunde
scheidet von der des zwanzigsten.
gemeinhin rnit Urbanität umschriebt
allgemeines, öffentlich gezeigtes pi
und kulturelles (in iader Höhen- uni
lage) Engagement, der - mitunter s
sche c Müßiggang, die Gedrängi
Städte, um auch wieder nur Welllgl
deuten. Das alles gipfelt in dieser A
Geist in den zwar schon bekannten, a
nicht gegenwärtigen Beschreibung
Pariser Passagen, die Honore de l
Nerlorane Illusionen", Emil Zola ir
und - weniger bekannt - Montigny
Läden einer Passage gibt. Solche
sie gibt es auch zu denen anderer
lockern die gerade durch ihre Mass
keit spröde Materie auf. Das Buch wl
sie direkt spannend und unbedingt
wert. Dazu tritt die sehr abwechslul
und vielseitige Bebilderung; hier geb
Verfasser besonderer Dank für die gro
falt, die er der Herstellung von Lage-
und Schnittplänen widmete.
Hans Christoph I
Eingelangta Bücher:
E. A, Pllschke, Vorn Menschlichen lI
Bauen. 200 Seiten Text, 171 Schw
abbildungen - Text und Bildlega
deutscher und englischer Sprache.
Verlag Kurt Wedl, Wien-Münchei
S 198,- (DM 31,50)
Konrad Strauss, Die Geschichte der
zunft vom Mittelalter bis Zur Neuzeit
Kunsttöpfereien in Alt-Livland (Estl
Lettland). 272 Seiten Text, Z Textabt
und 148 Schwarzweißtafeln. Leinel
P. H. Heitz, Basel 1969
Wilhelm Mrazek, Anton Hanak (1B7l
ZÄ Seiten Text, 39 Schwarzweiß!
gen, I8 Zeichnungen, Leinen. Ve
gend k Volk, Wien-München 1959.